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Kann Paris außenpolitische Abenteuer noch verkraften?

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Was vor etwa 20 Jahren, genau am 13. Mai 1958 in Algerien geschah, ist den meisten Franzosen noch in Erinnerung, zumal dieses historische Ereignis auch im heutigen politischen Alltag nachwirkt. Das genannte Datum ist verbunden mit dem Aufstand der weißen Siedler (ungefähr eine Million) in Algerien, bei dem auch die Armee eine entscheidende Rolle spielte. Die „Schwarzfüße“, wie die europäischen Siedler genannt wurden, befürchteten, daß die Pariser Zentralregierung den nationalistischen algerischen Rebellen zu große Konzessionen zusagen würde.

Kaum war das Abenteuer in Vietnam beendet, brach Anfang November 1954 ein Aufstand in Algerien los, der von der moralischen und wirtschaftlichen Substanz Frankreichs ebenfalls größte Opfer forderte. Die Voraussetzungen in Algerien waren jedoch ganz anders als auf den asiatischen Kriegsschauplätzen. Algerien war keine Kolonie, sondern genoß das Statut eines Departements. Allerdings besaß nur eine geringe Minderheit von Arabern das politische Bürgerrecht: Die Massen der Bauern - „Fellachen“ genannt - wurden in keiner Weise aufgefordert, ihre Stimme zu erheben und konnten sich nie als vollwertige Mitglieder der französischen Republik fühlen.

Nachdem die Versuche einer friedlichen Beilegung des Konfliktes keine Resultate gezeigt hatten, bildeten sich unter den Weißen zahlreiche Organisationen, Zirkel und diverse politische Gruppen, die eine Verschwörung nach der anderen anzettelten. Ziel dieser Aktivitäten: Die höchsten Behörden Frankreichs sollten dazu bewegt werden, das französiche- Algerien unter keinen Umständen fallen zu lassen. Zehn oder sogar zwanzig Komplotte mögen darunter gewesen sein, mit denen die legale Regierung in Paris gestürzt und eine Art Rechtsdiktatur unter dem Schutz der Armee hätte errichtet werden sollen.

Nachdem de Gaulle das Regime der Fünften Republik errichtet hatte, ging er dazu über, eine umfassende Entkolonialisierung durchzuführen: Eine Konföderation zwischen dem Mutterland und den jungen Staaten des schwarzen Afrika sollte gebildet werden. Nach unzähligen Bemühungen, die dramatische Akzente aufwiesen, beendete der neue Staatschef den

Krieg in Algerien. Der Friede war jedoch mit vielen Opfern verbunden.

Algerien entwickelte sich alsbald zu einem Faktor der Weltpolitik, da die Regierung in Algerien die sogenannten Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt überall dort unterstützte, wo es dem algerischen Staatschef notwendig erschien. Selbstverständlich entstand nach 1962 (Datum des Friedensschlusses) das Problem, weiße Rückkehrer zu entschädigen. Aber trotz unzähliger Versprechungen ist es noch zu keiner definitiven Regelung der Ansprüche dieser Flüchtlinge gekommen. Erst Giscard d'Estaing wagte es, einen offiziellen Besuch in dieser einst blühenden Provinz Frankreichs durchzuführen. Während sich für kurze Zeit eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Paris und Algier abzeichnete, ist gegenwärtig das Gespräch zwischen den beiden Staaten ohne positive Ergebnisse: Algerien beschuldigt Frankreich, Neokolonialismus in verschiedenen afrikanischen Regionen zu betreiben und die Südafrikanische Republik mit riesigen

Waffenlieferungen zu unterstützen.

Konnte auch das Konzept de Gaulies einer Konföderation der französisch sprechenden Welt Afrikas mit Paris nicht realisiert werden, gelang es dennoch, vernünftige Verhältnisse zwischen der einstigen Kolonialmacht und den über Nacht entstandenen Staaten des schwarzen Kontinents herzustellen. Die Beziehungen zwischen Paris und den neuen Staaten wurden ausgebaut, wobei Frankreich getreu den Texten veranlaßt werden kann, diese Regime miütärisch zu verteidigen. Sowohl aus diesem Grunde, wie auch aus dem Wunsch, die wirtschaftliche Entwicklung der Länder -die oft über reiche Rohstoffvorkommen verfügen - zu fördern, glaubte die Pariser Regierung, sich als jene Macht etablieren zu können, die auch weiterhin für die Entwicklung dieses Erdteils mitverantwortlich ist.

Erwähnt sei, daß Frankreich seit dem Jahre 1962 des öfteren verpflichtet war, durch militärische Einsätze die legalen Regierungen - soweit sie als legal bezeichnet werden können - gegen

die Rebellen zu verteidigen. Seitdem in Senegal französische Truppen eingriffen, wurden im weiteren Verlauf in fünf anderen afrikanischen Staaten (zuletzt auch in Zaire) die Elite-Einheiten der französischen Armee die eigentlichen Stützen dieser Staats- oder Regierungschefs.

Während es sich bisher um kurze aber wirkungsvolle Aktionen handelte, ist in Paris in den letzten Monaten und Wochen die Versuchung immer mehr gewachsen, weitere Truppenkontingente in besonders bedrohten Ländern - etwa in Tschad - einzusetzten, wobei es zu ernsthaften Pannen gekommen ist. Frankreich will auch im Libanon die gleiche Politik betreiben, wie in Senegal, Gabun oder Zaire. Aber wenn man bedenkt, daß auch der algerische ebenso wie der Vietnamkrieg aus bescheidensten Motiven begonnen hat, jedoch schnell zu einem Höhepunkt heranreifte, muß die Frage gestellt werden, ob Frankreich sich nicht in Konflikte verwickeln läßt, die von einer mittleren Macht kaum allein verkraftet werden können. In Paris wird heftig kritisiert, daß weder die Regierung noch das Parlament bezüglich des Einsatzes von Truppen in Afrika konsultiert worden waren. Getreu dem Erbe de Gaulies wagt auch Giscard d'Estaing Alleingänge, die jedoch selbst von seinen engeren Anhängern nicht gerade mit Zufriedenheit begrüßt werden.

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