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Kann - soll Nixon überleben?

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Präsident Nixons Watergate-Probleme schienen Anfang August überwunden zu sein. Das Publikum war von den einseitig geführten Televisionshows des Senatsausschusses unter Senator Erwin angewidert und in seiner Mehrheit bereit, zum Alltag zurückzukehren. Der Alltag stellte genügend Fragen, als daß man sie zugunsten politischer Nahkämpfe übersehen konnte. Watergate war von den Titelseiten verschwunden.

Das war der Moment, in dem der Präsident eine falsche Kalkulation anstellte. Er verwechselte die Ruhe mit Desinteressement und versuchte, durch einen Kompromiß, verbunden mit einem radikalen Schnitt, das für ihn zum Geschwür gewordene Problem auszumerzen.

Es ging — wie erinnerlich — immer noch um die berühmten Tonbänder, die des Präsidenten Gespräche mit seinen Mitarbeitern festgehalten haben sollen. Diese Bänder sollten daher ein für allemal feststellen, ob Nixons Mitarbeiter Dean, der den Präsidenten der Mitwisserschaft an der Vertuschung der Watergate-Affäre bezichtigt hatte, gelogen oder die Wahrheit gesagt hatte. Der Präsident weigerte sich, diese oder andere Bänder und Dokumente aus der Hand zu geben, da eine Herausgabe das Prinzip der Geheimhaltung der Amtsführung verletze, ebenso wie jenes der Gewaltentrennung zwischen Exekutive, Legislative und Justiz. Er würde damit für künftige Präsidenten einen Präzedenzfall schaffen, der diesen die Amtsführung erschweren müßte. Die Gerichte und der Senatsausschuß, die sich mit dem Watergate-Komplex befaßten, teilten diese Auffassung jedoch nicht. Sie appellierten an höhere gerichtliche Instanzen, die sich gegen die Auffassung des Präsidenten aussprachen, wenn auch mit Vorschlägen, sich auf dem Kompromißwege zu einigen.

Um das Szenarium zu verstehen,

muß man nun auf das Amt des „SpezialStaatsanwalts“ Archibald Cox verweisen, der Nixon auf dem Höhepunkt der Watergate-Krise im Frühjahr aufgezwungen wurde.

Der Sturm der ersten Entrüstung über Watergate, das beginnende Mißtrauen über die Rolle des Präsidenten in dieser Affäre fanden ihren Niederschlag im Kongreß. Sie führten zu der Idee, einen von der Regierung unabhängigen „Super-staatsanwalt“ einzusetzen, dem absolute Unabhängigkeit bei der Wahrheitsfindung für die Gerichte einzuräumen sei, weil — wie damit implicite zum Ausdruck gebracht wurde — die Bevölkerung der Regierung nicht mehr abnehme, daß sie sich selbst objektiv durch ihre eigene Justizverwaltung untersuchen könne. Weil aber Halbheiten ein Charakteristikum der amerikanischen Demokratie sind, wurde dieser Cox formell der Regierung, das heißt: dem Justizministerium, unterstellt. Es war offenbar zu kompliziert, für dieses „Amt Cox“, dessen Verfassungsmäßigkeit übrigens in Frage steht, Budgetmittel aufzubringen, so daß man ihn formell Nixon unterstellte. Der Präsident hatte ja volle Kooperation versprochen. Übersehen wurde jedoch, daß Cox dem Präsidenten nicht nur durch massiven politischen Druck aufgehalst worden war, sondern daß der Kongreß die Bestätigung des Justizministers Eliott Richardson von Nixons Zustimmung zu Cox abhängig machte. Da Richardson Cox entdeckt hatte, war er auch moralisch dem Kongreß gegenüber verpflichtet, die Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit dieses neuen Untersuchers zu garantieren. Somit schien das Netz um den Präsidenten eng geflochten zu sein.

Was nun Cox betrifft, so wird er als „objektiver Schnüffler“ charakterisiert. Er ist ehemaliger Harvard-Professor und fanatisches Mitglied des alten Kennedy-Teams, also gerade jener Gruppe, die Nixon haßt. In wenigen Wochen war dieses „Amt Cox“ auf etwa 80 Mitarbeiter angewachsen, die sich auf das Weiße Haus wie ein Gelsenschwarm niederließen und in alle Winkel hineinstachen. Da der Begriff „Watergate“ auch nie abgegrenzt wurde, nahmen sich Cox und seine Jünger auch heraus, in alle Privataffären des Präsidenten hineinzuleuchten, und wo immer Nixon Widerstand leistete, wurden „Informationen aus informierter Quelle“ an die Presse geleitet, die eine neue Welle des Mißtrauens und des Verdachtes entstehen ließen.

So ist es verständlich, daß Nixon Cox loswerden wollte und nach einer seiner Ansicht nach günstigen Methode und Konstellation hiefür suchte. Er entschied sich für das alte Prinzip der Divide et impera. Er offerierte dem politisch geschwächten Erwin-Ausschuß einen Kompromiß: Senator Stennis von Mississippi, ein untadeliger Gesetzgeber, zugleich auch Nixon nahestehend, Demokrat des Südens, sollte die Bänder abhören und dann feststellen, ob die vom Weißen Haus hergestellte Fassung tatsächlich alles enthalte, was Watergate betrifft und bloß nicht zur Sache gehörendes Material ausgelassen habe. Diese Fassung werde dem Erwin-Ausschuß

freiwillig ausgehändigt werden. Erwin war Feuer und Flamme. Was er im Appellationsverfahren verloren hatte, war der Präsident bereit, ihm zu geben. Nixon war auch bereit, die gleiche Fassung Cox für die Gerichte auszuhändigen, Cox lehnte jedoch ab. Er wollte die ungekürzten Bänder. Dazu muß bemerkt werden, daß die von Nixon vorgeschlagene Kompromißformel im Prinzip auch vom Richter Sirica angestrebt worden war, mit dem Unterschied allerdings, daß Sirica selbst den Inhalt überprüfen wollte. Nixon hatte also eigentlich nichts anderes vorgeschlagen, als Sirica durch Stennis zu ersetzen, der, wie alle Senatoren, eine „Seourity Clearance“ hat, die ein Richter nicht besitzt. Die Ablehnung des von Erwin für den Senat bereits akzeptierten Kompromißvorschlages durch Cox war für Nixon das Signal, sofort zu handeln. Er entließ seinen „eigenen Mitarbeiter“ Cox, wozu er formell zweifellos berechtigt war, verlor jedoch seinen Justizminister Richardson durch dessen Rücktritt, da Richardson mit Rücksicht auf sein Versprechen gegenüber dem Senat nicht bereit war,

Cox zu entlassen. Auch Rueckels-haus, der zweite im Kommando des Justizministeriums, weigerte sich, Nixons Befehl auszuführen und wurde entlassen. Erst die Nummer drei im Justizministerium mit Namen Bork — heute Justizminister pro tempore — händigte Cox Nixons Bntlassungsdekret aus.

Nun brach ein Sturm los, dessen Tiefe und Dauerhaftigkeit noch nicht abgeschätzt werden kann. Mehrere 100.000 Telegramme liefen in den Büros der Parlamentarier in Washington ein, die ein „Irnpeach-ment“ Nixons forderten. Nixons „Popularitätsrate“ sank unter 30 Prozent, seine Lage erschien bedrohlich. Was mehrere 100.000 Telegramme in einer Nation von mehr als 250 Millionen tatsächlich bedeuten, ist schwer zu beurteilen. Jedenfalls kapitulierte der Präsident vor diesem massiven Mißtrauensvotum und ließ durch seinen Rechtsvertreter mitteilen, er werde die Bänder Richter Sirica aushändigen. „Der Präsident stehe nicht über dem Gesetz, er handle auf der Grundlage des Gesetzes“, bemerkte Nixons Anwalt Professor Wright aus Texas.

Obwohl diese Kapitulation Nixons unerwartet kam und sicherlich viel Druck aus dem überhitzten Kessel ließ, scheint es zumindest zweifelhaft, ob der Präsident sich nochmals erholen kann. Den Dutzenden Im-peachment-Resolutionen vor dem Kongreß ist wohl im Moment die rechtliche Basis entzogen. Aber die „Revolution“ hat Blut geleckt und wird ihr Opfer nicht so leicht freigeben. Was immer Nixon tut oder läßt, wird von der feindlichen Presse angezweifelt, selbst die Notwendigkeit der Alarmierung der amerikanischen Streitkräfte als Warnung an die Adresse der Sowjetunion. Schon beginnt die Presse mit dem Geschrei über neue Übergriffe im Zusammenhang mit Wahlspenden die Fama anzuheizen, Nixons persönliche Finanzgebarung, alles wird bereits in Zweifel gestellt.

Nun hat Nixon auf seiner letzten Pressekonferenz einen weiteren Kompromiß vorgeschlagen und die

Bestellung eines neuen Sonderstaatsanwaltes angekündigt. Der demokratisch dominierte Kongreß will aber seinen eigenen „Sonderanwalt“ ernennen und diesmal dem Richter Sirica unterstellen, so daß das ergötzliche Schauspiel zweier nebeneinander untersuchender Sonderbeamter, eines unter Nixon, eines unter der Justiz, Realität werden kann.

Einer besonderen Pikanterie wird es nicht entbehren, wenn sich herausstellen wird, daß die Bänder Nixon gar nicht belasten. Schon streuen die im Vordergrund der Nixon-Hetze stehenden „New York Times“ die Vermutung aus, daß die Bänder ,,gedoktert“ wurden und daß man technisch die Echtheit überhaupt nicht feststellen könne. Es wird die Befürchtung geäußert, Nixon habe seine Gegner ins Abseits laufen lassen (fußballerisch ausgedrückt), um von ganz anderen „Missetaten“ abzulenken. Das ist das Klima, das Presse und Fernsehen gegen Nixon geschaffen haben, und es ist daher nicht verwunderlich, wenn der Präsident in seiner letzten Pressekonferenz die Medien frontal und massiv angriff. Warum er sich so aufrege, fragte ein Reporter. Dar-

auf Nixon: „Ich rege mich ja gar nicht auf, denn ich kann mich nur über Leute aufregen, die ich achte.“

Kann ein Präsident in einer solchen Atmosphäre arbeiten? Nixon hat auf diese Frage geantwortet: „Ich bestehe aus einem Material, dessen Zähigkeit zunimmt, je härter der Kampf wird.“ Er ist entschlossen, auch diesen Sturm zu meistern. Und in der Tat scheint seine Chance im blinden Haß seiner Gegner zu liegen. Wenn immer sich Presse und politische Gegner in ihrer Wut überschlagen, gibt es einen „blacklash“, der dem verfolgten Opfer zugute kommt. Es ist auch nicht so, daß das breite amerikanische Publikum mit seiner Presse und deren „Lynchjustiz“ gegenüber dem Präsidenten ungeteilt zufrieden ist. Die kurze Popularitätswelle, der sich der frühere Vizepräsident Agnew erfreute, beruhte vor allem auf der massiven Kritik, der er die Massenmedien unterzogen hatte, und die letzten Angriffe Nixons gegen die Medien haben bereits eine leichte Mehrheit der Telegramme zu seinen Gunsten bewirkt.

Trotzdem verbleibt ein massiver Zweifel, ob der Präsident überleben kann und daher, ob er überhaupt überleben soll. Es geht ja im Grunde nicht um das Schicksal Richard Nixons, es geht um die amerikanische Nation und um die freie Welt. Gelingt es Nixon nicht, einen Teil seiner Popularität zurückzugewinnen, so kann er in der amerikanischen Demokratie auf die Dauer nicht überleben, weil viele Hunde des Hasen Tod sind. Für Nixon sprechen seine großen außenpolitischen Erfolge. Ob diese jedoch auch weiterhin möglich sein werden, wenn die Gegner eine zerrissene Nation vor sich sehen, ist zweifelhaft. Außenminister Kissinger beantwortete eine Frage nach den Motiven der Sowjetunion bei ihrer jüngsten aggressiven Haltung im Mittleren Osten mit den Worten: „Ich kann nicht über die Motive der Sowjets spekulieren. Aber es ist klar, daß die Nation für ihre innere Zerrissenheit einen Preis wird bezahlen müssen.“

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