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Kann Vergil der Jugend helfen?

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Der österreichische PEN-Klub versammelte in Wien acht namhafte Wissenschaftler und Schriftsteller, die sich (als gründliche Kenner) in ihren Vorträgen mit Werk und Leben des Dichters unter dem Motto Hermann Broch — heute, auseinandersetzten. Die Univ.-Prof. Dr. J. Strelka (Albany), Dr. H. Steinecke (Paderborn), Dr. P. M. Lützeler (Saint Louis) und Dr. M. Durzak (Montreal) boten Einblicke in das Werk in all seiner komplexen Differenziertheit. Ausgegangen wurde von Brochs Bemühungen um neue Möglichkeiten des Romans, in die er auch phitasophischa Reflexion und wissenschaftliche Erkenntnisse miteinbezog. Kein „Geschichtelerzählen“, sondern Zusammenschauen zu einer Einheit, Auflösung der Antinomie dm dichterischen Wort, das ebenso symbolische wie erkenntnishafte Struktur hat.

Die Qanzheitlichkeit wurde an Brochs Romanen aufgezeigt: Der zeitkritische) Epochenroman Die Schlafwandler als Spiegel des Zeitgeistes (Steinecke). Der politische Roman Die Verzauberung, vorheriger Titel Der Versucher, der sogenannte Berg-Roman, an dem Broch zuletzt noch gearbeitet hatte, ein Versuch, „das deutsche Geschehen mit all seinen magischen und mystischen Hintergründen“ ziu gestalten. Der Versucher ist ein Ebenbild Hitlers (Lützeler). Die Schuldlosen. Roman in elf Erzählungen. Das kurz vor Brochs Tod (1950) veröffentlichte Werk ist eine Sammlung von Erzählungen, die nach Broch in die seelische Vorgeschichte des deutschen und europäischen Zusammenbruches hineinleuchten soll. Prof. Durzak zeigte in seinem Referat über das nicht ganz ausgeglichene Werk die Möglichkeiten des Erzählers Broch zwischen Satire und Pathos.

Ganz unprofessoral gab Friedrich Torberg sich in seinem schon rhetorisch so wohltuend sich abhebenden Beitrag unter dem Titel Hermann Broch oder die Redlichkeit. Torberg meinte in seinem wanrnhenzigen Nachruf an seinen Freund „die Redlichkeit des reinen Geistes und des reinen Herzens, von Leben und Werk“. Es wäre der Titel eines vierten Bandes der .Schlafwandler“ geworden, wenn Torberg ihn geschrieben hätte. Die 15 Bände des Gesamtwerkes sichern Broch einen Platz in der Weltliteratur. Brochs Suche nach Wahrheit, nach dem Wert in einer wertelosen Welt, seine ethische Un-bedingtheit fänden nur noch bei Kafka einen Vergleich.

Prof. Dr. H. Pross (Wiessen) befaßte sich in seinem Referat mit Brochs Studien über Massenpsycho-logie und den politischen Schriften. Broch rang um eine Grundlegung der Demokratie — eine demokratische Weltanschauung —, um „eine Art säkularisierte Bekehrung zur schlichten Anständigkeit“, die ihm als das eigentliche Thema seiner Massenpsychologie galt Der das „Wirklichkeitsgesetz“ der modernen Mas-sengesellschafti erforschte, war am Grunde seiner Deduktionen ein erklärter Ethiker. Dr. W. Rothe (Heidelberg) führte in seinem Vortrag über Erotismus und Sexualismus in Brochs Romanen aus, daß es darin nur gescheiterte Liebhaber gäbe und sämtliche Lebensgeschichten einen recht tristen Verlauf als „Daseinsverfehlung“ nähmen. Ausführlich befaßte sich Dr. Rothe mit den „Sexualneurotikem“ in den Schlafwandlern und im Bergroman.

Ein besonders fesselndes Thema hatte sich Prof. Dr. W. Vordtriede (München) in seinem Vortrag Broch als Volkserzieher vorgenommen. Er ging ausführlich auf Brochs Plan ein, sein Werk Der Tod des Vergil als billiges Volksbuch in einer Massenauflage zu veröffentlichen, um bei der Wiadererziehung der Deutschen nach dem Zusammenbruch zu helfen und sie zur Humanität zu bekehren. Es sollte eine große politische Aktion werden — doch der Plan scheiterte aus vielerlei Gründen. Rückblickend schrieb Broch fei Februar 1950: „Manchmal frage ich mich, ob dieses Buch wirklich imstande ist, den jungen Menschen der Zeit etwas zu geben, das mehr ist als ein psychisches Narkotikum? Für mich war es mehr — eine persönliche Notwendigkeit“

„Hermann Broch war ein Dichter wider Willen; daß er ein Dichter war und ein Dichter nicht sein wallte, war der Grundizug seines Wesens, inspirierte die dramatische Handlung seines größten Werkes und wurde der Grundkonflikt seines Lebens“ schirieb Hannah Arendt, die Herausgeberin seiner zwei wichtigen Essay-Bände. Zeitlebens bedrängt von Reflexionen, versunken in alle Menschen- und Daseinsrätsel, bleibt Hermann Broch als Denker wie als Dichter ein Sonderfall. Sein Rang als Dichter wird an den Schlafwandlern und am Tod des Vergil gemessen werden. Das Symposion hat es erneut bewiesen

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