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Kanone hat keine Seele

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Afrika ist heute der Krisenkontinent Nummer 1. Das Bild ist chaotisch. 1983 zum Beispiel gaben die Sahel-Staaten mehr Geld für Waffen als für Lebensmittelimporte aus.

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Afrika ist heute der Krisenkontinent Nummer 1. Das Bild ist chaotisch. 1983 zum Beispiel gaben die Sahel-Staaten mehr Geld für Waffen als für Lebensmittelimporte aus.

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Am 6. März 1957 wurde in Accra der Union Jack eingeholt, und Ghana erhielt als erste schwarzafrikanische Kolonie die Unabhängigkeit. Um die künftige militärische Stärke Ghanas zu unterstreichen, wollte Staatspräsident Kwane Nkrumah von den ehemaligen Kolonialherren in London gleich ein Schlachtschiff kaufen. Die verzweifelten Einwände seines bundesdeutschen Finanzberaters Hubert Kessel, daß das Land für so einen Kauf keine De-

visen habe und daß der militärische Wert eines Schlachtschiffes gering sei, nützten wenig.

Erst als ein ausländischer Diplomat bemerkte, daß Ghana nicht so viele Matrosen habe, die schwimmen können, um das Schlachtschiff zu bemannen, ließ Nkrumah von der Idee ab.

Heute besitzt Tansania, das zu den 20 ärmsten Ländern der Welt zählt, 505 sowjetische Kampfpanzer vom Typ T-64. Und das geht so weiter. Das vollkommen verarmte Botswana ließ vor kurzem in der Hauptstadt Gaborone eine ganze Panzerbrigade aufmarschieren. Sambia kaufte 1982 für mehr als 100 Millionen US-Dollar MIG-21 Düsenjäger und SAM-3-Raketen in der UdSSR.

Die „Hufe“ der kubanischen Soldaten kostet dem Sahel-Staat Angola immense Geldsummen, weü Fidel Castro für jeden kubanischen Soldaten 1200 US-Dollar monatlich kassiert. Die Guerillas der UNITA behaupten, daß sich in Angola derzeit 30.000 bis 40.000 Soldaten von der Zuckerinsel befinden. Aber selbst wenn es nur 20.000 wären, von denen jeder 1200 US-Dollar kostet, beliefe sich das auf 240 Millionen US-Dollar, das sind etwa 64 Prozent des angolanischen Jahresbudgets.

Waffen haben derzeit in Afrika Hochsaison. Von den Sahel-Staaten bis zu den marodierenden Banden der „Comrades“ in den schwarzen Townships am Kap, überall in Afrika herrscht ein fast mittelalterlicher Glaube an die heilbringende Wirkung der Waffen. Wo Arme und Unterdrückte leben, deren traditionelle Lebensweise zerstört wurde, treten Sektenprediger und politische Propheten auf. Ob Muamar Gadhafi oder der weiße Burenextremist Eugene Terre-Blanche, sie alle sind vom messianischen Sendungsbewußtsein geprägt. Auf Libyen und Südafrika entfallen 40 Prozent aller Rüstungsausgaben des Schwarzen Kontinents. In Afrika gibt es aber keine eindeutig festgelegten Einflußzonen zwischen Ost und West.

Um sich Einfluß zu sichern, liefern die Großmächte Waffen an jeden, der sie zahlen kann. Etwa nach dem Motto, jedem Afrikaner sein tödliches Spielzeug.

Kostspielige französische Jagdbomber vom Typ „Mirage“ fliegen für Libyens Gadhafi genauso wie für die Luftwaffe der Republik Südafrika.

Die beiden Waffenmagnaten in Tripolis und Pretoria haben noch etwas gemeinsam: beide wollen im Rüstungsbereich unabhängig sein. Als in Libyen die Rüstungsfinanzierung aus dem Olgeschäft wegen des zunehmenden Preisverfalles zu versiegen drohte, richtete Gadhafi den sogenannten „Dschihad“-Fond (Heiliger Krieg) ein. Fazit: Alle Staatsangestellten sind verpflichtet, je nach Besoldungsklasse bis zu ei-

nem Drittel ihres Einkommens für Waffenkäufe zur Verfügung zu stellen.

Dabei wird ein Teil der importierten Waffen an die befreundeten Regime kostenlos weitergeleitet. Beispiel: Das Entwicklungsland Brasilien verkaufte an Libyen 400 Panzer vom Typ „E-E Cas-cavel“. Dieselben brasilianischen Panzer wurden dann den Iranern geschenkt.

Doch wovon Gadhafi nur träumen kann, setzte die weiße Regierung in Pretoria in die Tat um: Die staatlich kontrollierten Rüstungswerke „ARMSCOR“ sind mit 100.000 Beschäftigten das heute größte Unternehmen des Landes, das zudem noch über 80 Prozent des südafrikanischen Waffenbedarfes aus der Eigenproduktion deckt.

Außerdem exportiert Südafrika Waffen im Wert von drei Milliarden Schilling jährlich.

Wie sehr Pretoria im Rüstungs- und Energiebereich auf Autonomie setzt, zeigt das ehrgeizige Kernkraftprogramm des Burenstaates. Südafrikas größtes Kernkraftwerk trägt den kuriosen Namen Va-lindaba, was in der Zulu-Sprache heißt, „Dinge, über die man nicht spricht“. Das, worüber man im Burenstaat nicht spricht oder nicht sprechen darf, weiß man in den Kreisen der westlichen Geheimdienste schon lange: in der Wüste Kalahari, so berichten Geheimdienstler, seien unterirdische Atomversuche an der Tagesordnung.

Wie dem auch sei, die weitaus gefährlichere Variante des südafrikanischen Rüstungswahns sind die Kernkraftwerke, die in der Reichweite der schwarzen Guerillas liegen. Tschernobyl in Afrika? Der Gedanke ist nicht mehr von der Hand zu weisen. Das Atomkraftwerk Koeberg bei Durban war jedenfalls schon zwei Mal das Ziel von Bombenanschlägen der schwarzen Guerillaorganisation „African National Congress“ (ANC).

Doch was die Buren im Bereich der Rüstungsindustrie mit Leichtigkeit schaffen, geht in den bettelarmen Staaten Schwarzafrikas auf Kosten der wirtschaftlichen Entwicklung. 1978 zum Beispiel gaben die Sahel-Staaten im Schnitt für ihr Militär gleich viel aus wie die Industrienationen, nämlich knapp drei Prozent des Jahresbudgets, obwohl sie nur 0,3 Prozent ihrer Bevölkerung unter Waffen halten, die Industrienationen

dagegen mehr als 0,9 Prozent.

Doch wie so oft in Schwarzafrika liegen hier Wirkung und Ursache dicht nebeneinander. Der britische Geograph und Afrikakenner Phil O'Keefe behandelt in seinem Essay „Arms and Development“ das seltsame Zusam-menspiel zwischen Hunger und Krieg in den Sahel-Staaten. Man könne, so der Engländer, an Hand von Militärausgaben einzelner Afrikastaaten eine Art „Frühwarnsystem“ für die Hungerkatastrophen errichten.

Im Katastrophenjahr 1983 gaben die Sahel-Staaten Angola, Mozambique, Tschad, Sudan und Äthiopien erstmals mehr Geld für die Waffen als für die Nahrungsmittelimporte aus.

In Äthiopiens Hungerprovinz Tigre kämpfen seit Jahren die TPLF-Guerillas (Tigre Peoples Liberation Front) gegen die mar-xistisch-orientierte Zentralregie-

rung in Addis Abeba. Oft beteuert die ebenfalls marxistisch orientierte TPLF, die Zentralregierung habe Großartiges geleistet, vor allem im Bereich der Agrarreform, was noch fehle, sei die „Machtergreifung durch die Massen“. Im Unterschied zu den anderen Guerillaorganisationen Äthiopiens ist die TPLF nicht einmal separatistisch, sondern tritt schon wegen der Stammesverwandtschaft mit dem Führungsvolk der Amharen für ein

einheitliches Äthiopien ein.

Doch die TPLF kämpft einfach weiter, weil ihr die anhaltende Hungersnot keine andere Wahl läßt. Und solche Beispiele gibt es viele. Einmal begonnene Kriege nehmen in Afrika ihren eigenen Lauf. Es scheint tatsächlich so, wie es der aus Burkina Fasso stammende Historiker Joseph Ki'Zerbo einmal ausdrückte: „Die Kanonen haben auf dem Schwarzen Kontinent keine Seele und kein Gewissen.“

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