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Kantonisierung Bosniens

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Wie schon auf der Londoner Jugoslawien-Konferenz Ende August, so unterbreiten auch bei den Gesprächen in Genf die bosnischen Konfliktparteien ihre Lösungsvorstellungen und verhandeln darüber. Drei Lösungsmodelle stehen zur Debatte.

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Wie schon auf der Londoner Jugoslawien-Konferenz Ende August, so unterbreiten auch bei den Gesprächen in Genf die bosnischen Konfliktparteien ihre Lösungsvorstellungen und verhandeln darüber. Drei Lösungsmodelle stehen zur Debatte.

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□ Radovan Karadzic als Chef der von bosnischen Serben ausgerufenen Serbischen Republik Bosnien, fordert die Errichtung dreier unabhängiger Republiken, einer serbischen, einer kroatischen undeinermoslemischen. Diese drei Teilstaaten könnten in einer Konföderation zusammengeschlossen werden, in der aber jeder seine volle Unabhängigkeit bewahren müßte.

Ironischerweise entspricht diese Vorstellung den 1989/90 von Kroatien und Slowenien in Belgrad unterbreiteten Vorschlägen hinsichtlich des Fortbestehens Jugoslawiens als einer Konföderation unabhängiger Staaten. Damals hatte der serbische Ministerpräsident Slobodan Milosevic diese Vorschläge empört als Separatismus zurückgewiesen und ihre Autoren als Zerstörer Jugoslawiens beschimpft.

Im Falle Bosniens wäre ein solches Arrangement insofern undurchführbar, als die Siedlungsgebiete der drei Bevölkerungsteile nicht zusammenhängend sind. Kroaten sind gerade im Süden, speziell in der Herzegowina vertreten, weniger im nordwestlichen, an Kroatien anschließenden Landesteil. Die Moslems waren bis zu ihrer Vertreibung im Frühjahr am stärksten im Osten entlang der serbischen Grenze konzentriert, sowie im Nordwesten, an der Grenze zu Kroatien, und im Süden, an der Grenze zu Montenegro.

70 Prozent in Serbenhand

Durch die „ethnischen Säuberungen“ wurden die meisten Moslems aus dem Osten entfernt. Das ermöglicht es den Groß-Serben, ihren bosnischen Teilstaat mit Serbien zu verbinden. Wichtig sind ihnen dabei die Verkehrsverbindungen zum serbischen Teilstaat in Kroatien. Um diese voll in den Griff zu bekommen, müßten selbst die wenigen, den Moslems noch verbliebenen Zentren wie Bihac und Tuzla genommen werden, auch Go-ražde im Süden, wegen der Verbindung nach Montenegro.

Da die Groß-Serben auch wenigstens die Hälfte Sarajewos ihrer Teilrepublik eingliedem wollen, muß man sich fragen, was eigentlich den Moslems verbleiben soll. Der bosnischen Regierung unterstehen nur noch knapp zehn Prozent des Territoriums, und das sind gerade Sarajewo, Tuzla, Go-ražde und Bihac. Die Serben halten 70 Prozent besetzt undKaradžic erklärte sich bereit, im Rahmen einer politischen Verständigung fünf Prozent davon zurückzugeben. Bei seinen Versuchen, auf der Londoner Konferenz als Teilnehmer zugelassen zu werden, erhöhte er den Anteil der territorialen Konzessionen auf 20 Prozent.

Die Frage ist nur, wo sollte das sein? Zehn plus 20, das wären 30 Prozent für die Moslems. 30 Prozent des Landes für 50 Prozent der Bevölkerung, also immer noch ein totales Mißverhältnis (zu den üblicherweise mit 44 Prozent angegebenen Moslems muß man neuerdings noch wenigstens jene sechs Prozent dazurechnen, die sich früher als „Jugoslawen“ deklarierten denn als Moslems. Bei den Groß-Serben gilt ja jeder als Moslem, der einen Moslem zum Onkel hat).

Klare Angaben zur konkreten Gestalt des den Moslems zugestandenen Reservats werden nicht gemacht, keine Orte vorgeschlagen, Grenzen genannt oder Karten vorgezeigt. Das Ganze sieht mehr nach Verspottung als nach ernsthaften Lösungsvorschlägen aus.

Außerdem scheint Karadzic keineswegs der unangefochtene Serbenfüh-rer Bosniens zu sein. Er tritt gern auf, ist redselig und hat einen Vertrag mit einer britischen Werbefirma, die seine Anliegen fachgerecht vermarktet. Damit ist er der serbischen Sache dienlich. Im Hinterland aber wird die Macht von anderen ausgeübt, die allein auf den Sieg der Waffen setzen, die politische Gespräche nicht für der Mühe wert halten und sich ganz auf die Schaffung vollendeter Tatsachen konzentrieren. Über Jugoslawiens Nachrichtenagentur Tanjug forderte der Parlamentspräsident der Serbischen Republik Bosnien die Konferenzteilnehmer in Genf auf, sie sollten gefälligst seiner Teilrepublik das Recht zubilligen, sich dem Staat ihrer Wahl anzuschließen.

□ Die bosnischen Kroaten schlagen eine Kantonisierung nach Schweizer Muster vor, machen jedoch wenig Hehl daraus, daß sie einige an Kroatien grenzende Gebiete direkt mit Kroatien verbinden wollen. Auch sie riefen in Bosnien einen Teilstaat aus, eine Republik Herzegowina-Bosnien. Ihre wichtigste politische Organisation nennt sich „Kroatische Demokratische Gemeinschaft“.

Deren Vorsitzender, Milenko Brik, befürwortet die Schaffung einer Bundesrepublik Bosnien, die sich aus drei separaten politischen Einheiten zusammensetzen soll. Brik betont, daß sein Plan die Erhaltung Bosniens vorsieht, während es den Serben mit ihrem Vorschlag von einer Konföderation letztlich doch nur um die Schaffung eines serbischen Staates auf bosnischem Boden ginge - als Vorstufe zum Anschluß an Serbien beziehungsweise Rumpf-Jugoslawien.

Die Vorstellungen des bosnischen Präsidenten Alija Izetbegovic von einem pluralistischen Einheitsstaat wird von Kroaten als „lächerlich“ zurückgewiesen, das heißt, die kroatischen Vorstellungen kommen denen der Serben doch näher als denen der Moslems.

Die Vorschläge lassen mehr Fragen offen, als sie beantworten. Im Hinblick auf die kroatischen Gebietsforderungen sind sie konkret, nicht aber auf die der Moslems. Jene bekämenauch nach kroatischen Vorstellungen nicht die ihnen zustehenden 45 bis 50 Prozent des Territoriums.

Die Stärke der Vorschläge liegt darin, daß sie von etlichen europäischen Staaten und Politikern mehr oder weniger gutgeheißen werden. Auch in Regierungskreisen Washingtons ist man des jugoslawischen Dramas überdrüssig und möchte um jeden Preis schnell eine Lösung herbeigeführt sehen. Kantonisierung ist für manch einen zur Zauberformel geworden, ohne daß viel darüber nachgedacht wird, was das wirklich beinhaltet. Sicher ist man sich darüber im klaren, daß dabei Härten in Kauf genommen werden müssen, doch zieht man das den Greueln der ethnischen Säuberungen vor, und eine andere Lösung scheint man sich nicht vorstellen zu können. Wer glaubt noch an die Möglichkeit eines friedlichen Zusammenlebens?

Moslems im Reservat

□ Die Moslems, vertreten durch Präsident Izetbegovicund die „Demokratische Aktionspartei“ (SDA) bestehen auf der Erhaltung Bosniens als Einheitsstaat. Der soll demokratisch, pluralistisch, säkularistisch und stark dezentralisiert sein. Vor Ausbruch der Feindseligkeiten hatte Izetbegovic Vorstellungen entwickelt, die von manchen Beobachtern als Kantonisierung verstanden oder interpretiert wurden. Zugrunde lag sein Bemühen, Kroaten und Serben klarzumachen, daß die Moslems nicht danach trachteten, den Staat zu dominieren.

Nicht nur die Serben, auch die Kroaten hatten ihm unterstellt, er wolle einen Islamischen Staat errichten, einen ideologischen Staat ä la Khomeini. Deshalb lag ihm sehr daran klarzustellen, daß davon keine Rede sein könne, und daß er nicht einmal einen Säkularstaat der Moslems schaffen wolle, sondern einen Staat aller Bosnier.

Nach den „ethnischen Säuberungen“ gibt es kaum noch etwas zu kan-tonisieren. Eine Umsiedlung in zu diesem Zweck geschaffene Kantone käme der Schaffung von Teilstaaten gleich und würde eine Sinnentfrem-dung des Begriffs Kantonisierung bedeuten. Das Schweizer Modell ist ja nicht durch „ethnische Säuberungen“ entstanden, sondern zeichnet sich gerade dadurch aus, daß der Buntheit des völkischen Musters auf kleinem Raum Rechnung getragen wird.

Die groß-serbischen Absichten liegen nun offen und es versteht sich von selbst, daß ein Kompromiß, also ein serbisches Eingehen auf den Kantoni-sierungsvorschlag, allenfalls Taktik wäre, sozusagen als Übergangslösung vor der späteren Abtrennung der von Serben gehaltenen Gebiete Bosniens. Ob Konföderation oder Kantonisie-” rung, unter den gegebenen Umständen käme beides einer Kapitulation gleich, statt eines Konsenses hätten die Bosnier die Bedingungen der Aggressoren akzeptiert.

In einem moslemischen Ministaat beziehungsweise in moslemischen Kantonen würde sich die frustrierte Bevölkerung mit Sicherheit radikalisieren und mit großer Wahrscheinlichkeit islamistischer Agitation erliegen.

Die Moslems kämen sich vor, als hätte man sie in Käfige eingesperrt oder in ein Reservat gepfercht. Für die meisten wäre das noch nicht einmal ihre Heimat, wohl aber befänden sie sich in der Nachbarschaft ihrer früheren Wohnorte und könnten bei gutem Wetter jene vielleicht sogar in der Feme sehen, also wie Palästinenser in Jordanien, im Libanon oder auf der Westbank.

Das wiederum würde zu Spannungen und Feindseligkeiten mit den benachbarten Teilstaaten beziehungsweise Kantonen führen. Dazu kämen dann die wirtschaftlichen Probleme. Angesichts des vorerst unüberbrückbaren Hasses müßten sich die Kantone durch Stacheldraht und Minenfelder gegeneinander absichem.

Multinationaler Charakter

All diese Überlegungen kommen vorerst gar nicht zur Sprache. Izetbegovic steht einem Modell vor, dem Modell Bosnien: einer multikonfessionellen, multikulturellen und - wenn man so will - auch multi-ethnischen Gesellschaft, nunmehr auf ihre Quintessenz reduziert, auf die Hauptstadt, in der noch immer auch Serben, Kroaten, Juden und Zigeuner ihr Leben geben - für das zum Ideal gewordene pluralistische Sarajewo.

Ein in seiner Heimatstadt verbliebener serbisch-bosnischer Politologe, Zoran Pajic, Professor an der Universität Sarajewo, sagt dazu: „Ich kann mich nur als Bosnier betrachten, und Bosnien ist ein Teil Europas. Wenn die Europäische Gemeinschaft überhaupt etwas auf ihre eigene Würde gibt, dann muß sie den Plan zur Kantonisierung Bosniens ad acta legen und uns helfen, sowohl unsere Grenzen als auch unseren multinationalen Charakter zu bewahren.“

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