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Kapitalismus aus dem Koran

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Gibt es einen „islamischen Weg" zum Kapitalismus? Im Iran stehen nach dem Wahlsieg Haschemi Rafsandschanis in Wirtschaft und Gesellschaft die Zeichen ganz auf Reformkurs. In Pakistan dagegen setzt die politische Führung trotz islamischer Ideologie rücksichtslos auf schnellen Profit.

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Gibt es einen „islamischen Weg" zum Kapitalismus? Im Iran stehen nach dem Wahlsieg Haschemi Rafsandschanis in Wirtschaft und Gesellschaft die Zeichen ganz auf Reformkurs. In Pakistan dagegen setzt die politische Führung trotz islamischer Ideologie rücksichtslos auf schnellen Profit.

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Als 1979 mit Khomeini einige junge Sozialrevolutionäre im Iran an die Macht gelangten, wurde mancherorts erwartet, daß es damit zu einer völligen Umgestaltung der Wirtschaft kommen würde. Seinerzeit konnte man ohne Bedenken von einem populistischen Flügel in der neuen Regierung sprechen, der sich um Abol Hassan Banisadr kristallisierte, den in Frankreich ausgebildeten Präsidenten der Revolutionsregierung.

Banisadr hatte sich in Paris mit Ideologen des Dritte-Welt-Revolutio-' nismus auseinandergesetzt und war auch mit den Diskussionen über Entwicklungsstrategien vertraut, die sich an europäischen Universitäten mit der westlichen Entwicklungshilfe für Afrika und Asien kritisch auseinandersetzten und Alternativen entwik-kelten. Banisadr hatte ein Buch dazu verfaßt, das zwar für westlichen Geschmack schwerverdaulich schien, weil es mit zu viel religiöser Terminologie durchsetzt war, dennoch aber erkennen ließ, daß hier die Ergebnisse jener Expertendiskussionen eingeflossen waren.

Eghtessade Tauhid („Die auf der göttlichen Einheit basierende Wirtschaft") war mit Zitaten aus dem Koran gespickt, die meist in keiner rechten Beziehung zu den wirtschaftlichen Aussagen standen. Auch wies das Buch den Autor keineswegs als einen originellen Denker aus, doch war es nicht unbedeutsam, daß auf diese Weise frisches Denken aus den Kreisen einer neuen Generation von Entwickungsexperten in die revolutionäre Szene Irans transponiert wurde. ;

Die angestrebte Grundbedürfnisstrategie sollte zu einer Veränderung der Importpolitik führen, Investitionsgüter hätten Vprrang erhalten gegenüber Vebrauchsgütern. Die erhöhte Forderung nach Technologietransfer hätte sich mit einer Verlagerung des Entwicklungsschwerpunkts auf Landwirtschaft und Mittelindustrie verbunden. Die angestrebte Binnenorientierung hätte eine einstweilige Einschränkung des Rohstoffexports zur Folge gehabt.

Es sollte zwar nicht zu einem Stillstand des sozialen Wandels oder gar einer Umkehr kommen, wohl aber zu einer Verlangsamung, daher Verzicht auf zu komplizierte wissenschaftliche und technische Einrichtungen, deren Auswirkungen auf die Veränderung der Gesellschaft schlecht überschaubar sind. Stattdessen sollte die technische Entwicklung mit der gesellschaftlichen Schritt halten oder ihr zumindest nicht allzu weit voraneilen. Entwicklungsprojekte sollten „menschlich" bleiben, das heißt, die Iraner und Gläubige in anderen Ländern sollten in der Lage sein, sie selbst zu handhaben und unter Kontrolle zu bringen. Qualität sollte Vorrang über Quantität erhalten.

Die hohen Erwartungen mancher westlicher Beobachter gründeten teilweise auf der Überlegung, daß der Sozialrevolutionäre Flügel des islamistischen Regimes in seiner Auseinandersetzung mit den Mullahs auf die Unterstützung durch Teile des sozialistischen Spektrums nicht verzichten würde. Dadurch hätte er sich womöglich von den anachronistischen Elementen des Islamismus fortentwickelt.

Interessant war der Kontrast zum damals ebenfalls islamistisch regierten Pakistan. Fachkundige schauten gebannt auf zwei gegensätzliche islamistische Modelle, die in Konkurrenz zueinander zu treten schienen. In Pakistan war unter dem früheren Ministerpräsidenten Ali Bhutto - also vor dem Islamismus - viel von dem in Angriff genommen und teilweise auch verwirklicht worden, was nun islamistischen Populisten wie Banisadr gerade als eigenständige islamische Entwicklung vorschwebte. Obwohl in Eghtessade Tauhid vieles unklar und verschwommen blieb, deuteten die Ansätze doch in jene Richtung, die Pakistan 1971 ganz konkret eingeschlagen hatte, nämlich eine an den Grundbedürfnissen orientierte auto-zentristische, binnenorientierte Wirtschaftspolitik, in der die Förderung der Landwirtschaft Vorrang hat.

Im Vergleich zu den Kadern, nach dem Aderlaß der Revolution verblieben, die Khomeini zur Verfügung standen, hatte Bhutto eine sowohl quantitativ als auch qualitativ stärkere Technokratenschicht zur Seite, die überdies ideologisch motiviert war, allerdings nicht für den Islamismus, sondern für eine Islamische Sozialdemokratie. Der Sturz des Bhutto vorangegangenen pakistanischen Präsidenten General Ayub Khan 1969 zeigte einige Parallelen zum Sturz des Schahs 1979, zumindest was die Diskussion um das fehlgeschlagene Entwicklungsmodell betrifft. Die Konsequenzen, die die „islamisch-sozialdemokratischen" Pakistaner um Bhutto damals daraus zogen, nahmen viel von dem vorweg, was die islamistischen Iraner um Banisadr 1979 aus der Analyse der Fehlentwicklungen ihres Landes folgerten.

Bezeichnenderweise machten aber die pakistanischen Islamisten, als sie 1977 Bhutto inhaftierten (und 1979 hinrichteten) das meiste davon wiederrückgängig, geradezu so, als wollten sie jede Spur der „sozialistischen Experimente" austilgen und das Rad wieder auf die einst so viel geschmähte Ayub-Ära zurückschrauben. An Arbeitern und Bauern wurde gewissermaßen Rache genommen, die Landwirtschaft wieder zugunsten der Industrie vernachlässigt.

Nachdem sich unter der Islamischen Sozialdemokratie eine Revolution des Landes gegen die Stadt ereignet hatte, kam es unter den Islamisten zu einer erfolgreichen Konterrevolution der Stadt gegen das Land. Bhutto hatte den linken Flügel seiner PPP (Pakistanische Volkspartei) stets zur Besonnenheit gemahnt, und zwar mit Hinweisen auf das chilenische Beispiel. Tatsächlich verfolgten später die Technokraten im Dienst des islamistischen Generals Zia ul-Haq eine ähnliche Politik wie das Pinochet-Regime, und zwar ebenfalls nichtohne wirtschaftlichen Erfolg.

Dadurch wurde die Entwicklungspolitik der westlichen Staaten vor widersprüchliche Anforderungen gestellt. Die Forderungen der iranischen Populisten um Banisadr wurden von manch europäischen Entwicklungspolitikern im wesentlichen geteilt - kam doch die Kritik an der Großmannssucht und Konzeptions-losigkeit unter dem Schah nicht nur von oppositionellen Iranern, sondern gerade von westlichen Fachleuten. Zumindest speisten sich die Ansätze der islamistischen Revolutionäre zu einem guten Teil aus der Selbstkritik der europäischen Entwicklungspolitik.

Ganz anders der Fall Pakistan. Hier kehrte man im Namen des Islamismus zu einer Entwicklungspolitik zurück, der nicht nur die demokratisch gewählte Regierung Bhutto den Rücken gekehrt hatte, sondern die auch, zumindest in groben Zügen, von vielen westlichen Entwicklungsstrategen als ungeeignet erkannt worden war- von der Milton-Friedman-Schu-le mit ihren Experten-Teams („Chicago Boys") einmal abgesehen.

Seither sieht sich der westliche Entwicklungspartner in Pakistan einem Machiavellismus in Reinkultur gegenüber. Islam steht nicht für soziale Gerechtigkeit und eine egalitäre Gesellschaft (wie etwa in der islamistischen Literatur Nordafrikas), sondern für rücksichtsloses Machtstreben und Prinzipienlosigkeit.

Beispielhaft dafür ist der Menschenexport. Beim Export von Arbeitskräften und Truppen in andere Staaten (vor allem arabische) wird kaum der Versuch einer ideologischen Rechtfertigung unternommen, es ist einfach ein Geschäft, das Devisen einbringt und das überbevölkerte Land entlastet.

In diesem Punkt hatte allerdings bereits Ali Bhutto gegen die Prinzipien seiner Pakistanischen Volkspartei verstoßen. Bei seiner Antrittsrede als Ministerpräsident rief besonders ein Satz Begeisterung hervor: „I shall bring the talent back!" Mit anderen Worten, den Zehntausenden von hochqualifizierten Ärzten, Architekten, Ingenieuren, Buchhaltern, Professoren und Unternehmern, die sich ihr Brot hauptsächlich in England und den USA verdienen müssen, sollten in Pakistan günstige Arbeitsbedingungen geboten werden, damit das Land von seinem eindrucksvollen Bildungspotential profitieren könne. Dieses Versprechen löste die Islamische Sozialdemokratie jedoch nur bedingt ein, Bhutto hatte den Mund zu voll genommen. Die Islamisten ermüdeten nicht, ihm das vorzuwerfen, kaum waren sie jedoch an der Macht, wurde der Menschenexport erst recht angekurbelt, sind doch die mehr als zwei Millionen Auslandspakistaner eine der wichtigsten Einnahmequellen des Landes.

Man kann also bei den Islamisten keineswegs von einer prinzipienhaf-ten Ablehnung all dessen sprechen, was die Pakistanische Volkspartei verkörperte, wenngleich General Zia ul-Haq und sein derzeitiger Nachfolger, Ministerpräsident Nawäz Sharif, dies für sich in Anspruch nehmen. Was sich hier wirklich abspielt ist zynischer Pragmatismus, dem längerfristiges Entwicklungsdenken fernliegt, und der allein an schnellem Profit orientiert ist.

Im Falle Pakistans ist es daher wenig ergiebig, im Wirtschaftssektor nach Denkanstößen des Islamismus auf die Entwicklungspolitik zu suchen. Profitgierigen westlichen Partnern braucht der pakistanische Islamismus wenig Kopfschmerzen zu bereiten, er stellt keine neuartige Herausforderung in bezug auf Entwicklungskonzeptionen dar. Stattdessen darf munter drauflosgewirtschaftet werden. Eine verantwortungsbewußte Entwicklungspolitik sieht sich dagegen hier in einer ähnlichen Lage wie zur Zeit des Schahs im Iran: Mahner ist nicht der eine vernünftigere Strategie fordernde Dritte-Welt-Partner, sondern die europäische Seite hätte zu Besonnenheit, Mäßigung und Verantwortungsbewußtsein aufzurufen.

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