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Karajan: Mahler und Beethoven

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Herbert von Karajan hat Mahlers Instrumentalsymphonien bisher immer wieder gemieden. Die große Ausnahme war stets das „Lied von der Erde“, das bei den Berliner Philharmonikern einen besonderen Platz im Repertoire hat und auch von Karajan immer wieder gern aufgeführt wird. Aber gerade diese hervorragende Wiedergabe in Salzburgs Großem Festspielhaus wies Karajan, den kühl Emotionen und Effekte kalkulierenden Künstler, als einen Mahler-Interpreten von großem Format aus.

Gewiß, wo Karajan Stimmen führen kann — wie hier den geschmeidigen fülligen Mezzo Christa Ludwigs und den leider wenig imponierenden, weil zu schmächtigen Tenor Rene Kollos — hat er auch schon einen großen Vorteil, ja praktisch gewonnen. Aber dennoch kann er Mahler nicht so fernstehen, wie er gern den Eindruck erweckt... Er hätte sonst wohl kaum eine so leidenschaftlich erregte Aufführung zustandegebracht und das Orchester, seine Berliner, in allen Stimmen mit soviel Raffinement, soviel kammermusikalischem Feingefühl und Gespür für die resignierende Gefühlswelt Mahlers zu führen vermocht. Gerade nach dieser vielbejubelten Wiedergabe wünschte man sich umso mehr Mahlers „Fünfte“ und „Neunte“ unter Karajan in Salzburg.

Weniger Freude machte sein „Berliner“ Konzert mit Beethovens Fünfter. Es klang wie eine Salzburger Olympiade. Unterbot doch Karajan alle bisherigen Beethoven-Rekorde. Die „Fünfte“, im Höllentempo dieser Wiedergabe zwar noch immer beinahe ein Wunder an Präzision, wiewohl das Orchester doch schon etwas darunter litt, glich eher einer Riesenexplosion in Etappen denn einer in jeder Hinsicht wohldisponierten harmonischen Beethoven-Symphonie. So exaltiert ge-schmäcklerisch hat man Beethoven wohl schon lange nicht mehr in Salzburg gehört.

Unklar war vor allem, warum er mit überplastisch modellierten, oft unangenehm herausstechenden Details jedes Gleichgewicht störte und das Werk im Gestus vor allem den großen symphonischen Dichtungen des späten 19. Jahrhunderts annäherte? Auf Kosten der klassischen Proportionen, des Ausschwingens der Themen ...

Großartig in ihrem sinnlichen Leuchten hingegen Schönbergs „Verklärte Nacht“ (op. 4) von 1899, in der Orchesterfassung von 1917. In dieser expressiv übersteigerten Romantik ist Karajan in seinem Element. Stellt sich doch hier ein, was er in den klassischen Werken manchmal so gar nicht zu erzwingen vermag und durch unmäßige Tempoüberschreitungen wettzumachen versucht: die natürliche Leidenschaft, die Ekstase. Sollte er nicht auch die „Gurrelieder“ dirigieren?

Seit 50 Jahren sind die Wiener Philharmoniker den Salzburger Festspielen verbunden, ja sie sind eigentlich deren „Träger“. Mit Herbert von Karajan am Pult feierten sie im Großen Festspielhaus dieses Jubiläum.

Seine Persönlichkeit in einer Wiedergabe wirken zu lassen und Innigkeit und Intimität zu erzeugen, ist zwar in letzter Zeit Karajan weder in seinen Opernaufführungen noch in den Konzerten leichtgefallen. Aber das zweite Orchesterkonzert war da eine großartige Ausnahme, von der man wünschen möchte, daß sie endlich wieder Selbstverständlichkeit wird. Karajan hat schon lange nicht so gelockert dirigiert. Keine Spur von jener kalten Routine der „Figaro“-Premiere, nichts von Kalkül, von Uberzeichnungen in Tempi und Dynamik. Seiner Aufführung von Mozarts Krönungsmesse geben wir dabei vor seinem Bruckner den Vorzug. Verstand doch Karajan da die Ausdruckspalette des Wiener Staatsopernchors und der Wiener Philharmoniker besonders feinfühlig aufzufächern. Imponierend und ungemein sicher geführt wirkte das Solistenquartett mit Edith Mathis, Joanna Simon, Horst R. Laubenthal, Jose van Dam. Ein neuer Beweis, daß Karajan in seinen größten Momenten Festlichkeit, klangliche Eleganz und Verinnerlichung zu verbinden weiß. Prunkvoll, eher großflächig, etwas statisch, aber reich schattiert gestaltete Karajan Bruckners Tedeum. Auch hier spürte man erfreulicherweise nichts von der Glätte und Kühle, mit der er zum Beispiel des Meisters 8. Symphonie „au gout“ darzustellen sich bemüht.

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