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Karajan oder: Die Liebe zur Regie

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Nacht und Nebel regieren auch heuer bei den Salzburger Osterspielen: Herbert von Karajans Inszenierung von Wagners „Tristan und Isolde“, ein Prüfstein des Maestro, an dem er als Musiker gewachsen ist, hat wieder einmal nachgewiesen, welche Diskrepanz zwischen seiner musikalischen und seiner szenischen Konzeption klafft. Hier ein unerhört sensibel, mit Fingerspitzengefühl für feinste psychische Regungen wie für erregende Dramatik gestaltetes musikalisches Modell, das in seiner Uberzeugungskraft stark genug ist, auch alle Eigenwilligkeiten Karajans zu kaschieren, dort eine Regieleistung, mit deren Ungereimtheiten man nicht so recht fertig wird. Eine unglückliche Liebe zur Regie...

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Nacht und Nebel regieren auch heuer bei den Salzburger Osterspielen: Herbert von Karajans Inszenierung von Wagners „Tristan und Isolde“, ein Prüfstein des Maestro, an dem er als Musiker gewachsen ist, hat wieder einmal nachgewiesen, welche Diskrepanz zwischen seiner musikalischen und seiner szenischen Konzeption klafft. Hier ein unerhört sensibel, mit Fingerspitzengefühl für feinste psychische Regungen wie für erregende Dramatik gestaltetes musikalisches Modell, das in seiner Uberzeugungskraft stark genug ist, auch alle Eigenwilligkeiten Karajans zu kaschieren, dort eine Regieleistung, mit deren Ungereimtheiten man nicht so recht fertig wird. Eine unglückliche Liebe zur Regie...

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Es ist keine Frage: Karajan hat das Orchester, seine Berliner Philharmoniker, diesmal bevorzugt behandelt. Es hat stellenweise sogar Vorrang vor den Sängern. Aus dem Orchester steigen all die überhitzte Sinnlichkeit, die Leidenschaft und Besessenheit auf, die man bei den Sängern vermißt. Karajan führt es mit dem ihm eigenen Perfektionsdrill, er jagt es bald in nervösen, ja keuchenden Tempi, bald läßt er die großen Themenbögen erschlaffen. Und immer steigt aus dem Orchester die packende Dramatik auf, die sich auf der Bühne nicht so recht einstellen will. Denn Karajans Regie ist mehr denn je eine Mischung aus antiquiertem, leerem Operngestus, filmischen Breitwandeffekten (Fak-kelaufzug am Schluß des ersten Aktes), symbolischem Theater und Regietricks aus den Arbeiten Wieland Wagners. Freilich, Wagners Enkel „entrückte“ seine Darsteller durch ihr Spiel. Karajan tut's lediglich durch Schleier, Verdunkelung, Nebelschwaden, die die Szenenkonturen bis zur Unkenntlichkeit verwischen. Das führt sogar soweit, daß man reale Ereignisse wie die unvorhergesehene Ankunft König Markes nach der Jagd oder sein Auftauchen auf Burg Kareol mehr ahnt als sieht. Im Nebel klirren Waffen, aus der Mondlandschaft tauchen Gestalten herauf...

Die Breitwandbühne, längst eine unüberwindbare Hypothek, mit der die wenigsten Regisseure fertig werden, tut ein übriges, die Szenen zerfallen zu lassen. Gähnt doch links und rechts der Sänger die große Leere, die auch durch mehr oder minder attraktive Wolkenballungen nicht belebt werden kann. Günther Schneider-Siemssen entwarf die Bühnenbilder: eine karge Mondlandschaft, grau in grau, düster verhangen, eintönig, eine Welt ohne Farben, Kontraste, ohne „Tristan“-Poesie und Traumphantasien ... Lediglich Georges1 Wakhevitchs Kostüme haben leuchtende Farben, aber wer sieht die schon in dieser finstern Einöd!

Wahrscheinlich würde man viele Probleme dieser Inszenierung übersehen, wenn auf der Bühne eine Garde faszinierender Sänger stünde. Aber Karajan trennt sich nicht von seinem Team. Also auch nicht von Jon Vickers, der absolut kein Tristan ist. Es fehlt ihm an Glanz der Stimme, an schönem Timbre, an Feinnervigkeit. Wie oft zerbröseln große thematische Bögen, weil sein Tenor zu brüchig klingt und es bei Vickers nur für gesprochene Deklamation reicht. Helga Derneschs weicher Sopran hat an Kraft, Umfang, Ausdrucksnuancen zugenommen.

Aber es fehlt noch die Reife, Szenen wie das Liebesduett des zweiten Aktes oder den Liebestod voll auszusagen. Außerdem weiß sie manchmal nicht, was sie singt.

Christa Ludwigs Brangäne: eine reife, sehr kultivierte Leistung. Karl Ridderbusch ist ein überzeugender, stimmgewaltiger König Marke. Er hätte zumindest einen großen Auftritt ohne Nebel verdient. Der junge Bernd Weikl, ein sehr begabter junger Tenor, wird in die Partie des Melot erst in zwei, drei Jahren hineingewachsen sein. Walter Berry als Kurwenal: stimmlich schön, aber gerade die Darstellung dieser besonders schwierigen Partie des selbstlosen Freundes ist nicht ganz seine Sache. Gerhard Unger (Hirt) und Peter Schreier (Seemann) gaben ihr Bestes. Wohl einstudiert der Wiener Staatsopernchor.

Das Publikum war von diesem „Tristan“ hingerissen, tobte vor Begeisterung. Ein paar Pfiffe kamen nicht ganz unberechtigt.

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