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Karajans „Stromlinien“—Romantik

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Nicht alle Würfel sind gefallen. Einige Entscheidungen für die Programmgestaltung der Salzburger Festspiele 1975 stehen noch aus. Aber immerhin, die wichtigsten Probleme sind, gelöst: So, daß nun Karajans und Strehlers „Zauberflöte“ erst wieder 1976, und dann in erneuerter Version, aufgenommen wird; nicht zuletzt, weil Karajan mit „Don Carlos“ und „Figaro“ genug zu tun hat; däl3 die Festspiele 1975 mit Böhms und Rennerts „Frau ohne Schatten“ am 26. JuU eröffnet werden; daß die „Burg“, möglicherweise mit einem Shakespeare-Stück, in der Felsenreitschule gastieren wird und — vor allem — daß Strehlers „Spiel der Mächtigen“-Montage so gut wie sicher wieder gezeigt werden wird. Allen Intrigen und Querschüssen der vehementen Gegner des großen Regisseurs zum Trotz; deren Plan, statt dessen ein nicht gerade wesentlich billigeres Ballett zu zeigen, ist jedenfalls endgültig zu Grabe getragen worden. Fest steht für 1975 auch Leonard Bernsteins Debü in Salzburg mit Gustav Mahlers „Achter“, vorerst geplant sind Konzerte mit Carlos Kleiber…

Festlich war auch der Ausklang der diesjährigen Festspiele: Herbert von Karajan dirigierte zwei Konzerte der Berliner Philharmoniker — ein schöner Bogen von Mozarts Divertimento (KV 334) über Tschai- kowskys „Pathéticjue“ und Richard Strauss’ „Heldenleben“ zu Stra- winskys „Psalmensympfionie“ … Aufführungen, ciie , zeigten, daß Karajan das Tief der „Zauhfer- flöten“-Premiere hinter sich gelassen hat und sich vor allem seinen Lieblingswerken wieder mit aller Spannkraft und Dynamik widmet.

Tschaikowskys „Sechste“ gehört ja nun zu diesen auserwäblten Wer-

ken, die er unvergleichlich zu gestalten vermag. Glätte und geschliffene Brillanz, ein straffer Zuschnitt von kühner Modernität… Das alles läßt einen immer wieder staunen. Denn in Karajans Interpretation gehen dabei auch all die Zwischenwerte der Melancholie, aufgestauten Sentiments, getäuschter Hoffnungen und unendlicher Resignation nicht verloren. Er verstaut sie nur gleichsam in eine Klarsichtpackung — Karajans Art von „Stromlinien“- Romantik! —, so daß man zwar mit aller Intensität den Gefühlsreichtum des Komponisten spürt, aber zugleich auch die Struktur des Werks erstaunlich sachlich nachgezeichnet miterlebt. Wie seine Wiedergaben von Bruckners Symphonien gehören jedenfalls seine Tschaikowsky-Deutungen überhaupt zum interessantesten, was man von ihm hören kann.

Problematischer schien uns dagegen die Art, die „Psalmensymphonie“ zu dirigieren. Denn die Härte und Strenge Strawinskys, die schon in der eigenartigen Besetzung mit zwei Klavieren und Harfe, aber ohne Violinen, Bratschen und Klarinetten zum Ausdruck kommt, bemüht sich Karajan im Weichzeichner-Verfahren geschmeidig zu machen. Daß Strawinsky hier die große Geste prunkvoller Messen ebenso zurücknehmen wollte, wie er emotionelle Elemente ausschalten wollte, läßt Karajan etwas vergessen. Seine Berliner musizierten da allzu „schön“, mit samtigen, satt ge- töntfliff Ojc tertÄnbre, druck einer romantìwahen ABegärte rückt ins Blickfeld. Immerhin imponiert aber die Dichte, mit der er den Wiener Staatsopernchor die drei Abschnitte singen läßt: diè Lamentationen wie den sich prächtig steigernden Jubel des Laudate-Satzes stimmt er mit dem flatternden Orchesterklang souverän ab, versetzt die Klangflächen gleichsam in ein Vibrieren. In technischer Hinsicht gab es da einfach keinen Makel. Und das bedeutet bei einem Werk wie der „Psalmensymphonie“ schon sehr viel.

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