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Karfreitag 1993

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Am heurigen Karfreitag werden wie schon an vielen vor ihm und nicht nur an ihm, Menschen bildlich und körperlich ans Kreuz geschlagen oder einem ähnlichen Martyrium zugeführt. An diesem Tage empfinden die Betroffenen in Bosnien und anderwärts ihr Schicksal vielleicht als noch grausamer und stellen sich, auch wenn sie keine Christen sind, bewußter unter das Kreuz und variieren die sieben Worte, die der Erlöser am Kreuz gesprochen hat, bis hin zu dem letzten und fürchterlichen „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?"

Für die Leidgeprüften und die unfreiwilligen Zuschauer und Beobachter ist es nicht ein erhebendes Oratorium, das da in Erinnerung an den Karfreitag aufgeführt wird, wie etwa in der Bergkirche in Eisenstadt, sondern ein Drama, das real und blutig abläuft, wie um das Kreuzesopfer zu wiederholen oder so, als ob Christus nie oder vergebens gestorben wäre.

Doch der Karfreitag ist nicht, wie die Theologie Luthers nahelegt, das höchste Fest der Christenheit, und auch nicht, wie man annehmen könnte, wenn man der Theologie vom Tode Gottes folgt, der Tag, an dem Gott gestorben ist, um sich endgültig von der Welt zu verabschieden und sie ihrem Schicksal zu überlassen.

Im Kreuz ist nicht die Verabschiedung Gottes von der Welt, sondern seine Schicksalseinheit mit ihr symbolisiert. Und der Karfreitag ist nicht das letzte Wort Gottes an und über seine Schöpfung, sondern ein vorletztes, dem die Auferstehung am Ostermorgen folgt.

Es ist schwer, diesen Gedanken zu fassen und diesen Trost zu akzeptieren, wenn man sich in der Situation absoluter Verlassenheit glaubt. Und doch gibt es Menschen, die uns mit ihrem Beispiel voranleuchten, die auch in seiner solchen scheinbar ausweglosen Situation das Licht des Ostertages vorausgeschaut und sich über ihre konkrete Befindlichkeit erhoben haben.

Der Karfreitag war für Christus und ist für uns erst recht die äußerste Herausforderung und Bewährung des Glaubens, der Ölberg und der Kalvarienberg sind und bleiben Stätten, an denen sich Menschen immer wieder aufhalten müssen, an denen sie aber nicht zu verharren brauchen. Zum Glück hört die christliche Heilsgeschichte nicht mit dem Karfreitag auf, sondern führt über ihn hinaus, wenn er auch real erlebte Durchgangsstufe der menschlichen Existenz ist und bleibt. In diesem Sinne kann man Luther folgen, der die Grundstimmung des Christen als „getroste Verzweiflung" charakterisiert, damit aber auch angedeutet hat, daß auch in der Verzweiflung Trost und Hoffnung sind und über die Verzweiflung hinausweisen.

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