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Karl Gruber: Osterreich zwischen den Diktaturen

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Österreichs ehemaliger Außenminister, Dr. Karl Gruber, hat zum zweitenmal zur Feder gegriffen, um in Buchform ein Bekenntnis zu Österreich abzulegen. Das auf jeden Fall ist es, was der Autor unter dem Titel „Ein politisches Leben — Österreichs Weg zwischen den Diktaturen“ getan hat. Ein österreichischer Patriot faßte in Buchform zusammen, was man auch das Protokoll eines politischen Lebens nennen könnte, um im diplomatischen Jargon zu bleiben. In flüssigem Stil zieht Karl Gruber einen historischen Bogen vom österreichischen Widerstand in den März- und Apriltagen 1945 bis zu seinem Übertritt in die Pension, die, wenn man Gruber kennt, sicherlich kein absoluter Ruhestand sein wird. Nimmt man ein Urteil über dieses Buch vorweg, so steht jedenfalls fest, daß der Autor als Minister ein hervorragender Außenpolitiker und im Anschluß daran ein Spitzendiplomat des österreichischen Außendienstes gewesen ist. Daß ihm das Gebiet der Innenpolitik ferne lag — eigentlich ferne liegen mußte — und daß hier Ansätze zu einer notwendigen Kritik seines Buches gegeben sind, mußte sich beinahe von selbst ergeben.

Das Buch beginnt, wie erwähnt, mit der Darstellung des von Gruber organisierten Widerstandes in der letzten NS-Periode. Wer das nicht selbst miterlebt hat, kann nun erfahren, daß der Widerstand in Tirol der bestorganisierte und wirkungsvollste von allen österreichischen Widerstandsorganisationen gewesen ist.

Das hatte seine Ursache in der nur in Tirol beheimateten besonderen politischen Situation wie auch dn der Person Grubers, dem es gelang, die zahlreichen örtlichen Widerstandsgruppen zu einer tatkräftigen und erfolgreichen Einheit zusammenzuschließen. Die einzige, gewissermaßen ebenbürtige österreichische Widerstandsaktion spielte sich — das sei der Vollständigkeit halber hier eingefügt — in Wien ab, als es dem von militärischer Seite geführten Widerstand bekanntlich gelang, einen erfolgreichen Kontakt mit den sowjetischen Truppen so rechtzeitig herzustellen, daß die Stadt Wien aus den unmittelbaren Kampfhandlungen im letzten Augenblick noch herausgehalten werden konnte. Gruber jedenfalls gelang es, in Tirol schon knapp vor dem Eintreffen amerikanischer Truppen so etwas wie eine österreichische Verwaltung herzustellen, die imstande war, zum Zeitpunkt Null nicht nur ein Chaos zu verhindern, sondern auch die Verwaltung des Landes wenigstens notdürftig einzurichten.

Gruber rechnet in seinem Buch auch scharf mit der Politik Schusch-niggs ab, die „es versäumte, die innere Widerstandskraft der Österreicher zu mobilisieren. Unsere Regierung war den Weg nach Berchtesgaden gegangen und gleichsam in Handschellen zurückgekehrt. Eine Regierung dankt aber besser ab, bevor sie mit einer ausländischen Macht Verträge schließt, die terroristischen Gruppen offiziell Operationsbasen einräumen. Das aber hatte Schuschnigg bereits in Berchtesgaden getan“ (Seite 8).

Dieses Urteil ist nach meinem Dafürhalten zu hart. Es übersieht, daß Österreich seit 1936, also seit der Annäherung Mussolinis an Hitler, praktisch allein in der Welt dastand und die Regierung daher einen einzigen Weg, den des Zeitgewinns sah, der allein möglicherweise versprach, daß sich die außenpolitische Situation des Landes wieder bessern könnte. Gruber selbst berichtet: „Weit und breit gab es niemanden, der den modernen Diktatoren... wirksam entgegentreten hätte können“ (Seite 8). Da dem aber so war, blieb eben der österreichischen Regierung keine andere Wahl als die eines möglichen Zeitgewinns. Daß auch diese Karte ein Nonvaleur war, ist inzwischen historische Wahrheit geworden.

In seinen weiteren Darlegungen schildert der Autor sodann das Kernproblem der Wochen und Monate nach dem Waffenstillstand und der Installierung der vierfachen Besetzung Österreichs, was getan und unterlassen werden mußte, um eine endgültige Zerreißung Österreichs, wie sie später Deutschland erfuhr, zu verhindern. „Es gab aber nur eine ganz schmale Durchfahrt zwischen der Scylla der Zerreißung und der Charybdis der kommunistischen Machtübernahme und dort mußten wir durch“ (Seite 36).

Bei dieser und vielen folgenden Gelegenheiten schildert er auch die Schwierigkeiten, die sich daraus ergaben, daß vor allem die amerikanische Seite damals keineswegs anti-russisch eingestellt gewesen wäre, ja, daß es geradezu riskant war, mit amerikanischen Funktionären über die Gefahren der sowjetischen Besetzung zu sprechen. Im späteren Verlauf, wenn er auf die Vorbereitungen zum Staatsvertrag zu sprechen kommt, meint er auch, daß es keineswegs nur die sowjetische Seite gewesen sei, die das Zustandekommen des Staatsvertrages so lang verzögerte, sondern daß auch — vor allem aus militärischen Gründen — die amerikanische Seite lang genug, wenn schon nicht Schwierigkeiten gemacht, so sich doch sehr zögernd verhalten habe. Eine Auffassung, von der Gruber selbst zugibt, daß er sich damit in Widerspruch zu den meisten österreichischen Politikern befunden habe. Eine endgültige Klarstellung wird sich, wenn überhaupt, wohl erst einmal ergeben, wenn die diesbezüglichen amerikanischen Archive geöffnet werden. Sicher aber muß man Gruber — das geht aus seinen Berichten über seine. Botschaftertätigkeit in den USA immer wieder hervor — zubilligen, daß er das amerikanische Volk und seine Mentalität sehr gut kennengelernt hat. Was er darüber aussagt, entspricht wohl der Wahrheit und mag für jetzt und für die Zukunft der österreichischen' Außenpolitik ein wichtiger Hinweis sein.

Das gleiche gilt von dem Urteil, das der Autor über die Politik des Kommunismus aussagt, als deren wichtigsten Faktor er die Entschlossenheit der kommunistischen Regierungen, insbesondere natürlich der Sowjetunion, darlegt, die nur Fakten zur Kenntnis nehmen. Westliche Demokratien dürften sich dabei weder noch so gut gemeinter Versprechungen, noch auch einer Liebedienerei bedienen.

Gruber war es auch, der als Sprecher der von den westlichen Alliierten besetzten Bundesländer von allem Anfang an zunächst auf Kontakte, dann aber auch auf gemeinsame Beschlüsse aller Bundesländer drängte, wobei er erfolgreich bemüht war, das ursprüngliche Mißtrauen der westlichen Seite gegenüber der Regierung Renner zu zerstreuen. Die Länderkonferenzen in Salzburg und Wien brachten ja auch eine gemeinsame provisorische Regierung für ganz Österreich, der Gruber als Unterstaatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten, unmittelbar dem Staatskanzler Renner unterstellt, angehörte.

So darf er auch mit Recht für sich in Anspruch nehmen, einer der Architekten gewesen zu sein, die die Einheit Österreichs schmiedeten. Aber es entsprach seiner politischen Uberzeugung und vor allem auch seinem Charakter, daß er in manchem Urteil über die sowjetische Politik manchen Schritt zu weit ging, was ahm schließlich den Ruf eintrug, geradezu der Exponent einer antisowjetischen, österreichischen Politik zu sein. So gut Gruber die Amerikaner kannte, so überschätzte er auch die sowjetische Politik gegenüber Österreich, was sich auch in der Innenpolitik auszuwirken begann.

Hievon wurde auch Grubers Auffassung über die innerpolitischen Verhältnisse geprägt. Deutlich kommt dies in seinen kritischen Bemerkungen über die Parteien der damaligen Zeit zum Ausdruck, wenn er etwa ausschließlich . den österreichischen Bauernbund und den Gewerkschaftsbund als standfeste Säulen gegen eine kommunistische Infiltration herausstellt und übersieht, daß die von Leopold Figl gegenüber der sowjetischen Besatzungsmacht betriebene Politik die einzig mögliche der damaligen Zeit gewesen ist.

Wenn wir auf Seite 105 lesen: „Wie immer dem auch sein mochte, von da an war der rechte Flügel der österreichischen Volkspartei (gemeint ist vor allem der österreichische Wirtschaftsbund) bestrebt, sich die Gunst der Sowjetunion zu erwerben“, so ist schon daraus ersichtlich, wohin ihn der Mangel an ausreichender Kenntnis der inneren politischen Kräfte führte.

Die deutliche Spitze gegen den Gründer und Obmann des Wirt-schaftsbundes, Julius Raab, kommt wiederholt zum Ausdruck, und das sind auch die schwächsten Stellen dieses Buches, da sie das offensichtlich noch immer vorhandene Ressentiment des Autors gegenüber diesem großen Österreicher deutlich machen, der seinerseits Gruber besonders geschätzt hat, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, da dieser noch als aktiver Minister sein erstes Buch veröffentlichte. Gruber berichtet, daß Raab angeblich das Manuskript dieses ersten Buches vor seiner Veröffentlichung gekannt haben müsse. Dieser Aussage steht meine eigene Erinnerung entgegen, derzufolge mir Raab nach dem Erscheinen des Buches selbst erklärt hat, wie sehr er sowohl über den Inhalt, als auch darüber schockiert sei, daß ein Außenminister noch während seiner Aktivitätszeit überhaupt ein Memoirenbuch herausbringe und daß deshalb ein weiteres Verbleiben Grubers in der Bundesregierung unmöglich sei.

Wie immer aber auch der Sachverhalt gewesen sein mag, sicherlich spielte für die Entlassung Grubers auch die Überlegung des Bundeskanzlers eine Rolle, daß dieser in Moskau so etwas wie eine persona non grata war, die Raab als ein mögliches Hindernis für den Abschluß eines Staatsvertrages angesehen haben könnte. Daß der Bundeskanzler seinen ehemaligen Außenminister aber als Botschafter in die Vereinigten Staaten schickte, war ohne Zweifel eine wohlüberlegte und glückliche Entscheidung, denn .wir erfahren aus Grubers Buch nun, welche wichtige und mitunter schwierige Aufbereitungsarbeit der neue österreichische Botschafter in Washington für den Staatsvertrag leisten mußte. Wenn es wirklich amerikanische Bedenken gegen den Staatsvertrag gegeben hat, dann ist es auch Grubers Verdienst, daß diese ausgeräumt werden konnten. Seine zahlreichen freundschaftlichen Beziehungen mit den wichtigsten amerikanischen Politikern bis hinauf zum Präsidenten waren ein unschätzbarer Dienst für die Bemühungen um die österreichische Freiheit, was nicht vergessen werden soll, wenn auch Grubers Unterschrift nicht unter dem Staatsvertragsdokument steht.

Immer noch von aktuellem Wert ist auch des Autors Aussage über die österreichische Neutralität, bei der es ihm richtigerweise vor allem darauf ankam, daß sie eine von Österreich selbst beschlossene sein müsse und nicht Gegenstand des Staatsvertrages sein dürfe. Man braucht nicht weiter auszuführen, was es heute noch für Österreich bedeutete, wenn die Staatsvertragspartner durch Aufnahme der österreichischen Neutralitätsverpflichtung in den Staatsvertrag über die Auslegung der Neutralität, also über die österreichische Neutralitätspolitik mitreden könnten.

Gruber schreibt darüber: „Bei dieser Sachlage versteht es sich von selbst, daß man die Neutralität bejahen kann. Es muß sich aber um eine Neutralität handeln, die durch die souveränen Organe Österreichs festgelegt und interpretiert wird und die nicht der vertraglichen Bindung gegenüber einer bestimmten Seite unterliegt ... Ein kleiner Staat muß deshalb vor allem darauf bedacht sein, selbst der Herr seiner außenpolitischen Entscheidungen zu bleiben“ (Seite 152). Auch im Zusammenhang mit der österreichischen Integrationspolitik, über die Gruber nur sehr wenig berichtet, da er daran ja nicht beteiligt war, vertritt er bezüglich der österreichischen Neutralität die richtige Auffassung, daß eine solche auch im Falle eines Beitritts zur damaligen EWG nicht berührt werde, jedoch die allgemeine politische Situation den Weg für eine Assoziierung als den richtigen ansehe.

Es ist schon gesagt worden ,daß dem Autor die österreichische InnenPolitik etwas ferne lag, und so muß man die sich damit beschäftigenden Kapitel auch mit kritischem Sinn lesen. Gruber versuchte dreimal, in die österreichische Innenpolitik einzugreifen, es war ihm nie ein Erfolg beschieden. Den ersten Anlauf nahm er mit der Herausgabe seines ersten Buches, in dem er die Aufsehen erregende Besprechung Pigls mit dem wichtigsten Exponenten der Kommunistischen Partei in einer Tendenz darstellte, die den nachträglichen Veröffentlichungen nicht sitandhielt.

Den zweiten Versuch unternahm er nach seiner Rückberufung nach Wien als Berater des Generaldirektors der neu etablierten Atombehörde. Hier ist zunächst einzufügen, daß sich Gruber sowohl um dde Etablderung des Sitzes der Atomibehörde in Wien, als auch um ihre Einrichtung und Führung in der ersten Zeit sehr verdient gemacht hat. Er berichtet aber auch daß ihm seine Heimkehr aus innerpoKtlschen Gründen sehr erwünscht war, weil er sich dadurch den damaligen ,,Reformfoestrebum-gen“ innerhalb der ÖVP besonders widmen konnte.

Seine Meinung über die Volkspar-ted dieser Zeit faßt er in dem harten Satz zusammen: „Während der langen Koaliitfionsjahre hatte sich die österreichische Volkspartei zu einem sterilen Seniorpartner der Soztelisrbi-schen Partei Österreichs entwickelt“ (Seite 192). Und wieder kommen seine Ressentiments zum Ausdruck, wenn er schreibt: ,Auch er (Raab) aber, der als Eineiiger der alten Poli-tdkergarde ein großes persönliches Prestige rndtbrachte, wurde aber durch Speichellecker in seiner engsten Umgebung immer mehr reduziert“ (Seite 193). Ihm stellt Gruiber den steiriischen Landeshauptmann Josef Krainer als mehr oder minder einzigen für die damalige Zeit geeigneten Politiker gegenüber und bedauert schließlich, daß Krainer nicht bereit war, Raab als Bundeskanzler abzulösen, womit die „Reformbestrebungen“ auch gescheitert waren. Denn „immer mehr verstärkte sich inzwischen auch der Eindruck, daß das Raab-Erbe an einen seiner Satelliten gehen werde“.

Mit dem Ende der reformerischen Absiichten Gruibers und seiner Freunde geht Gruber 1961 wieder ins Ausland, diesmal als Botschafter nach Spanien. Fünf Jahre später Wird er Botschafter in Bonn, wohin ihn sein inzwischen zum Bundeskanzler avancierter Freund, Josef Klaus, beruft, „um ihn in der Nähe zu haben“, wie der Bundeskanzler auch mir selbst aus diesem Anlaß sagte. Aber 90 Tage später wird er bei der Installierung der Alleinregie-rung der ÖVP vom Bundeskanzler als Staatssekretär in das Kanzleramt berufen mit der eindeutigen Absicht des Regierungschefs, ihn nun auch in der Innenpolitik wirksam werden zu lassen. Aber auch das dritte Mal kann sich Gruiber — wie er freimütig zugibt — infoige des schließldchen Scheiterns der Politik der damaligen ÖVP nicht durchsetzen. Seine Charakteristik des Obmannes und Kanzlers Klaus, mit dem er sicherlich auch heute noch befreundet ist, ist eine ausgezeichnete Darstellung der innerpoliitischen Entwicklung der vier Jahre der ÖVP-Regierung.

1969 wird Gruber neuerlich Botschafter in Washington, 1972 in Bern und am 31. Dezember 1974 zwingt ihn die amtlich verordnete Altersgrenze in die Pension.

Damit schied ein Mann aus dem unmittelbaren Funlddonärsfoeredch des öffentlichen Lebens, der ein Volüblutpolitiker war und es sicherlich immer sein wird; davon darf man überzeugt sein, wenn man die letzten Seiten dieses Buches aufschlägt: „Der vielleicht etwas unkonventionelle Schlußabschnitt dieses Berichtes, mehr oder weniger jenseits von Politik und Diplomatie, sollte nicht darüber hinwegtäuschen worum es mir in dieser Arbeit ging: Interesse zu erwecken, Interesse für die Dynamik der Zeitgeschichte, für die Wichtigkeit der aktiven Teilnahme aller, vor allem der Jugend, am politischen Tagesgeschehen. ... Wenn ich sonst nichts hätte, was ich weitergeben könnte an die heranwachsende Generation von morgen, so meinen unerschütterlichen Glauben an unser Vaterland Österreich und an die Welt der Freien. Untergehen wird nur, wer sich selbst aufgibt. Davor wollen und müssen wir die Jungen bewahren!“

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