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Karl Popper: "Laßt Hypothesen anstatt Menschen sterben!"

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„Ich glaube, es ist die Pflicht jedes Intellektuellen, sich seiner privilegierten Stellung bewußt zu sein. Er hat die Pflicht, einfach und klar und in einer möglichst zivilisierten Art zu schreiben und weder die Probleme zu vergessen, die die Menschheit bedrängen und ein neues, kühnes und geduldiges Nachdenken erfordern, noch die sokratische Bescheidenheit — die Einsicht des Mannes, der weiß, wie wenig er weiß. Im Gegensatz zu den minuziösen Philosophen mit ihren kleinlichen Problemen sehe ich die Hauptaufgabe der Philosophie darin, kritisch über das Universum und unseren Platz in ihm nachzudenken, sowie über die gefährliche Macht unseres Wissens und unsere Kraft zum Guten und zum Bösen.”

Sir Karl Raimund Popper, von dem diese programmatische Erklärung zur Aufgabe der Philosophie stammt, und der am 28. Juli seinen 80. Geburtstag feiert, ist ein erfolgreicher, populärer, aber auch umstrittener österreichischer Philosoph, der wie viele Österreicher erst außerhalb seiner Heimat bekannt und berühmt geworden ist.

Durch sein in den frühen dreißiger Jahren entwickeltes Konzept der Falsifikation, wie es in der „Logik der Forschung” dargelegt wurde, gab Popper nicht nur der Wissenschafts- und Erkenntnistheorie neue Impulse, sondern überwand auch die einseitigen und engen Ansätze des Neopositivismus, wie er um die gleiche Zeit im „Wiener Kreis” zu einer Hochblüte gelangt war.

Poppers Einsicht, daß in den sogenannten Tatsachenwissenschaften, das heißt den empirisch vorgehenden Wissenschaften, keine Verifikationen, sondern nur die Widerlegung einer Theorie, ihre Falsifikation, maßgeblich sein kann, war nachgerade eine Art Revolution des wissenschaftlichen Forschens und Denkens. Zugleich führte sie auch — in gewissem Sinne gegen jeden Szientismus — den vorläufigen und hypothetischen Charakter unseres Wissens vor und betonte und bestätigte darum dessen vorläufigen und niemals endgültigen Charakter.

Als „kritischer Rationalismus” ist dieser Grundansatz dann weit über alle wissenschaftstheoretischen Diskussionen hinaus zu Weltruhm gelangt. „Trial and error”, Vermutung und Widerlegung, wurden zu einem methodologischen Ansatz, dessen sich die Wissenschaft zugunsten ihres eigenen Fortschrittes bedienen konnte.

Zugleich verband Popper damit aber auch den Verzicht auf eine universale und letzte Erklärung der Wirklichkeit. Theorien können niemals zu einer Art Wesenseinsicht in die Wirklichkeit führen, sie werfen vielmehr neue Probleme auf, denen wir wiederum neue Erklärungsversuche entgegenstellen.

In den Jahren seiner Lehrtätigkeit in Neuseeland während des Zweiten Weltkrieges entstanden die Bücher „Das Elend des Historizismus” und die „Offene Gesellschaft und ihre Feinde”, in denen Popper nicht allein seine Methodologie auf die Probleme der Geschichte und des sozialen Bereiches ausweitete, sondern zugleich auch jene Grundgedanken darlegte, die ihn später zu einem Paradephilosophen der Sozialdemokratie werden ließen.

Spätestens anläßlich des sogenannten „Positivismusstreites” innerhalb der Sozialphilosophie wurde der „kritische Rationalismus”, der hier der „kritischen Theorie” der Frankfurter Schule eines Adorno, Horkheimer oder Habermas gegenüberstand, auch für die politische Szenerie interessant und bedeutsam.

Poppers entschiedene Zurückweisung jedweder totalitären, kollektivistischen und utopischen Sozialphilosophie, deren Urheber er in Piaton erblickt und deren neuzeitliche Hauptvertreter Hegel und Marx gewesen sind, entwarf gegenüber den utopischen Gesellschaftstheorien eine Art „Stückwerk-Technologie”, in der eine „offene Gesellschaft” höchstens eine Minimalisierung des Leides anstreben könne, nicht aber einen utopischen idealen Zustand der Gesellschaft, dessen Realisierung jedes Mittel rechtfertige.

Seither machte der „kritische Rationalismus” viel von sich reden. Sein „altruistischer Individualismus”, sein Bekenntnis zur Toleranz und zu Reformen der kleinen Schritte besticht auch auf den ersten Augenschein, zumal er Toleranz und Freiheit als leitende Wertvorstellungen mit Bescheidenheit und einem Bekenntnis zu humanitärer Politik verbindet. „Laßt Hypothesen anstatt Menschen sterben” ist ebenso ein beliebter Slogan geworden, wie die Forderung, die Politik zu versittlichen und nicht die Sitten zu verpolitisieren.

Gerade aber das Setzen auf Vernunft und Rationalität, auch auf eine „kritische”, legt zugleich auch die Tendenz zu Einseitigkeiten dieses Ansatzes bloß, die sich nicht allein bei den Adepten Poppers, sondern auch in seinem Denken selbst vorfinden. Der absolute Vorrang der Vernunft als alleiniger Instanz auch und vor allem im Bereich des Handelns, der Ethik kann sich als zu schmal erweisen, um die Probleme unserer hochentwickelten Gesellschaften zu lösen.

Die Hoffnung, die Kluft zwischen der Wissenschaft, deren freien Fortschritt Popper so sehr” befürwortet,und unserer Lebenspraxis allein durch eine rationaltechnologische Brücke überwinden zu können, ist in den letzten Jahren gründlich zerzaust worden. Intellektualismus und Empirismus, auch wenn sie sich als „kritisch” verstehen, reichen nicht aus, um jenen Konflikten gerecht zu werden, die uns gerade durch sie beschert worden sind. Darum bleibt Skepsis auch gegenüber der „kritischen Rationalität” angebracht und notwendig.

Aber was anderes kann sich ein „kritischer Rationalist” wünschen als kritische Auseinandersetzung und kritisches Weiterdenken?

Der Autor ist Professor für Philosophie an der Universität Wien.

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