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Karl Rahner nimmt zu Küngs Lehren Stellung

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Seit der Erklärung der Römischen Glaubenskongregation reißen die Debatten über die Causa Küng nicht ab. Wenige sind über die theologischen Aspekte der Auseinandersetzung so gut unterrichtet wie Univ.-Prof. Karl Rahner, wohl einer der bekanntesten zeitgenössischen Theologen. Mit ihm sprach Gerhard Ruis.

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Seit der Erklärung der Römischen Glaubenskongregation reißen die Debatten über die Causa Küng nicht ab. Wenige sind über die theologischen Aspekte der Auseinandersetzung so gut unterrichtet wie Univ.-Prof. Karl Rahner, wohl einer der bekanntesten zeitgenössischen Theologen. Mit ihm sprach Gerhard Ruis.

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FURCHE: Pater Rahner, repräsentiert Hans Küng die moderne Theologie schlechthin? Wird in manchen seiner verurteilten Thesen die gesamte neuere katholische Theologie mitverurteilt?
RAHNER: Natürlich bin ich nicht der Überzeugung, daß Hans Küng einfach der Repräsentant der katholischen Theologie von heute ist. Auch in Deutschland gibt es andere Theologen, denken Sie an Walter Kasper, an Karl Lehmann u. a., die vielleicht noch nicht so viel geschrieben haben, aber sicher sich auf einem theologischen Niveau bewegen, das dem Hans Küngs ebenbürtig ist.
Wenn man natürlich fragen würde, welcher Theologe mit seinen Büchern die höchste Auflage erreicht hat, dann ist das zweifellos Hans Küng. Selbst wenn man von daher eine besondere Bevorzugung Hans Küngs ableiten wollte, müßte man mindestens noch darauf achten, daß in anderen Ländern andere Leute auch im religiösen Schrifttum Auflagehöhen erreicht haben, die seinen ebenbürtig sind.
Aber ich möchte es hier betonen: Küng ist ein wichtiger, bedeutender Theologe der Gegenwart innerhalb der katholischen Theologenschaft. Er muß ernstgenommen werden. Aber das Schicksal der katholischen Theologie, von dem Hans Küngs ausschließlich und allein abhängig zu machen, das ginge wirklich zu weit.

FURCHE: Hans Küng nimmt für sich in Anspruch, ihm gehe es „um nichts, als die Wahrheit". Aber genau dies ist auch der Anspruch von Papst und Bischöfen. Hier scheint der Punkt zu sein, der den Konflikt so unerbittlich macht.
RAHNER: Selbstverständlich ist jedem Theologen, der schreibt, bis zum strikten Beweis des Gegenteils, der hier sicher nicht erbracht ist, die Präsumtion einzuräumen, daß es ihm um die Wahrheit und sonst nichts geht. Diese löbliche und letztlich selbstverständliche Absicht beweist natürlich noch nicht, daß der betreffende (Theologe) recht hat.
In tausend Streitigkeiten innerhalb der Theologie, der Philosophie, überhaupt weltanschaulicher Fragen, geht es immer um die Wahrheit. Jeder, der sich dabei zu Wort meldet, sucht diese Wahrheit zu sagen und zu vertreten und es ist beim besten Willen nicht möglich, daß immer alle recht haben. Also muß gefragt werden, wer hat nun da Recht.
Dabei ist es dann natürlich so, daß auch bei Einräumung hoher Intelligenz und edelstem Wahrheitsstreben ein solcher Theologe nicht nur irren kann, sondern auch seinen Irrtum mit bestem Wissen und Gewissen vertritt. Wer zum Beispiel als katholischer Theologe, der er war, zur Erkenntnis kommen würde, es existiert Gott nicht, der könnte so etwas bei bestem Wahrheitsgewissen unter Umständen sagen, aber er könnte natürlich dabei nicht gleichzeitig auch noch katholisch sein wollen. Er müßte auf Grund des Spruchs seines Gewissens als ehrlicher Mensch aus der Kirche ausscheiden.
Nun meine ich natürlich in keinster Weise, daß es sich bei Küngs theologischen Lehren und Sondermeinungen um eine so primitiv-fundamentale Frage, wie die Existenz Gottes handelt. Aber es entsteht natürlich doch mindestens die Frage, wer ist hinsichtlich dessen, was in der katholischen Kirche vertreten werden könne und dürfe, was auch im Auftrag der Kirche den jungen Priesteramtskandidaten gelehrt werden dürfe und was nicht, kompetent.>
Und da ist die normale, für mich selbstverständliche katholische Lehre, daß das Glaubensbewußtsein der Kirche zu entscheiden hat. Dieses Glaubensbewußtsein der Kirche äußert sich aber, wenn auch im verschiedenen Grad der Verbindlichkeit, in den amtlichen Erlässen des kirchlichen, römischen Lehramtes.
Küng wird diese Meinung so absolut und verbindlich gerade nicht haben. Küng wird sagen, auch wenn die römische Glaubensbehörde die absolute Verbindlichkeit des I. Vatikanischen Konzils erklärt, auch für die Frage der Katholizität einer Lehre, darin ist eben diese Erklärung selber wieder bezweifelbar und für Küng deshalb unverbindlich. Dantt Entsteht doch natürlich für mein primitives Bewußtsein die Frage, wer entscheidet denn nun eigentlich, was innerhalb der katholischen Kirche als kirchliche Lehre gelehrt werden kann und was nicht.
Küng wird - so wie ich es sehe - (wahrscheinlich) sagen, das entscheidet sich durch den Disput, durch die weitergehende Geschichte des kirchlichen Glaubensbewußtseins, von selbst, während ich mit der katholischen Lehre, sagen wir einmal ganz vorsichtig, der letzten Jahrhunderte, der absoluten Uberzeugung bin, daß es für eine solche Grenzziehung auch eine kompetente Stelle im römischen Lehramt (Papst und Bischöfe) gibt, an welche ich als katholischer Theologe dann gehalten bin.
Wenn ich in einen absoluten Konflikt mit dieser Grenzziehung käme und mein Wahrheitsgewissen mir gebieten würde gegen eine solche Grenzziehung einen absoluten Protest zu erheben, dann müßte ich - so meine ich - die Konsequenz ziehen und sagen: gut, ich bin nicht mehr katholisch.
Ich billige ja unendlich vielen Menschen auf der Welt, auch in der übrigen Christenheit, den guten Glauben zu, sich dafür entschieden zu haben, daß sie guten Wahrheitsgewissens nicht katholisch sein können. Alle Christenheiten in der Welt, die mit dem römischen Papst nicht in einer Einheit leben, sagen doch, daß der Anspruch des Papstes, wie er vom I. Vaticanum umrissen und vom II. Vaticanum wiederholt wurde, für ihr Wahrheitsgewissen nicht annehmbar sei.
Zu einer solchen Meinung kann man verständlicherweise kommen, sonst wären diese unzählig vielen Leute dumm oder böswillig, was ich beides selbstverständlich nicht behaupten kann. Aber ich bleibe bei der Meinung, daß das römische Lehramt das Recht hat, darüber zu befinden, was katholisch gelehrt werden kann und was nicht. Der katholische Theologe bleibt nur dann schlechthin ein katholischer Theologe, wenn er diese römische Grenzziehung respektiert in seiner eigenen Theologie.

FURCHE: Hans Küng sagt zwar klar, daß Jesus Christus der Sohn Gottes ist. Nicht so klar ist jedoch, ob er nach ihm auch der wesensgleiche Sohn Gottes von Ewigkeit her ist. A ber hängt nicht an der vollen Wesensgleichheit Jesu Christi mit dem Vater das Geheimnis menschlicher Erlösung unabdingbar zusammen?RAHNER: Ich habe zwar „Christ sein" von Küng wirklich von vorne bis hinten gelesen - vielleicht gibt es gar nicht so furchtbar viele, die das auch getan haben. Ich muß dabei gestehen, daß ich einen absoluten Affront Küngs gegen ein definiertes Dogma in der Christologie nicht so deutlich oder überhaupt nicht entdecken konnte, wie ich es gegenüber dem Dogma des I. Vaticanums hinsichtlich der Lehrautorität des Papstes glaube entdeckt zu haben.
Es ist doch so: wir haben von Ephe-sus und dem Konzil von Chalzedon zweifellos dogmatisch letztverbindliche christologische Sätze. Es ist aber weiterhin selbstverständlich, daß diese Sätze letztlich ein unaussprechliches Geheimnis Gottes in seinem Verhältnis zur Welt immer neu bedacht, immer auf ihre Verständlichkeit und Assimilierbarkeit neu überlegt werden müssen.
Und insoferne würde ich meinen, daß Küng ein solches Unternehmen richtig und löblich unternimmt, würde weiter meinen, daß er bei dieser Neuüberlegung - und wenn Sie wollen möglichen und berechtigten Neuformulierung - des kirchlichen, christologischen Dogmas wirklich so weit kommt, wie ein katholischer Theologe kommen muß. Aber ich gestehe, daß mir die „Nicht-Orthodoxie" Küngs in dieser christologischen Frage nicht so deutlich ist, wie in der Frage hinsichtlich des Lehramtes des Papstes.
Ich kann mich natürlich fragen, warum erklärt Küng nicht einfach: „Selbstverständlich bejahe ich die Verbindlichkeit des christologischen Dogmas von Ephesus und Chalzedon, das ist gar kein Problem. Ich denke nur weiter nach bestem Wissen und Gewissen, das Dogma verständlich zu machen und unter moderneren Aspekten wieder auszusagen." Dann würde ich meinen, könnte ihn ja in der Christologie das kirchliche Lehramt nicht beanstanden.
Ich sehe wirklich nicht, warum Küng der römischen Kongregation, wenn ich einmal so boshaft sagen darf, nicht einfach so auf diese Weise „den Schneid abkauft". Das tut er offenbar nicht. Warum nicht, ist mir letztlich unerfindlich.
Will er auch hier bei diesem Dogma darauf insistieren, daß diese alten christologischen Aussagen so revidierbar, so neu zu bedenken sind, daß sie schlechterdings abgeschafft werden müßten oder etwas positiv aussagen, was gar nicht nach der Meinung Küngs stimmt? Dann natürlich würde ich verstehen, warum er sich offenbar nicht in der Lage sieht, eine glatte Bejahung der alten christologischen Dogmen zu machen.
Anderseits hat er auch wiederum nicht klar und deutlich eine solche Distanz von diesen alten Dogmen als schlechterdings zu überholende geäußert, und deswegen weiß ich eigentlich nicht recht, was da eigentlich nun zu sagen ist.

FURCHE: Viele Zeitgenossen befürchten, daß durch die römische Erklärung die konziliare Epoche brüsk abgebrochen werden könnte. Gibt es ihrer Meinung nach zur modernistischen Progressivität, die sich den heutigen Plausibilitäten anpaßt, nur die Alternative eines reaktionären Konservativismus der ewig Gestrigen?
RAHNER: Es gibt Gefahren eines sterilen, reaktionären Hinterweltlertums in der Kirche, die bis zu einem gewissen Grad durchaus real werden können. Der Integralismus, der in den letzten Jahren Pius des Zehnten (oder besser der Pius-Päpste) herrschte, war ein Beispiel dafür, daß in der Kirche solche reaktionären Strömungen eine Zeitlang und bis zu einem gewissen Grad mächtig sein können.
Daß aber eine solche mögliche, reaktionäre Atmosphäre und Stimmung endgültig in der Kirche siege, davon kann keine Rede sein. Die Kirchen- und Glaubensgeschichte geht weiter, in einem gewissen Auf und Ab, das nicht übertrieben werden sollte, in einem Auf und Ab dessen, der die Kirche - jetzt rede ich einmal mit Küng - eben doch in der Wahrheit behält und sich auch in der verbali-sierten satzhaften Wahrheit durchsetzen wird.

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