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Karwoche, fernes Licht

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(Fortsetzung von Seite 16) lern immer mehr von seiner Wirkung nimmt, auch dem Grauen manchmal, daß denen keine Ewige Ruhe gegeben wird, die als einige wenige dies vor langem geian haben! (Erst Jahre später möchte ich die „wohlmeinenden” Christen, die den Juden von damals Gerechtigkeit widerfahren zu lassen sich bemüßigt sehen, um in selbstgerechter Herablassung von Christenmenschen denen zu verzeihen, die überlebt haben, mit der feindseligen Frage schockieren, ob sie die Leidensgeschichte in der Version des Johannes nicht endlich als antisemitisches Pamphlet lesen wollten.)

Gründonnerstag. Wie die Öl-bergjünger schläfst auch du aus Traurigkeit und Enttäuschung so fest und so tief wie an keinem glücklichen Tag. Wie groß muß die Reue des Judas gewesen sein, daß er sich keiner Verzeihung für würdig glaubt! Ihm, dem Werkzeug der Heilsgeschichte, einer mußte es ja sein, wird trotzdem nicht verziehen, während der erste Abtrünnige, der bloß weint, in der Stunde der Wahrheit seinen Glauben verleugnet oder verloren zu haben, auf einmal der Fels ist, auf dem eine unfehlbare Kirche ruht, kindlicher Gerechtigkeitssinn, den es nach einem Bußtag des Papstes „Petri Verleugnung” vergeblich verlangt.

Karfreitag. Das viele Begräbnis-Schwarz, das wenigstens an diesem Tag nicht Schmerz und nicht Tränen von Angehörigen bedeutet. In immer kürzeren Zeitabständen wiederholst du: jetzt bald ist er gestorben, gleich wird er sterben und „Es ist vollbracht” gesagt haben!, und versäumst dann ja doch das Ende der Todesstunde; für eine lange Trauerminute hätten ähnlich wie im Märchen vom Dornröschen den Fleischerburschen die Messer aus der Hand fallen sollen und die Flüsse stülstehen.

Am Karsamstag zum Heiligen Grab. Ein Altartisch hat sich zu einer Grabkammer geöffnet, aber die Scheu, an den schweren Mann in Tüchern heranzutreten — wie vor einem Requiem beten die Schulschwestern —, löst sich auf dank dem des traurigen Guten ein wenig Zuviel: sein Grabkreuz ist mit einer leuchtenden Lanze, Trauerschleiern und Silberketten und einem Kelch geschmückt, der Tote selbst von Vogelkugeln aus metallisiertem Glas umstellt — soll die Trauer seiner Bräute wie ein Vogelschwarm abgewehrt werden?

Am späten Nachmittag die Auferstehung. Nirgends sonst wird sie so wahr wie in der schmächtigen Holzfigur des Auferstandenen während der Prozession: das Brett, auf welchem er steht, liegt auf den Schultern von zwei Burschen und zwei Mädchen, als trügen sie einen Sarg. Die Siegesfahne in seiner Hand schwankt, er selber hat Schüttelfrost, hört nicht auf, am ganzen Leib zu zittern, so sehr haben ihn Tod, Grabesruhe und die Rückkehr ins Leben geschwächt, und du bangst mit ihm, bei einem der nächsten Schritte könnte er taumeln und stürzen wie unterm Kreuz; zart wie ein trockenes Blatt muß er sich rund um den Hauptplatz tragen lassen, nicht einmal die Blasmusik hat mit seiner Benommenheit Erbarmen, wie die Posaune des Jüngsten Gerichts macht sie ihn zittern; mit einer unwillkürlichen Körperbewegung gleichst du den gefährlichen Ruck aus, den ihm das rasche Einschwenken in die Kirchenstraße versetzt, und da ist dir, als hättest du sein ,.Hilf, Herr, wir sinken!” in den Armen aufgefangen — diese Anspannung schenkt für ihre Dauer dem ergreifendsten aller Mythen eine Glaubwürdigkeit, die über die Wahrheit der Dichtung und Kunst hinausgeht als ein von der

Liebe, auch der Liebe zu ihm, vollbrachtes Wunder — einmal noch will und soll er mit ihnen als ein anderer und er selber das Brot brechen, in welches er schon so weit eingegangen ist, daß sie ihn nur mehr, als er es in der Hand hält, erkennen. Das Osterlamm aus süßem Brotteig zu Hause beschwichtigt die Verachtung für diejenigen, welche auch an solch einem Tag ein wirklich zu einer Schlachtbank geführtes Lamm essen können. Und wenn dann an dem Tisch mit dem Osteressen ein Sessel leer wäre, könnte ich glauben, daß er bei uns zu Gast ist — aber wenn ich dann, ein Stück Brot auseinanderbrechend, „Ich breche Brot” denke, ist er ja doch in der Feierlichkeit des Satzes, der ihm gilt, und in dem Wein, den ich dazudenke, weil keiner auf dem Tisch steht (die Auferstehung und Himmelfahrt an gewöhnlichen Tagen als Gleichnis beglaubigt in jeder Tablette, die, sich auflösend, an die Oberfläche des Glases Wasser steigt, oder in Vogelspuren im Schnee, die plötzlich enden).

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