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Kassandra - Pythia?

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Aus dem Mund seines Bundeskanzlers hätte sich der Österreicher die Warnung vor der „Prosperitäts-euphorie“ und den Hinweis auf einen möglichen Konjunktur -abschwung nicht erwartet. Gerade diese Regierung hatte sich immer als Garant gegen Krisen angepriesen, entschuldigte die Inflation als „Opfer“ für eine permanente Hochkonjunktur. Nun, das „Opfer“ haben die Österreicher gebracht, und nun soll doch ein Konjunkturrückgang drohen?

Sollte — zur Abwechslung — der Bundeskanzler zur „Kassandra vom Dienst“ geworden sein? Da er seine Worte, auch die scheinbar leicht hingeworfenen, sehr wohl überlegt setzt, so muß er, der stets Konjunk-turoptimistische, seine Gründe haben.

Der Artikel in der führenden englischen Zeitschrift „Economist“, worin die internationale Wirtschaftssituation skeptisch betrachtet wird, kann allein nicht die Ursache des kanzlerischen Pessimismus sein. Sollten ihm auf Grund seiner Position besondere Informationen zur Verfügung stehen, die diesen rechtfertigen oder ist das Ganze nur ein Schuß vor den Bug, um allzu hochgespannte Erwartungen zu dämpfen? Auf alle Fälle hat es Dr. Kreisky verstanden, den Österreicher ein wenig in seiner Prosperitätsgewiß -heit zu erschüttern und 5hn das Gruseln zu lehren.

Wird der Bundeskanzler recht behalten? Wir können bedenkenlos mit ja antworten. Er formulierte wie gewöhnlich so ausbalanciert, daß er unter allen Umständen recht behalten muß: Kommt es zu einem Konjunkturrückgang, so hat er rechtzeitig gewarnt, kommt es nicht dazu, dann hat es die Regierung dank ihrer weitschauendien Politik verstanden, die Gefahren abzuwenden. Er ist mehr eine Pythia als eine Kassandra.

Man muß selbstverständlich die Warnung vor der Prosperitätseuphorie mit dem Lieblingsslogan der Regierung „Inflation oder Arbeitslosigkeit“ zusammensehen, der immer dazu dienen muß, die Erfolglosigkeit der Inflationsbekämpfung zu exkulpieren. Mit der Sorge wegen der weiteren Konjunkturentwicklung läßt sich beispielsweise das Monsterbudget 1974, mit dem der Nationalrat im Herbst konfrontiert werden wird, motivieren. Schon jetzt dient die Arbeitsplatzsicherung in künftigen Notzeiten zur Rechtfertigung des überdimensionierten UNIDO-Projekts oder auch für den Bau der Donauinsel.

Die Frage ist nur, ob Aufblähung der öffentlichen Ausgaben und überdimensionierte Bauprojekte — kurzum neuerliche Konjunkturanheizung als Prophylaxe gegen eine eventuelle Rezession wirklich die richtigen Mittel sind. Der jüngste OECD-Bericht hat genau das Gegenteil empfohlen: Um einen künftigen Konjunkturkollaps zu vermeiden, sollen die Staaten jetzt dämpfende Maßnahmen durchführen. Das konstante Anheizen der Wirtschaft muß nämlich gerade jene Konsequenzen haben, die damit vermieden werden sollten: einen ernsthaften Niedergang der Konjunktur.

Daß die Alternative „Inflation oder Arbeitslosigkeit“ falsch ist, müßte mit der Zeit dem verbohrtesten Dog-matiker unter den Wirtschaftspolitikern klar geworden sein. Ein Blick auf die internationale Szene zeigt, daß gerade die Staaten mit den höchsten Inflationsraten die größten Schwierigkeiten haben, die Vollbeschäftigung aufrechtzuerhalten. Blik-ken wir nur auf Italien, das gerade seit Verlassen des Stabilitätspfades in immer größere wirtschaftliche Schwierigkeiten hineinschlittert.

Die „Stagflation“ — ein scheußliches Wort für eine scheußliche Sache — ist kein leerer Wahn, sondern eine sehr schmerzliche und sehr zählebige Realität; sie ist gerade deshalb so schwer zu überwinden, da infolge der unbekümmerten Inflationsanheizung zur Unzeit — nämlich in der Hochkonjunktur — die Wirtschaft in der Rezessionsphase auf inflationistische Wachstumsimpulse nicht mehr anspricht.

Bei einer langfristig stabilen Währung — heute völlig unvorstellbar, aber in der Vorkriegszeit durchaus Realität — genügt oft ein halbes Prozent Geldentwertung, um eine stagnierende Wirtschaft wieder anzukurbeln. Hat aber einmal in der Hochkonjunktur die Inflation sieben und mehr Prozent erreicht, dann hilft es in der Stagnation nicht mehr, wenn die Inflationsrate auf 14 oder 20 Prozent hinaufgetrieben wird. Im Gegenteil: So hohe Kaufkraftver-luste mögen zwar in Einzelfällen Überhitzungserscheinungen mit sich bringen, wirken aber auf die Wirtschaft insgesamt lähmend.

Wenn also wirklich in absehbarer Zeit eine Stagnation droht, dann bestünde für die Gegenwart die richtige Verhaltensweise nicht darin, daß man auf Stabilisierungsmaßnahmen verzichtet, sondern daß man sie, auch unter Opfern, erst recht forciert. Daß dabei Vorsicht am Platz ist, versteht sich von selbst. Aber je höher die Inflationsraten einmal geworden sind, desto schwieriger und gefährlicher werden die Bremsmanöver.

Der Konjunkturpessimismus des „Economist“ basiert ja gerade auf den hohen Kaufkraftverlusten, die mangels einer internationalen Stabilitätsstrategie schließlich zu panikartigen Reaktionen und zu Rette-sich-wer-kann-Maßnahmen auf nationaler Ebene führen müssen, was tatsächlich in eine Wirtschaftskrise münden kann.

Je länger aber eine — in einer überbeschäftigten Wirtschaft wie der österreichischen besonders sinnlose — Expansionspolitik auf Kosten der Währung beibehalten wird, um so schlimmer müssen die Folgen sein. In Abwandlung eines alten Sprichworts kann man den Wirtschaftspolitikern nur zurufen: Stabilisiere in der Zeit, damit du in der Not manövrierfähig bist.

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