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Katastrophe als Ausweg ?

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Krisengipfel gab's im sommerlich luftverschmutzten Linz: Sechs Milliarden will die Regierung für Umweltschutzinvestitionen bei VOEST und Chemie-Linz locker machen. Keine Frage, daß dies notwendig ist. Nur: Muß immer erst etwas geschehen (860 Prozent mehr Schwefeldioxid in der Linzer Luft als zulässig), damit bei uns etwas geschieht?

Daß Industrieabgase die Luft im Raum Linz unerträglich belasten, ist keine Offenbarung des Sommers 1986. Seit Jahren läuft der Bürgermeister des östlich von Linz gelegenen Steyregg, Josef Buchner, gegen die verstaatlichten Umweltverschmutzer Sturm — bisher umsonst. Da nutzten weder Gutachten, noch sterbende Wälder im Ostrong-Gebiet.

Lang dauert es, bis hierzulande notwendige Konsequenzen gezogen werden, nicht nur in Linz und im Umweltschutz.

Bei uns lernt man frühestens aus Katastrophen: Da mußte erst die Reichsbrücke einstürzen, damit Wiens Brücken ordentlich überwacht wurden. Da mußte erst die VOEST-Tochter Intertrading Milliarden verspekulieren, damit zaghaft das begonnen wird, was Gutachten vor mehr als zehn Jahren nahegelegt hatten. Noch 1985 genügte Herbert Apfalters Optimismus („1987 wird ohne Verluste bilanziert“).

Oder: Da mußte das Paradeprojekt Zellstoffabrik Pols (mehr als drei Milliarden Schilling Investitionen) Hunderte Millionen Verlust schreiben, damit es als der Flop erkannt wurde, den Expertengutachten vorausgesehen hatten. Und: Da bedurfte es der „Schlacht von Hainburg“ und der Anrufung von Oberstgerichten, um die rechtswidrige Vorgangsweise der Behörden aufzudecken.

Dabei halten wir uns doch so viel auf unsere Lernfähigkeit zugute: Voll Verachtung blicken wir auf die Planwirtschaft im Ostblock, die nicht einmal mit ihrem wirtschaftlichen Alltag zurande kommt. Ja, die Marktwirtschaft ist viel leistungsfähiger...

Daran stimmt einiges: Soziologische Versuche mit kleinen Personengruppen zeigen, daß zentra-listisch organisierte Einheiten weniger lernfähig sind als dezentrale. Kein Wunder: Im einen Fall lernt eben nur die Zentrale. Bei ihr läuft alles zusammen und die übrigen Gruppenmitglieder sind nur Zubringer oder ausführende Organe.

Im dezentralen System kann jeder mithören und mitreden. Da ist die Lernfähigkeit von vielen herausgefordert. Und wo viele gemeinsam beobachten, werden Fehler leichter erkannt, was eine Voraussetzung jeden Lernens ist.

Warum tun wir uns dann mit dem Lernen oft so schwer, wo wir doch in einem lernfähigen System leben? Da sind zunächst spezifische Austriaca: Wir reden zwar gern von Marktwirtschaft, praktizieren aber ein abgemildertes staatliches Lenkungssystem.

Da fehlt zwar die straffe Steuerung, aber mittels Personalentscheidungen, Vergabe von Aufträgen, Krediten und Subventionen verschaffen sich die Machtträger Einfluß in weiten Bereichen.

Dieses System wird von der Obrigkeitsgläubigkeit des Österreichers begünstigt. Er hat gern „sei Ruah“ und gibt leicht Kompetenzen an „die da oben“ ab. Von ihnen erwartet er sich Wunderdinge. Geht aber etwas schief, werden die einstigen Helden zu Sündenböcken. Man schickt sie auf eine Pfründe und meint, der neue Held werde es schon schaffen.

Das zwingt die Entscheidungsträger, sich den Nimbus der Unfehlbarkeit zu geben: Sie machen keine Fehler, sehen alles voraus, haben es immer schon gesagt...

Diese Bürde überfordert den Klügsten. Wer keine Fehler machen darf, kann auch nicht lernen, sondern muß Katastrophen produzieren. Besonders gepflegt wurde dieser Stil der Selbstherrlichkeit in der Kreisky-Ära. Kein Wunder, daß wir Lerndefizite mitschleppen.

Diese stauen sich aber nicht nur in Österreich auf. Der ganze Westen ist von einer gewissen Trägheit, sich neuen Problemen zu stellen, geprägt. Man nehme nur ökonomische Fachpublikationen zur Hand: Mit welcher Akribie werden da weltfremde mathematische Modelle gepflegt, wo uns Arbeitslosigkeit und Schuldenberge drücken!

Dazu kommt die wachsende Unüberschaubarkeit des Lebens: Uberall schwillt die Gesetzesflut an, beschleunigt sich die technische Neuerung, wächst die Auslandsverflechtung.

Außerdem muß im Zeitalter der Macher pausenlos etwas los sein. Uberall wird rastlos im alten Trott agiert, unser Lebensraum verändert. In einem Chaos von Ursachen und Wirkungen sind Kausalzusammenhänge nicht zu erkennen. Jeder agiert in seinem Bereich. Der Blick für das Ganze geht verloren, echte Bedrohungen werden banalisiert.

Werden uns erst Katastrophen aufschrecken? Wenn Tschernobyl, die Versteppung einst sagenumwobener Wälder im Erzgebirge, Millionen Hungertote in der Dritten Welt nicht reichen, was dann?

Wer nicht rechtzeitig lernt, landet in Zwangslagen, wo rasch zu handeln ist, will man überleben. Das aber können straff gelenkte Systeme mit starker Führung besser. Dann erscheint der Ruf nach dem starken Mann als letzter Ausweg. Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte.

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