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Katastrophenschutz in Österreich

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Schwere Erdbeben in Friaul und Rumänien, China und Mittelamerika, das größte Unglück der Zivilluftfahrt auf den Kanarischen Inseln, ausgedehnte Waldbrände in der Lüneburger Heide und in der Sowjetunion, die Giftgaskatastrophe im italienischen Seveso - das sind nur einige Hiobsbotschaften der letzten Wochen, Monate, Jahre. Österreich kam bisher - trotz des spektakulären Einsturzes der Reichsbrücke - relativ glimpflich davon. Ist man hierzulande für Katastrophen größeren Ausmaßes überhaupt gerüstet?

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Schwere Erdbeben in Friaul und Rumänien, China und Mittelamerika, das größte Unglück der Zivilluftfahrt auf den Kanarischen Inseln, ausgedehnte Waldbrände in der Lüneburger Heide und in der Sowjetunion, die Giftgaskatastrophe im italienischen Seveso - das sind nur einige Hiobsbotschaften der letzten Wochen, Monate, Jahre. Österreich kam bisher - trotz des spektakulären Einsturzes der Reichsbrücke - relativ glimpflich davon. Ist man hierzulande für Katastrophen größeren Ausmaßes überhaupt gerüstet?

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„In Österreich ist die umfassende Landesverteidigung zwar seit 1975 in der Verfassung verankert, die zivile Landesverteidigung aber, die den Katastrophenschutz einschließt, nicht bundesweit geregelt. Sie fallt daher größtenteils in die Kompetenz der Länder, von denen erst vier (Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg und Tirol) eigene Landeskatastrophengesetze verabschiedet haben. Eine Bundeskompetenz besteht auf dem Gebiet des Strahlenschutzes, wo das Gesundheitsministerium derzeit ein Strahlenfrühwamsystem mit 300 Meßstellen in ganz Österreich einrichtet, von denen vorerst 80 aufgestellt wurden.“ So schildert Ministerialrat Paul Aschenbrenner, Leiter der Abteilung für Koordinierung des Zivilschutzes und Katastrophenschutzes des Bundesministeriums für Inneres, die gesetzliche Situation. Die Hauptlast liegt also auf den Ländern. Was geschieht aber, wenn einmal die lokalen Kräfte einer Gemeinde oder eines Landes nicht ausreichen? Dann ist eine echte Katastrophe eingetreten, nämlich, wie Oberst Roman Schlauss, Kommandant der Luftschutztruppen- schule (LSTS) des Bundesheeres, diesen Begriff definiert, „ein Ereignis, das mit seinen Folgen nicht von örtlichen Organisationen bewältigt werden kann“.

Die Durchführung der ersten Maßnahmen und die Leitung späterer Einsätze wird immer bei zivilen Stellen liegen, als echte Unterstützung bietet sich jedoch das Bundesheer ein, das als einzige Institution bundesweit wirksam werden kann. Denn das Wehrgesetz sieht für „Elementarereignisse und Unglücksfälle außergewöhnlichen Umfangs“ vor, daß über das zuständige Militärkommando Einheiten zur Hilfeleistung (Assistenz) herangezogen werden können. Im Notfall darf ein Kommandant sogar selbständig zur Assistenz einschreiten, sofern die kompetenten Behörden nicht handlungsfähig oder nicht erreichbar sind und „bei weiterem Zuwarten ein nicht wieder gutzumachender Schaden für die Allgemeinheit eintreten würde“. Hilfeleistungen des Bundesheeres wurden in den letzten Jahren wiederholt beansprucht, vornehmlich bei Hochwasser, Vermurungen, Bergrettung, Brandbekämpfung, Brückenbau, Sprengungen, Maul- und Klauenseuche, Materialtransporten und Schneeräumung, aber auch bei großen Sportereignissen wie den Olympischen Spielen. Allein vom 1. Oktober 1975 bis 31. Dezember 1976 leisteten 8726 Mann 193.829 Arbeitsstunden, etwa ein Drittel davon im Zusammenhang mit dem Einsturz der Wiener Reichsbrücke. Eine Schlüsselfunktion kam bei einem großen Teil der Einsätze besonders ausgebildeten Truppenteilen zu, in erster Linie den Pionieren, den Hubschrauberstaffeln und den Luftschutzpionieren.

Die Eignung des Bundesheeres zur Katastrophenhilfe liegt auf der Hand. „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“, zitiert Oberst Schlauss den Griechen Heraklit und meint damit, daß die militärische Ausbildung seiner Truppe „dem Katastrophenpotential der Gegenwart fast nahtlos angepaßt“ sei. Denn in Trümmern liegende Siedlungen, zerstörte Verkehrswege, ver- strahlte, verseuchte und vergiftete Landstriche können sowohl durch Kriegseinwirkungen (der Krieg ist für Schlauss „die Superkatastrophe“) als auch durch entfesselte Naturgewalten, technische Gebrechen, menschliches Versagen oder Terrorismus, verursacht werden. Schlauss, der im Weltkrieg Flieger war, ist beim Bundesheer bewußt in den Dienst einer Abwehreinheit getreten, weil er sich als Realist sieht und auf diesem Gebiet für Österreich die wichtigere Aufgabe sieht.

Eine günstige Konstellation im Katastrophenschutz ist die Tatsache, daß wie die LSTS auch die Zivilschutzschule des Innenministeriums, die Ministerialrat Aschenbrenner unter-steht, auf dem Gelände der Wiener Wilhelmkaseme untergebracht ist. Ein Zeichen dafür, wie zwei Ressorts, die zum Zeitpunkt des Entstehens der Schule (1962) sogar noch verschiedenen „Reichshälften“ angehörten, ökonomisch vorbildlich im Interesse der Sicherheit Österreichs Zusammenwirken können. Man teilt sich die Lehrräume, stellt von beiden Seiten Lehrkräfte, macht aber bei der Schulung von Zivilisten und Soldaten naturgemäß einige Unterschiede. Aschenbrenner zieht erfreut Bilanz:

„In den fünfzehn Jahren wurden an der Zivilschutzschule bereits 1500 Polizei- und Gendarmeriebeamte, Rotkreuzhelfer, Feuerwehrmänner und andere Personen, darunter auch Lehrer, ausgebildet. Uber 200 Führungskräfte von Gendarmerie, Rettung, Feuerwehr und Bezirkshauptmannschaften wurden für die Einsatzleitung im Krisenfall geschult.“ Der Lehrstoff umfaßt Katastrophenschutz, Strahlenschutz und Zivilschutz. Besonderer Wert wird auf den Strahlenschutz gelegt. Die Abzeichen in Bronze und Silber für die erfolgreiche Teünahme an den Kursen „Strahlenmessen - Strahlenspüren“ sind sehr begehrt und schmücken manche sonst ordenslose Brust.

Die Ausbildung der Luftschutztruppenschule kommt vielen Soldaten auch im späteren Zivilberuf zugute. Sie ist ausgerichtet auf:

• Rettungs- und Bergeeinsatz (besonders bei Hochwasser, Erdbeben und Bränden)

• Brandschutzeinsatz (besonders bei Großbränden und Bränden gefährlicher Substanzen)

• ABC-Einsatz (atomare, biologische, chemische Gefahren): Bekämpfung der Folgen radioaktiver Verstrahlung, biologischer Verseuchung und chemischer Vergiftung, womöglich durch vollständige Entstrahlung, Entseuchung und Entgiftung (Dekontamination).

Es nahmen auch schon Angehörige ziviler Vereinigungen (zum Beispiel Pfadfinder, Arbeiter-Samariterbund), die sich auf Katastrophenhilfe vorbereiten wollen, freiwillig an bestimmten nicht militärisch ausgerichteten Übungen der LSTS teil, sogar Frauen und Mädchen.

Wie sieht nun im Katastrophenfall die Einsatzbereitschaft aus? In welcher Zeit können wie viele Mann mobilisiert werden? Oberst Schlauss macht kein Hehl daraus,’ daß es bis zu sieben Stunden dauern könnte, ehe seine 50 Mann Kaderpersonal einsatzbereit sind, und bis zu 15 Stunden, mit rasch einberufenen Reservisten sein Landwehr-Bataillon auf 300 Mann aufzustocken, die dann in einem Gebiet von maximal 25 Quadratkilometern erfolgreich wirksam werden könnten. Er gesteht offen: „Beim Großbrand von Bunzl & Biach trafen wir zum Erstaunen vieler schon eine Viertelstunde. nach Alarm mit dem Kaderpersonal an der Brandstätte ein. Das war aber ein einmaliger Glücksfall, weil die Meldung knapp vor Dienstschluß kam und gerade alle wichtigen Offiziere und Unteroffiziere anwesend waren.“ Außer in Wien gibt es nur in Graz und Salzburg Luftschutztruppen, jedoch lediglich Züge von geringer Stärke.

Sofort einsatzfähig sind dagegen die Pioniere, von denen es im ganzen Bundesgebiet bestens geschulte Bereitschaftstruppen gibt. Sie haben sich bei den für Österreich typischen witterungsbedingten Krisenfällen hervorragend bewährt und waren - sieht man vielleicht von den verheerenden Folgen der Unwetter in Kärnten und Osttirol 1965 und 1966 ab - nie ernstlich ausgelastet. Oberst Karl Cserny, Leiter der Inspektion Pioniere, erinnert sich an den Reichsbrückeneinsatz: „Es gab Einheiten, die gerne mitgeholfen hätten, aber einfach nicht benötigt wurden.“

Auf dem ABC-Sektor müßte jedenfalls zweifellos noch mehr geschehen. Oberst Schlauss ist sich bewußt: „Unser Wohlstand wird begründet durch eine Eskalation der Industrie, daher gibt es immer mehr Prozesse und Produktionsvorgänge mit gefährlichen Stoffen. Nach menschlichem Ermessen reichen die Sicherheitsbestimmungen für die Führung solcher Betriebe aus, aber mit Unglücksfällen muß man immer rechnen.“ Durch die Mithilfe von Soldaten des Bundesheeres in Skoplje und Friaul besitzt man einige Erfahrung beim Bergen von Erdbebenopfem. Aus der Katastrophe von Seve?o hat man gelernt, die LSTS hat eine eigene Dokumentation dar über angefertigt. Qualitativ fühlt man sich auf dem neuesten Stand in der Katastrophenvorsorge, aber man kennt auch die qualitativ eng begrenzten Möglichkeiten. Gerade auf dem ABC-Sektor fehlt es an Personal und Gerät. So sind zwei neue hochwirksame Geräte, das Dekontaminations-

ABC-Katastrophenschutzfahrzeug „DEKO“ und der Saurer-Löschpan- zer ‘77, vorläufig nur als Prototypen vorhanden. Während „DEKO“ vielseitig verwendbar ist, vor allem auch durch Versprühen und Verstreuen bestimmter Stoffe und Flüssigkeiten deköntaminierend wirken kann, ist der Löschpanzer lediglich ein herkömmlicher Schützenpanzer, der mittels einer kurzfristig montierbaren Zusatzausrüstung bestens für die Brandbekämpfung geeignet ist.

Wünsche für die Zukunft? Am bescheidensten gibt sich Oberst Cserny: „Der qualitativ befriedigende technische Stand der Pioniertruppe sollte erhalten und quantitativ womöglich ausgebaut werden. Wünschenswert wäre ein Zuwachs an jungem, tüchtigem Kaderpersonal.“ Ministerialrat Aschenbrenner erhofft sich eine Vollendung des Strahlenfrühwamsy- stems, eine entsprechende Finanzierung des theoretisch existierenden Katastrophengerätepools und den vermehrten Bau von Luftschutzräumen, die unter Umständen die einzige Zuflucht vor Giftgaswolken oder Strahlengefahr sein könnten.

Am weitesten geht die Wunschliste von Oberst Schlauss: „Vor allem wünsche ich mir keine Katastrophe. Da wir aber nicht immer als,Insel der Seligen“ mit Verschonung rechnen können, sollte durch das Beispiel der leidgeprüften Länder alle die Einsicht bewegen, die bei uns nötigen dringendsten Vorsorgemaßnähmen zu treffen:

• Ein ,DEKO’-Fahrzeug bei jedem Militärkommando,

• Bereithalten der Zusatzeinrichtungen für den Brandschutz bei den Einheiten, die mit dem Schützenpanzer Saurer ‘77 ausgestattet sind, so daß durch Umrüstung zwei bis drei Schützenpanzer pro Bataillon kurzfristig für die Brandbekämpfung einsetzbar sind,

• Aufnahme der ABC-Luftschutz- truppe in den Bereich der Bereitschaftstruppe und Aufstellung von vorerst vier Bataillonen in den Gebieten um Wien, Steyr, Graz und Innsbruck.“

Die Entscheidung darüber, so Schlauss, wird nicht nur im Verteidigungsministerium, sondern auf der politischen Ebene fallen müssen. Natürlich sollte der Katastrophenschutz nicht nur ein Anliegen von Exekutive und Bundesheer, sondern jedes einzelnen sein. Das beginnt beim vorsichtigen Hantieren mit gefährlichem Material (das kann bereits die im Wald achtlos weggeworfene Zigarette sein!) und reicht bis zum Bau von Schutzräumen, der in Österreich, wo jedes Bundesland seine eigene Bauordnung hat, weitgehend der Privatinitiative überlassen bleibt, Der Wahlspruch des gelernten Österreichers lautet zwar: „Es wird schon nichts passieren“, aber spätestens der Einsturz der Reichsbrücke sollte gezeigt haben, daß, wer sich darauf verläßt, eines Tages selbst der Verlassene sein könnte.

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