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Kathedralen der Wüste
Wieder einmal steht Äthiopien vor einer Hungerkatastrophe. Der schon ein Vierteljahr hundert dauernde Bürgerkrieg in Eritrea, die von der Regierung veranlaß-ten Umsiedlungsprogramme für Bauern und katastrophale Dürrekatastrophen lassen Äthiopien — von den russischen Freunden mit Waffen gut versorgt — nicht aus dem Schlamassel kommen.
Die verschiedenen Hilfsorganisationen zeigen stolz ihre Projekte, demonstrieren ihren Spendern „größte Effizienz“ und können doch nicht verschleiern, daß sich im Äthiopien Mengistu Haile Miriams nichts zum Positiven ändert. Die Konkurrenz der Helfer, unkoordiniertes Arbeiten und mit den Hilfsgütern gelieferte ideologische und weltanschauliche Programme sind neben den genannten innenpolitischen Schwierigkeiten Ursache des Versagens der weltweiten Hilfe. So wirbt man halt weiter mit immer neuen Schreckensbildern - ohne auf die politische Situation einzugehen, ohne Ansätze von Koordination erkennen zu lassen.
Manche wie Benno Haffner als „Commission Delegate of the European Communities“ (EEC) für Äthiopien, erkennen die Wurzeln des Desasters: „Wir haben .Kathedralen in der Wüste* gebaut, waren auf unsere großartigen und großzügigen Projekte mächtig stolz. Die kleinen, dafür umso wichtigeren Dinge ließen wir unbeachtet, wir haben auf die Bauern vergessen.“
Entwicklungshilfe für Äthiopien müßte also in erster Linie die Verbesserung im Landbau vor Augen haben, als sinnvolle Hilfe zur Selbsthilfe. Desgleichen gelte es, wie Haffner meint, eine „sinnvolle Geburtenpolitik“ zu betreiben. Die Ernährungsproblematik resultiert auch aus dem enormen Bevölkerungswachstum von 2,9 Prozent pro Jahr, bei einer Gesamtbevölkerung von 42 Millionen Einwohnern.
Vorläufig ist nur eines notwendig: Soforthilfe. Die EG-Kommission in Brüssel hat jetzt die für heuer beschlossene Nahrungsmittelhilfe von 64.000 Tonnen Getreide um 90.100 Tonnen aufgestockt.
Das derzeitige Nahrungsmitteldefizit der von Bürgerkrieg und Dürrekatastrophe am stärksten betroffenen Regionen Eritrea, Ti-gre, Wollo, Harague und Shoa im Norden (in diesen Gebieten sank die Ernte um 50, manchmal sogar um 75 Prozent) beträgt 954.000 Tonnen (bei einer jährlichen Gesamtproduktion von sechs Millionen Tonnen). Die Menschen dieser Region haben nur mehr bis Dezember zu essen.
Was tun? Die Sympathien für Äthiopien im Westen sind nicht gewachsen. Viele sind der Ansicht, daß westliche Hilfe Diktatur und Unterdrückung des Volkes erst ermöglichen. In Frankreich bekamen humanitäre Organisationen Schecks mit dem Vermerk „Nicht für Äthiopien“.
Menschenrechtsverletzungen sind anzuprangern, und die Lebensmittelhilfe gehört kontrolliert. Aber es darf kein Zweifel darüber bestehen, daß geholfen werden muß. Es gilt ein Ausspruch des früheren französischen Premierministers Laurent Fabius: „Die Hilfe von einem Demokratiepatent abhängig zu machen, hieße, das Ziel niemals zu erreichen, da das Ziel keine ideologische Abrechnung auf dem Rücken hungernder Menschen ist.“ FRANZ GANSRIGLER
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