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Katholiken und ÖVP

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Die Stille nach dem 6. Mai ist beängstigend. Kaum Diskussionen bei der Gewinnerin, der SPÖ, noch weniger substantielle bei der Verliererin, der ÖVP. Vergleicht man die Zeit nach 1966 und 1970, so muß einen das bedenklich stimmen.

Für die Katholiken aber ergeben sich aus dem 6. Mai doch einige Folgerungen, die nicht übergangen werden sollten. Der Prozeß der Entflechtung zwischen Kirche/Katholiken einerseits und ÖVP anderseits schreitet immer mehr voran. Dieser Prozeß begann aber nicht erst 1945, wie Kommentatoren gemeinhin behaupten, sondern schon in der Ersten Republik.

Bis dahin war die Arbeitsteilung klar: Katholische Parteien (bis 1907 Katholisch-Konservative und Christlichsoziale, ab 1907 nur noch Christlichsoziale) hatten die Interessen der Kirche bzw. des Katholizismus im noch jungen Parlamentarismus zu vertreten, die (politischen oder unpolitischen) katholischen Verbände stellten den Kontakt zur Basis her.

Als nach dem Ersten Weltkrieg der Trend weg von der Wähler- bzw. Honoratiorenpartei zur Massenpartei ging, war diese Arbeitsteilung in Frage gestellt. Die Entflechtung begann spätestens dann, als sich die Priester aus der aktiven Politik zurückzogen (1933) und die Christlichsoziale Partei aufgelöst und in die Massenbewegung Vaterländische Front (1933/34) übergeführt wurde.

Verschiedene Ereignisse vor und nach dem 6. Mai haben diesen Entflechtungsprozeß nur allzu deutlich erscheinen lassen. Es gibt Untersuchungen, wonach zirka 1,3 Millionen Wähler der ÖVP deshalb die Stimme geben, weil sie christlich motiviert sei. Damit weiß man, daß eine rein christlich bzw. katholisch orientierte Partei eine Mittelpartei mit 50 bis 60 Mandaten sein könnte.

Man muß sicherüch zugeben, daß es für die ÖVP schwierig ist, jene Politik zu finden, die diese 1,3 Millionen

Wähler bei der Stange hält und darüber hinaus weitere 800.000 bis eine Million Wähler anzusprechen vermag, die für eine Mehrheit notwendig sind.

Die ÖVP hat am 6. Mai beides nicht zuwege gebracht. Es wurden christliche Stammwähler verärgert, aber auch nicht jene „liberalen“ Wähler in jenem Maß angesprochen, die für eine Mehrheit notwendig gewesen wären. Gerade aber das Gespräch Christentum-Liberalismus wäre für die ÖVP wichtig. Leider hat ÖVP-Obmann Taus es verabsäumt, diese Chance zu ergreifen.

Das gegenseitige Mißtrauen ÖVP/Kirche dauert fast schon ein Jahrzehnt an. Schuldige sind auf beiden Seiten zu finden. Gelegentlich kommt es zu Ausbrüchen und Eruptionen, wie auch jetzt wieder einmal.

Es ist durchaus verständlich, wenn die ÖVP durch die Äußerung einer ihrer Spitzenfunktionäre (Hertha Haider) in der wohl wichtigsten gesellschaftspolitischen Frage für die Kirche, nämlich der Abtreibung, bei vielen katholischen Funktionären und der katholischen Kernschicht tiefe Resignation hervorgerufen hat. Diese Resignation, die vielen aufgefallen ist, war sicherlich auch mit eine Ursache für die Wahlniederlage der ÖVP.

Vor nicht allzu langer Zeit erklärte mir der Leiter des Büros des Vorsitzenden der CDU, ein praktizierender Katholik, daß der CDU bei der letzten Wahl wegen ihrer Haltung zur Abtreibung 300.000 Stimmen zur absoluten Mehrheit gefehlt hätten...

Die Äußerungen des Familienverbandspräsidenten Kendöl, daß man die Haltung zur SPÖ überdenken i müsse, hat ein Rauschen im heimischen Blätterwald erzeugt. Es sollten nur diejenigen aufpassen, die bei diesem Rauschen allzu sehr beteiligt waren, daß ihnen kein abgebrochener Ast auf den Kopf fällt.

Analysiert man die Debatte näher, so muß man folgendes festhalten:

1. Die ÖVP hat noch immer nicht begriffen, daß katholische Verbände keine Teil- oder Vorfeldorganisationen ihrer Partei mehr sind.

2. ÖVP-Mandatare, die „zufällig“ auch Funktionäre eines katholischen Verbandes sind, sollten die beiden Bereiche strikt trennen oder die Konsequenzen ziehen und eine der Funktionen aufgeben.

3. Funktionäre von katholischen Verbänden, die zwar keine ÖVP-Mandatare, aber mit der Partei verbunden sind, unterliegen auch oft dem Irrtum, daß eine ÖVP-Ausrich-tung der Mitglieder wichtiger als deren katholische Grundhaltung sei.

4. Eine mehr oder minder der ÖVP nahestehende Presse hat die Sache aufgebauscht und übertriebene Spekulationen angestellt. Man hatte oft den Eindruck, daß gewisse Redakteure in der Wiese gelegen sind, um das Gras wachsen zu hören.

5. Es hat sich bei diesen Anlässen vor und nach dem 6. Mai verstärkt gezeigt, wie notwendig ein geeignetes Forum (Nationalkomitee) aller Katholiken wäre. Es ist sicherlich verdienstvoll, wenn der Präsident der Katholischen Aktion Österreichs zunehmend zu gesellschaftspolitischen Fragen Stellungnahmen abgibt (im übrigen war die Äußerung der Wiener KA, daß der Familienverband nicht der KA angehöre, höchst überflüssig), jedoch weiß er selber genau, daß die KA nur ein Teil des österreichischen Katholizismus ist. Der Präsident der eher „politischeren“ Arbeitsgemeinschaft katholischer Verbände (AKV) hat dies bisher verabsäumt.

Die Äußerungen des Familienverbandspräsidenten kamen gerade richtig zu einer Zeit, in der überall Stille und Resignation herrscht. Vielleicht tragen sie dazu bei, heilsame Diskussionen über den Stellenwert des österreichischen Katholizismus als eigenständige Kraft zu führen.

Die ÖVP kann aus dieser Diskussion ebenso profitieren, denn es geht bei ihr nicht so sehr um eine organisatorische, sondern um die grundsätzliche Frage der politischen Linie: Wie kann sie eine Politik machen, die christliche Stammwähler und „Liberale“ zu einer tragfähigen Mehrheit vereint?

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