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Katholische Alternative

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Es gibt bei ihnen keinen Pflichtzölibat, die Bischöfe werden gewählt - und doch bestätigt das neue Kirchenrecht aus Rom, daß sie gut katholisch sind: die 21 unierten Ostkirchen.

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Es gibt bei ihnen keinen Pflichtzölibat, die Bischöfe werden gewählt - und doch bestätigt das neue Kirchenrecht aus Rom, daß sie gut katholisch sind: die 21 unierten Ostkirchen.

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Am 18. Oktober wurde der Codex der Canones der orientalischen Kir­chen (CCEO) von Papst Johannes Paul II. promulgiert und eine Wo­che später feierlich der General­versammlung der Bischofssynode präsentiert.

In 1546 Canones wurde ein ein­heitliches kirchliches Gesetzbuch für die katholischen Ostkirchen ge­schaffen. Damit besteht neben dem 1983 in Kraft getretenen Codex Iuris Canonici für die lateinische Kirche erstmals ein eigenes kodifiziertes Kirchenrecht für die fünf Traditionen angehörenden 21 selbständi­gen Rituskirchen des Ostens.

Bereits auf dem I. Vatikanum war auch die Kodifikation des Rechts der unierten Kirchen diskutiert worden. Nach der Promulgation des lateinischen Gesetzbuches von 1917 wurde die Idee wieder aufgegrif­fen, 1929 eine Kommission einge­setzt, deren Arbeit schließlich zwi­schen 1949 und 1957 zur Promulga­tion von Teilen eines Gesetzbuches ad experimentum führte. Die Ko­difikationsarbeit wurde 1972 wie­der aufgenommen und war durch eine Neubewertung der orientali­schen Tradition seitens des II. Vati-kanums bestimmt.

Ebenso wie im Falle des lateini­schen Codex erarbeitete die Kom­mission 1974 Richtlinien für ihre Arbeit, unter denen besonders der Gedanke der Einheitlichkeit des Codex für alle katholischen Ostkir­chen, die Ausrichtung auf die ost­kirchlichen Traditionen, die öku­menische Verpflichtung, das Sub-sidiaritätsprinzip und die Anerken­nung der Selbständigkeit der ein­zelnen Rituskirchen hervorzuheben sind.

Der Aufbau in 30 Titeln unter­scheidet sich deutlich von dem sy­stematischen Aufbau westlicher Kodifikationen und erinnert an alte Canones-Sammlungen des byzan­tinischen Kirchenrechts. Die Ge­setzessprache (Latein!) ist gut ge­lungen, was nicht zuletzt ein Ver­dienst der EDV-gestützten redak­tionellen Arbeit des in Freiburg/ Breisgau Kirchenrecht lehrenden Österreichers Carl Gerold Fürst ist.

Was ist nun am Inhalt des CCEO besonders bemerkenswert?

Zunächst ist hervorzuheben, daß am Beginn des CCEO der Titel „Grundrechte und Grundpflichten" steht. Erfreulicherweise ist es ge­lungen, die Mitglieder der Kom­mission zu überzeugen, daß Grund­rechte in der Kirche primär die Funktion haben, die rechtlich-in­stitutionellen Bedingungen zu schaffen und zu sichern, die dem einzelnen und den Gemeinschaften in der Kirche die Entfaltung des Glaubens ermöglichen. Daher sind - anders als im lateinischen CIC -die Grundrechte den Grundpflich­ten vorgereiht. Die Communio-Struktur der Kirche wird in der Systematik auch dadurch betont, daß dem kirchlichen Verfassungs­recht beginnend mit der päpstli­chen Primatialgewalt noch der Ti­tel über die als Gemeinschaft von Gläubigen (coetus christifidelium) bestimmten Kirchen eigenen Rechts vorangestellt ist.

Auf die wohl bekanntesten recht­lichen Strukturen, in denen die lateinische Kirche von den orienta­lischen Traditionen abweicht, wie die synodale Wahl der Bischöfe und , die Weihe verheirateter Männer, sei ebenfalls verwiesen. Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, daß ein katholisches Kirchenrecht, das den Zölibat prinzipiell nicht kennt, gerade auf jener Bischofssynode präsentiert wurde, auf der der Zö­libat hymnisch gefeiert wurde.

Den bedeutendsten Diskussions­punkt bildete, wie ich bei der Kom­missionarbeit immer wieder fest­stellte, die Frage der Jurisdiktion der Patriarchalkirchen. Diese blieb schließlich auf das durch Emi­grationen zunehmend geschwäch­te alte orientalische Gebiet be­schränkt. Daß auch weiterhin die immer bedeutender werdende ost­kirchliche Diaspora direkt der Ju­risdiktion des Papstes und damit der Verwaltung der Ostkirchenkon­gregation in Rom unterstellt ist, stellt einen Sieg praktisch-ökono­mischer Argumente über ekklesio-logische Überlegungen dar. Es liegt auf der Hand, daß damit die in der neuen Umwelt ohnehin durch Dekulturation bedrohten ostkirch­lichen Gemeinden auch noch den zentralisierenden Tendenzen Roms ausgeliefert werden.

Diese Kodifikation stellt zwei­fellos eine grundsätzliche Aufwer­tung der katholischen Ostkirchen dar. Bereits die Diskussion in der Kommission um die Namensgebung machte die Sensibilität der orien­talischen Kirchen als nicht immer ganz ernst genommene Minderheit in der katholischen Kirche deut­lich: Der „Arbeitstitel" der Kodifi­kation „Codex Iuris Canonici Orien­talis" gegenüber dem nur als „Co­dex Iuris Canonici" bezeichneten Gesetzbuch der lateinischen Kir­che schien für viele Orientalen die­se Defizienz an Katholizität zum Ausdruck zu bringen. Der auch von mir vorgeschlagene Titel „Codex Canonum Ecclesiarum Orienta-lium" vermeidet diesen Eindruck und knüpft an die ostkirchliche Tra­dition eines „Corpus Canonum" an.

Den besonderen Stellenwert des CCEO betonte auch Johannes Paul II. in der Promulgationsbulle, in­dem er das von ihm bereits mehr­fach verwendete Bild von den zwei Lungen, mit denen die eine katho­lische Kirche atmet, zitierte und das Bild von den zwei Herzkam­mern hinzufügte. Eine einheitliche Bewertung des CCEO ist nicht ein­fach, zu ambivalent ist das vorlie­gende Gesetzbuch in seinen viel­schichtigen Aspekten.

Eine umfassende Kodifikation ist heute für viele Juristen ein ana­chronistisches Unternehmen. Zu sehr ist, etwa im Vergleich zum la­teinischen Codex von 1917, die Vor­läufigkeit rechtlicher Normierun­gen bewußt geworden. Dieser Kri­tik wird aber, wie bereits in der Promulgationskonstitution zum la­teinischen Codex 1983, dadurch die Spitze genommen, daß ausdrück­lich auf die Veränderbarkeit des nunmehr kodifizierten Rechtes verwiesen wird. Der kirchliche Gesetzgeber unterliegt also nicht mehr dem „Kodifikatorenwahn", ewig Gültiges geschaffen zu haben. Weitere Bedenken ergeben sich daraus, daß diese Kodifikation noch dazu für eine rechtliche Tradition erfolgt, der der mit der Entwick­lung des westlichen Rechts verbun­dene hohe Grad an Verrechtlichung und systematischer Erfassung grundsätzlich fremd ist.

Ein weiterer Vorbehalt ergibt sich aus ökumenischer Sicht und be­steht in der Besorgnis, durch das Festschreiben von rechtlichen Strukturen der katholischen Ost­kirchen werde die Entfaltung der ökumenischen Annäherung zur Orthodoxie behindert, ja erhielte sogar einen Rückschlag. Diesen Bedenken wurde in der Promulga­tionskonstitution insoferne Rech­nung getragen, als die zeitliche Geltung mit der zukünftigen Ein­heit zwischen Ost und West aus­drücklich eine Begrenzung erhält. Auch die Bestimmungen über den

Schließlich bezweifeln manche Kritiker, daß der nunmehr vorlie­gende Codex in genügendem Maße in die Rechtswirklichkeit der orien­talischen Kirchen, vor allem im Vor­deren Orient, rezipiert wird, und gehen davon aus, daß er in vielen Fällen papierenes Gesetzesrecht bleibt. Obwohl dieser Einwand viel für sich hat, wird man ihm entge­genhalten können, daß dem Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium - selbst wenn es ihm in einigen orientalischen Kirchen an Wirk­samkeit mangeln sollte - doch eine wesentliche Funktion im Recht der katholischen Kirche zukommt. Er repräsentiert in manch wichtigem Bereich eine katholische Alternati­ve zum lateinischen Kirchenrecht, wobei etwa an die Gewichtung synodal-ortskirchlicher Struktu­ren, das Recht der Bischofbestel­lung und den Zölibat zu denken ist.

Der Autor ist Ordinarius für Kirchenrecht an der Juridischen Fakultät der Universität Wien.

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