Pünktlich zur Weihnachtszeit wurde allenthalben von einer Studie der Arbeiterkammer berichtet, die zu dem Schluss kommt, dass die Hälfte der österreichischen Bevölkerung "kaufsuchtgefährdet" sei. Wie die andere Hälfte einzustufen sei (als nicht kaufsuchtgefährdet oder als bereits kaufsüchtig), war den Berichten nicht zu entnehmen. Als "kaufsuchtgefährdet" jedenfalls hätten jene Menschen zu gelten, die Dinge kaufen, die sie nicht brauchen.
Da stutzt der wackere Konsument. Beruht nicht just auf diesem Prinzip das Funktionieren unseres Wirtschaftssystems? Was hier in pathologischem Gewand erscheint, ist ja der Motor des so genannten Wirtschaftswachstums, und die Quintessenz der Werbung besteht eben darin, bei möglichen Käufern Lust auf den Erwerb von Gütern zu wecken, die sie weder für ihr physisches Überleben noch für die Befriedigung einfacher Wünsche nach Bequemlichkeit benötigen. Der soziale Parameter, an dem der Grad des Funktionierens abzulesen ist, die unhinterfragbare virtus der Jetztzeit, heißt "Kaufkraft". Wir leben in einer Luxusgesellschaft und sagen doch: Das ist gut so. Nicht wenige betrachten Shoppen als eine Form der Freizeitgestaltung und halten die Möglichkeit zum schrankenlosen Einkaufen täglich und rund um die Uhr für ein Menschenrecht, das ihnen eine kleinkarierte Gesetzgebung verwehrt. In denselben Zeitungen, in denen Einkaufszentren zu den Kathedralen der Gegenwart erhoben werden, vergießt man jahreszeitadäquat Krokodilstränen über Menschen, für die der Einkauf zum Selbstzweck geworden ist, die Dinge nicht mehr erwerben, um sie zu besitzen. Der klinisch Kaufsuchtkranke, der das Gekaufte unausgepackt hortet, schadet dem System, weil er seine Kaufkraft auf Dauer überschätzt. Wir anderen, die wir nur "potenziell kaufsüchtig" sind, erhalten es am Leben.
Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin.