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Kaum Anzeichen für ein umfassendes Umdenken

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Der wissenschaftlich-technische Fortschritt muß nicht unbedingt eine Einbahnstraße sein, auf der die Entwicklungsrichtung eindeutig vorbestimmt ist. So ist es, wie Gerhart Bruckmann betont hatte, ein Irrtum zu glauben, der gegenwärtige Trend zur Großtechnologie sei unausweichlich, auf den Leichtwasserreaktor müsse einfach der schnelle Brüter und die Kernfusion folgen, auf den Großcomputer der noch größere Computer.

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Der wissenschaftlich-technische Fortschritt muß nicht unbedingt eine Einbahnstraße sein, auf der die Entwicklungsrichtung eindeutig vorbestimmt ist. So ist es, wie Gerhart Bruckmann betont hatte, ein Irrtum zu glauben, der gegenwärtige Trend zur Großtechnologie sei unausweichlich, auf den Leichtwasserreaktor müsse einfach der schnelle Brüter und die Kernfusion folgen, auf den Großcomputer der noch größere Computer.

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Die mögliche Entwicklung werde nämlich keineswegs durch den vorherrschenden Trend der Großtechnologie vorgezeichnet, sondern durch die menschliche Innovationsgabe und Lernfähigkeit, die uns durchaus in die Lage versetzt, auch eine andere Richtung zu wählen. Gewiß ist die Großtechnologie eine Hauptrichtung mit immer größerer Effizienz, aber auch mit immer größerer Abhängigkeit und immer größerer Verwundbarkeit des Gesamtsystems.

Und die durchaus-realistische Alternative bestünde eben darin, auf einen Teil des technisch realisierbaren Produktionszuwachses zugunsten einer Reduktion der Verwundbarkeit und besserer Lebensqualität zu verzichten.

Ähnliches gilt für den Energiesektor, wo die Alternative nicht nur in einem „Gürtel-enger-schnallen" und schon gar nicht in einem „Zurück auf die Bäume" besteht, wie uns die Technokraten weismachen wollen, sondern wiederum in einem zielgerichteten Einsatz der menschlichen Innovationsgabe, das heißt in diesem Fall in der Erschließung und Nutzung regenerierbarer Energiequellen.

Die Frage ist also keineswegs: Fortschritt oder nicht?, sondern welchen Fortschritt wir haben wollen: Den bisherigen Fortschritt mit seinem immer spürbarer werdenden negativen Konsequenzen, oder einen Fortschritt, der diese Konsequenzen nach Möglichkeit zu vermeiden sucht und auf bestimmte Möglichkeiten der technischen Realisation zugunsten der Stabilität und des Uberlebens des Gesamtsystems bewußt verzichtet.

Es ist für die Diskussion, wie sie in Alpbach geführt wurde, überaus kennzeichnend, daß solche Alternativen beinahe überhaupt nicht gesehen wurden, weil man sich die Zukunft offenbar nicht anders als eine bloße Fortschreibung . des Bestehenden vorstellen konnte. Im großen und ganzen war in Alpbach die Welt des Fortschritts noch in Ordnung, Fortschrittskritik und alternatives Denken wurden als „Sozialromantik" abqualifiziert und Gefahren genau dort vermutet, wo sie gerade nicht oder zumindest nicht in erster Linie zu suchen sind.

Da die drohende Wirtschaftskrise der achtziger Jahre und die immer deutlicher in Erscheinung tretenden sozialen Grenzen des Wachstums nur Symptome einer tieferliegenden Krise der wissenschaftlich-technischen Zivilisation sein könnten, blieb ebenso außer Betracht, wie die naheliegende Frage, ob diese Krise durch ein Mehr an Fortschritt von der bisherigen Sorte nicht noch verschärft und beschleunigt wird.

Damit soll keineswegs bestritten werden, daß das Europäische Forum Alpbach auch heuer wiederum eine Reihe sehr wertvoller Anregungen vermittelt hat. Der für mich nachhaltigste

Eindruck mag zwar ein eher am Rande des diesjährigen Generalthemas gelegenes Zeitphänomen betreffen, das mir jedoch für die Zukunft der Menschheit von allergrößter Bedeutung zu sein scheint.

Es handelt sich um die sehr hochgespannten Erwartungen, die heute gerade von Seiten der Nichtglaubenden im Hinblick auf die Bewältigung der negativen Konsequenzen des Fortschritts an Religion und Kirche herangetragen werden, Erwartungen, die sich vor allem auf die Enzyklika „Redemp-tor hominis" Johannes Paul II. stützen.

Es ist erstaunlich, daß die ausgesprochen fortschrittskritischen Aussagen, die insbesondere im dritten Teil des päpstlichen Rundschreibens enthalten sind, bis jetzt so gut wie überhaupt keine Beachtung gefunden haben. In Alpbach hingegen standen sie im Mittelpunkt einer von den Professoren Norbert Leser (Wien) und Adam Schaff (Warschau) geleiteten Arbeitsgemeinschaft über „Entfremdungsphänomene als Entwicklungskonstanten und Fortschrittskonsequenzen".

Es war dies, soweit mir bekannt ist, das erste Mal, daß die Enzyklika unter diesem keineswegs beiläufigen Gesichtspunkt systematisch analysiert wurde. Die sehr lebhaften Diskussionen, an denen auch der bekannte katholische Marxismus-Experte Pater Gustav Wetter von der Gregoriana in Rom, der Innsbrucker Fundamentaltheologe Pater Walter Kern sowie ein Vertreter des spanischen Eurokom-munsismus als Gesprächspartner teilnahmen, erinnerten mich sehr nachdrücklich an die Blütezeit des christlichmarxistischen Dialogs, wie er Mitte der sechziger Jahre im Rahmen der großen internationalen Kongresse der Paulusgesellschaft stattfand.

In der Tat deutet die Enzyklika die negativen, den heutigen Menschen bedrohenden Fortsch rittskonsequenzen, als „Entfremdung" und man mag sich fragen, warum sich gerade ein höchstes lehramtliches Dokument der katholischen Kirche diesen keineswegs „unbelasteten" Begriff zu eigen gemacht hat, der ja nach wie vor Kernstück der marxistischen Theorie und Gesellschaftskritik ist und zudem durch seine materialistische Prägung durch Feuerbach und Marx nicht unerhebliche religionskritische Konsequenzen beinhaltet.

Eben darum bezeichnete der polnische Marxist Adam Schaff dieses Dokument des polnischen Papstes als äußerst „mutig" und „klug", ja er sieht darin geradezu eine Magna Charta eines neuen christlich-marxistischen Dialogs unter veränderten Vorzeichen und Fragestellungen. In diesem Dialog gehe es heute nicht mehr so sehr um ideologische und weltanschauliche Fragen, im Mittelpunkt stehe vielmehr das Uberleben des durch seine eigenen - materiellen und geistigen - Schöpfungen tödlich bedrohten Menschen.

Im Verlauf der Diskussion zeigten sich jedoch erneut die Grenzen eines solchen Dialogs, die nicht zuletzt aus den diametral entgegengesetzten Auffassungen über das Wesen des Menschen und über die Ursachen seiner Entfremdung resultieren. Prof. Wetter hat diesen fundamentalen Unterschied auf die einprägsame Formel gebracht: „Nicht der Glaube an Gott entfremdet den Menschen, sondern der Unglaube!"

Die Frage ist, ob man diese bleibende Differenz einfach aus- und einklammern kann, wie Schaff dies im Interesse gemeinsamer, konkreter Zielsetzungen und Strategien im Kampf gegen die Entfremdung des Menschen vorschlägt.

Kardinal Dr. Franz König, der den Diskussionen als äußerst interessierter Zuhörer beiwohnte, begrüßte abschließend den in Alpbach unternommenen Versuch, im Hinblick auf die uns alle gemeinsam drohenden Gefahren zu einer neuen Verständigungsgrundlage zwischen Christen und Marxisten zu gelangen, knüpfte jedoch die Weiterfüh-rung dieses Dialogs an bestimmte Voraussetzungen. Dieser müsse im kleinen Kreise und unter Teilnahme kompetenter Fachleute geführt werden, denn nichts schade der Sache mehr als oberflächlicher Dilettantismus.

Wie Dr. König weiter betonte, müßten in einer pluralistischen Gesellschaft wie der unseren auch Vertreter anderer Weltanschauungen miteinbezogen werden, wird doch in der Enzyklika die Bereitschaft der Kirche zum Ausdruck gebracht, mit allen Menschen guten Willens ins Gespräch zu kommen.

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