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Kavalierstour

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Kurfürst Karl Albrecht von Bayern nimmt im österreichischen Geschichtsbild einen eher schemenhaften Platz ein. Wohl steht er in unseren Geschichtsbüchern als der anfangs sogar am gefährlichsten scheinende Gegenspieler seiner Cousine Maria Theresia im österreichischen Erbfolgekrieg, in dessen Verlauf er sich in Linz als neuer Landesfürst huldigen und dann in Prag zum König von Böhmen krönen ließ. Am 12. Februar 1742 wurde er in Frankfurt von seinem Bruder, dem Kurfürsten Clemens August von Köln, zum Römischen Kaiser gekrönt — am gleichen Tag, an dem die Österreicher unter Khe-venhüller in München einrückten. Knapp drei Jahre dauerte das Schattenkaisertum des Wittelsbachers; am 20. Jänner 1745 ist er in München gestorben und ein Vierteljahr später verzichtete sein Sohn und Erbe Max Joseph im Frieden von Füssen auf jeden Erbanspruch auf Österreich und auf den Wittelsbachischen Kaisertraum und stimmte der Wahl von Maria Theresias Gemahl zum Römischen Kaiser zu.

Es ist daher eigentümlich und bis heute nicht aufgeklärt, wie ein Tagebuch von Karl Albrechts italieni-

Stiftsarchiv von Göttweig kam, wo es 1965 vom Stiftsarchivar P. Emmeram Ritter OSB aufgefunden und nun von dem mit ihm befreundeten bayrischen Heimatforscher Wolfgang Johannes Bekh in eingehend kommentierten Auszügen veröffentlicht wurde.

Wie es der Sitte der Zeit des Spätbarocks entsprach, enthält dieses Diarium, das nicht vom Kurprinzen selbst, sondern von einem der ihn begleitenden Kavaliere verfaßt wurde, kaum individuelle Züge. Gerade deshalb aber ist es als Zeugnis für eine typische „Kavalierstour“ des 18. Jahrhunderts von allgemeiner Bedeutung. Der Herausgeber hat aus dem langen Bericht den Beginn der Reise von München über Altötting, Salzburg, Elmau, Schwaz, Innsbruck, Brixen, Bozen, Trient, Verona — wo die Reisegesellschaft nach Ablauf der strengen Pest-Quarantäne von vierzig Tagen im Hause des berühmten Gelehrten und Dichters Scipione Maffei logierte — zum Karneval nach Venedig, dann vor allem den Aufenthalt zu Ostern in Rom und in kürzeren Auszügen die Rückreise über Siena, Florenz, Pisa, Livorno, von dort die Schiffsfahrt nach Genua und von dort über Mailand (mit einem Abstecher an den Lago Maggiore), Pavia, Pia-cenza, Parma, Mantua, Brescia, Verona, und wieder zurück über den Brenner ausgewählt. Von Innsbruck ging die Reise diesmal über Zirl, Scharnitz und Mittenwald an den Starnberger See, wo der Kurprinz wieder mit Eltern und Geschwistern zusammentraf. Von besonderem Interesse ist die ausführliche Beschreibung des Zeremoniells, mit dem der Kurprinz in den verschiedenen Städten Italiens empfangen wurde, sowie der verschiedenen Lustbarkeiten, die man ihm zu

Ehren veranstaltete. Gerade deshalb bedauert man es eigentlich, daß nicht der ganze Originaltext veröffentlicht und den gewiß sehr verdienstvollen, aber manchmal doch allzu ausführlichen Kommentaren des Herausgebers hingegen sehr viel Platz eingeräumt wurde. Ein Sonderlob verdient die reichhaltige, überaus geschmackvolle Ausstattung und Illustration durch zeitgenössische Vignetten, Kupferstiche, Gemälde und Faksimiledrucke und der besonders hübsche marmorierte Einband, eine Reproduktion nach dem Kleisterpapier-Einband des Originals, während der Schutzumschlag einen Ausschnitt aus dem allegorischen Gemälde des bayrischen Hofmalers Joseph Vivien zeigt, das die Wiedervereinigung der kurfürstlichen Familie nach dem Spanischen Erbfolgekrieg im April 1715, also etwas mehr als ein halbes Jahr vor dem Antritt der „Kavalierstour“ des Kurprinzen, darstellt.

EIN WITTELSBACHER IN ITALIEN. Das unbekannte Tagebuch Kaiser Karls VII.; herausgegeben und kommentiert von Wolfgang Johannes Bekh. Bruckmann, München, 128 Seiten mit 42 Abbildungen.

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