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Kehr-Seiten der frühen Stadtkultur

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Mehr als anderswo wurde das politische, wirtschaftliche und soziale Leben Flanderns durch seine Städte bestimmt. Die Stadt war eine Welt für sich. Ihre Bürger beschäftigten Künstler wie Jan Brueghel und Peter Paul Rubens, besaßen kostbare Möbel und prunkvolle Juwelen. Handelsbeziehungen zum Ausland wurden unterhalten.

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Mehr als anderswo wurde das politische, wirtschaftliche und soziale Leben Flanderns durch seine Städte bestimmt. Die Stadt war eine Welt für sich. Ihre Bürger beschäftigten Künstler wie Jan Brueghel und Peter Paul Rubens, besaßen kostbare Möbel und prunkvolle Juwelen. Handelsbeziehungen zum Ausland wurden unterhalten.

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Wie lebte man in Flanderns Städten von 1477 bis 1787? Eine Vorstellung kann man in Kürze auf der Schalla-burg in Niederösterreich bekommen, wo am 18. Mai eine Ausstellung über „Stadtbilder in Flandern - Spuren bürgerlicher Kultur 1477-1787" eröffnet wird.

1477 brachte Maria von Burgund die damaligen Niederlande in die Ehe mit dem Habsburger Maximilian mit; später blieb der Süden - im wesentlichen das heutige Flandern - den (mittlerweile spanischen) Habsbur-gern treu, während sich derkalvinisti-sche Norden verselbständigte. Im 18. Jahrhundert gaben wieder die Österreicher den Ton an in Flandern. Österreich hat also auch ein wenig Anteil am Glanz der flandrischen Stadtkultur, aber auch an deren Schattenseiten.

Mit ihren Fürsteneinzügen (nach ihrer Wahl oder nach anderen großen Ereignissen statteten die Fürsten den wichtigen Städten einen Besuch ab, bestätigten deren Privilegien und ließen sich in volksfestartiger Atmosphäre feiern) und zahllosen religiös geprägten Umzügen (Flandern ist bis heute stark katholisch und kennt ein reiches Spektrum an Heiligen) muten die Städte Flanderns teilweise wie eine fremde Welt an.

Der Brüsseler Historiker Peter Poulussen hat im Rahmen der Ausstellung das Umweltdenken und das (mitunter ganz und gar nicht) nachbarschaftliche Zusammenleben in geschlossenen Siedlungsgebieten untersucht und zeigt im Katalog anhand von Beispielen und Zahlen auf, wie es damals in den Städten um den „Umweltschutz" bestellt war. Was man wohl dunkel ahnen kann und das anderswo leider noch nicht entspre-

chend historisch untersucht wurde: Mit Hygiene und Umweltschutz nahmen es die Stadtverwaltungen von einst nicht so genau. Auch wenn es in der vorindustriellen Zeit nicht um großflächige Umweltzerstörung ging, müßte doch ein Bruchteil der Ge-ruchs-und Lärmbelästigung von einst heute im Handumdrehen zur Gründung von Bürgerinitiativen führen.

Abfälle in den Straßen

So strahlen etwa in Antwerpen bauliche Kleinode wie die barocke St.-Carolus-Borromäus-Kirche oder auch das gotische Vleeshuis, das Zunfthaus der Fleischer, in vollem Glanz. Zu deren Füßen aber lebten und arbeiteten die Fleischhauer, Schlachtabfälle und geronnenes Blut

landeten meist auf der Straße, auch wenn die Stadtverwaltung beispielsweise schon 1623 zweimal in der Woche eine Art Müllabfuhr organisierte.

Für 1570 ist noch historisch gesichert, daß die Städter in der Früh ihre Nachttöpfe aus dem Fenster leerten. „Toiletteanlagen" waren oft an der Außenwand des Hauses angebracht, die Exkremente plumpsten direkt in die Stadtgrachten, die das Erscheinungsbild der flandrischen Städte prägten. Erst 1776 gelangten in der Stadt Mecheln die Behörden zur Ansicht, daß derartige Gebräuche für Gestank und Krankheiten gleichermaßen verantwortlich seien. Es gab Straßen und Plätze, die da ganz offiziell „Schmutz-" oder „Mist-" in ih-

rem Namen führten.

Dabei verhielten sich die Stadtverwaltungen durchaus nicht passiv: Gesetze wurden erlassen, die das Anlegen von Trennwänden, Rauchfängen und Regentonnen und (in Antwerpen) sogar der Abort-Belüftung regelten. Schon ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts konnten vereinzelt Reinigungsdienste organisiert werden.

Frischwasser woher?

Der Müll wurde an Privatleute verpachtet: Diese waren dann für das Wegräumen verantwortlich, fanden aber in Zeiten, in denen sich der Abfall größtenteils als Dünger in der Landwirtschaft oder beim Ausbau der städtischen Verteidigungsanlagen verwerten ließ, durchaus ihrerseits wiederum zahlungswillige Abnehmer.

Die Konzentration einzelner Berufsgruppen (Gerber, Fleischer, Bleicher und so weiter) in bestimmten Stadtvierteln war dem Leben in der Stadt insoferne förderlich, als dadurch stö-

rende Gerüche oder Lärm weitgehend in räumlichen Grenzen gehalten wurden.

Wie aber Bleicher (potentielle Wasserverunreiniger) und Bierbrauer (die auf das Wasser angewiesen waren), Schnapsbrenner, Fleischer und Wachssieder miteinander versöhnen?

Was das Wasser betraf, so gab es vereinzelt eine gesetzliche Tageseinteilung für das Ableiten yon Unrat und die Entnahme von Frisch wasser.

Daß es möglicherweise trotzdem nicht ganz so frisch gewesen sein mag, belegt folgender Hinweis: Man erzählt sich, daß die in Belgien bis heute noch verbreiteten Fruchtzusätze zu manchen Bieren ursprünglich eine schlechte Wasserqualität „übertönen" sollten. Wenn's nicht wahr ist, so ist's doch gut erfunden - das belgische Bier hat Weltruf und wird auch solche Anekdoten verkraften.

Pulverturin explodierte

Probleme ergaben sich beispielsweise auch bei der Ansiedlung von Betrieben, die für das wirtschaftliche Leben der Stadt wichtige Impulsgeber waren. Friedhöfe ließen sich relativ leicht aus der Stadt verbannen, aber eine Keramikfabrik? 1750 wurde in Brügge der Betrieb einer solchen mit einem „jein" gestattet: Falls sich die Anrainer nicht allzu stark belästigt fühlten, war fast alles erlaubt.

Im übrigen schlug die Zeit auch den um das Wohl der Bürger besorgten Stadtvätern ein Schnippchen: Bei steigenden Bevölkerungszahlen mußten die Stadtmauern erweitert werden, und die zuvor aus der Stadt verbannten Ziegeleien, Schwefelmühlen und Abfallplätze rückten nun doch wiederinnerhalbderStadtmauern. Hie und da setzten sich Bürger auch zur Wehr, so etwa nach der Explosion von Pulvertürmen mitten in der Stadt. 1575 etwa wurde ein Großteil von Mecheln in Schutt und Asche gelegt, im gleichen Zeitraum kam es zu ähnlichen Explosionen in Brüssel und in Antwerpen.

In der Universitätsstadt Löwen stießen die Präsidenten von Studenten-Kollegien freilich auf taube Ohren und erreichten bloß den Kompromiß, daß das Pulver auf mehrere Lager verteilt wurde, damit der Schaden im Explosionsfall geringer sei. Es kam dann aber zu keinem Unfall. (Die Ausstellung ist bis 27. Oktober, wochentags 9 bis 17 Uhr, Samstag, Sonn-und Feiertage 9 bis 18 Uhr, geöffnet.)

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