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Kehrseite der Medaillen

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Erist neben dem Schweden In-gemar Stenmark wohl der zur Zeit weitbeste Schirennläufer in den Disziplinen Torlauf und Rie-sentorlauf. Bei den Olympischen Winterspielen in Sarajevo darf er dennoch nicht an den Start. Obwohl österreichischer Staatsbürger, fährt er die Rennlaufsaison über zur höheren Ehre von Luxemburg. Und das versperrt ihm einen Platz in der Olympiamannschaft des österreichischen Schiverbandes.

Die Rede ist vom Vorarlberger Marc Girardelli.

Nach Olympia wird Girardelli wieder siegen dürfen — solange, bis er im Rollstuhl sitzt. Denn diese düstere Zukunft prognostizierte der Wiener Sportarzt Oswald Schwinger dem knapp Zwanzigjährigen.

Nach einer schweren Bänderverletzung in beiden Knien sollte, so der ärztliche Rat Schwingers, der Vorarlberger seine Karriere als Schirennläufer lieber beenden, wenn er nicht über kurz oder lang als Sportkrüppel sein Dasein fristen will.

Trotz aller Warnungen fährt Girardelli weiter. Und er ist kein Einzelfall.

Übertriebener sportlicher Ehrgeiz und der hohe finanzielle Einsatz (für einen einzigen Sieg bei einem Weltcup-Schirennen gibt es Prämien der Ausrüsterfirmen zwischen 100.000 und 200.000 Schilling) lassen meist alle Bedenken hinsichtlich der persönlichen Gesundheit in den Hintergrund treten.

Uberhaupt umgibt ein Schleier die Diskussion über die Spätfolgen des Höchstleistungssports für den Athleten. Verletzungen leichterer und schwererer Natur, aber schon die Abnützung des Bewegungsapparates und des gesamten Organismus durch jahrelanges, intensives Training für den Wettkampf werden von den beteiligten Betreuern genauso bagatellisiert wie von den betroffenen Sportlern — und von vielen Sportärzten auch, meint Ludwig Prokop, Leiter des Instituts für Sportmedizin in Wien.

Prokops „Leitfäden für Ärzte, Sportlehrer und Trainer" zum Thema „Sportschäden" ist — mit seiner Auflistung gesicherter medizinischer Forschungsergebnisse — ein einziger Appell an die Vernunft. Denn gerade die Tatsache, daß objektive Langzeituntersuchungen über den Zusammenhang zwischen Sportausübung und Langzeitschäden fehlen, macht die Beweisführung schwer.

Oft liegen zwischen dem Ende einer Sportlerkarriere und dem Auftreten chronischer Schäden mehrere trainingsfreie Jahre. Und ist das Leiden einmal chronisch, dann wird es mit dem früher ausgeübten Sport nicht mehr ursächlich in Verbindung gebracht — bewußt oder unbewußt. Prokop: „Die Tatsache, daß eine extreme Belastung lange beschwerdefrei bewältigt werden kann, ist noch kein Beweis für ihre Harmlosigkeit.". ,

Vor kurzem hat nun das Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich eine Studie über die sportmedizinische Situation des Schirennläufers publiziert. Rund hundert männliche und weibliche Schisportler der internationalen Leistungsspitze wurden in die Untersuchung einbezogen. Die Ergebnisse müßten bei allen Beteiligten die Alarmglocken schrillen lassen:

Bei fast einem Drittel der untersuchten aktiven Rennläufer brachten die detaillierten Fragen der Forscher chronische Leiden an den Tag. Uber gelegentliche Rückenschmerzen klagten mehr ■als die Hälfte der Abfahrtsläufer und 65 Prozent der Slalomartisten. Gelenkschmerzen, Beinschmerzen, Kopfweh und Atembeschwerden bis hin zu Erkrankungen psychosomatischer Art stehen auf der Beschwerdeliste,sowohl was die Häufigkeit ihres Auftretens*als auch was ihre Intensität betrifft, ganz oben.

Gegen die angeführten Dauerbeschwerden nimmt sich die Zahl der Unfälle noch vergleichsweise „harmlos" aus. 34 Prozent der befragten alpinen Schirennläufer gaben an, im Laufe ihrer Renntätigkeit einen Knochenbruch erlitten zu haben. Im Schnitt verunfallte jeder Rennläufer mindestens dreimal. Prellungen, Verstauchungen, Bänderzerrungen und -risse, Gehirnerschütterungen und Wirbelsäulenverletzungen gehören nach der Schweizer Untersuchung zum täglichen Brot eines Rennläufers.

Doch auch der Weg zur internationalen Spitze ist im Leistungssport heute nicht gerade mit Rosen gepflastert. In allen Sportarten muß, will man Höchstleistungen erbringen, schon in früher Jugend, beim Schwimmen oder Turnen zum Beispiel gar im Kindesalter mit dem Training begonnen werden. Und auf den Wettkampf vorbereiten müssen sich Spitzensportler und die, die es noch werden wollen, an mindestens 200 Tagen im Jahr.

Ludwig Prokop beobachtete u. a. die Auswirkungen von intensiven Trainingsbelastungen an Schülern in den sogenannten „Haupt- und Mittelschulen mit sportlichem Schwerpunkt" in Österreich. Viele klagten zum Beispiel über Kniegelenksschmerzen. Aber die Beschwerden wurden, wohl zur Beruhigung der Trainer und ihrer Schützlinge, meist mit „Wachstumsschmerzen" erklärt.

Wer heute sein Fell im Hochleistungssport zur persönlichen und/oder „zur höheren Ehre der Nation" zu Markte trägt, sollte genau wissen, welchen Preis er dafür aller Wahrscheinlichkeit nach später einmal bezahlt. Eltern, Trainer und vor allem auch die Sportärzte sollten sich mehr als bisher ihrer Verantwortung für die Zukunft und die Gesundheit der jungen Menschen bewußt sein.

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