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Kein asiatischer Jubel

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Am Abend des Mordes von Dallas war Tokio eine Stadt in Trauer. Am nächsten Tag in Taipeh sprachen die Menschen vom Präsidenten, der ermordet worden war, von wenig anderem. Zwei Tage später sagte ein Zöllner im isolierten und neutrali- tätsbesessenen Rangoon: Ohne ihn wird es jetzt schwerer sein und länger dauern, bis wir in Asien wirklich leben können. Noch am Ende der folgenden Woche fragten Menschen in Bombay einander und den Fremden: Was wird nun werden? Dieser Präsident hatte Entscheidungen getroffen die den Links-Nationalisten und den Afro-Asien-Neutralisten verhaßt waren und er hatte andere Entscheidungen getroffen, die den Rechts-Nationalisten und Pro-Westlichen wenig gefielen. Aber es lagen Bestürzung und Besorgnis nach seinem Tod über Asien.

Ein Dezennium später kündet ein Präsident der USA den Plan einer Reise nach Peking an; eine Friedensmission, wie sie die Welt gefordert hatte. So sollte der Krieg beendet werden, der am Mark der unmittelbar Beteiligten, am Prestige und an den Nerven der mittelbar Beteiligten gezehrt hat; Euphorie in Europa, in den USA: dahinter die Reaktionen aus Asien: gedämpft! In den Zeitungen der Staaten, die bisher Peking nicht anerkannt haben, gibt es Verachtung und Empörung über die Männer, die sich blind von Washington nach Washingtons Belieben ins diplomatische und wirtschaftliche China-Patt führen ließen. Die Zeitungen der Länder, die diplomatische Beziehungen zu Peking seit langem pflegen, preisen die Weisheit ihrer Regierungen. Die prochinesischen Zeitungen sind voll Genugtuung; nicht so sehr über die Ankündigung Nixons, er werde nach Peking reisen, als über die Ankündigung Tschu En-lais, Peking werde Bedingungen stellen; die USA habe ein Minimalprogramm zu erfüllen, bevor eine Normalisierung der Beziehungen zwischen USA und China spruchreif wird.

Nun hat Peking länger als zwei Dezennien über alle Massenmedien, die den chinesischen Kommunisten zur Verfügung stehen, die jeweiligen Präsidenten der USA als bösartige Mißgeburten dargestellt — die USA selbst als Papiertiger. Ein Jahrzehnt lang war alle Propaganda-Tautologie ziemlich vergebens gewesen — zumindest außerhalb der Grenzen des kommunistischen Reiches. Das verriet die Trauer, die Besorgnis, als jener Präsident ermordet wurde, der als „Liberaler“ seine Verpflichtungen gegenüber den USA-Bündnispart- nern in Asien gewissenhaft hielt. Doch widerhallte Nixons Ankündigung, er werde nach Peking reisen, in einer vollständig veränderten Asienszene. Seit Jahren haben Washingtons Bundesgenossen mißtrauisch und voller Angst die Ermüdungserscheinungen ihres großen Partners beobachtet. Seit Jahren rechnen die anderen mit den Aushöhlungserscheinungen und Folgen im Inneren der ramponierten Weltmacht. Was immer die politischen Folgen sein werden, wie immer der westliche Kommentar, Präsident Nixons Ankündigung bestätigt den einen in Asien, was sie befürchtet, den anderen was sie erwartet haben. War es schon vor der Ankündigung so weit oder wurde es erst durch die

Ankündigung bewirkt: Das Ansehen der USA hat in Asien einen Tiefpunkt erreicht

Die Ware mag gut sein, in Asien zählt auch die Verpackung. Das gleiche Geschenk, verschieden verpacht, kann Achtung ausdrücken oder Verachtung. Den Staaten und Völkern Asiens wurde aber Nixons neue Chinapolitik unverpackt serviert. Die zwei größten Staaten Asiens waren Ausnahmen: Japan und Indien wurde die neue Politik in beschämender, in provokanter Verpackung hingehalten. Schließlich handelt es sich um die einzigen Demokratien Asiens östlich von Jerusalem.

In Japan hat Sato jahrelang seine Popularität selbst untergraben, um Washingtons Chinapolitik als Washingtons Bündnispartner zu folgen. Die machtvollsten Zaibatsus, die gefährlichsten Gewerkschaftsverbände, die Linksliberalen und die Rechtschauvinisten, die alten Amerikahasser forderten unausgesetzt die Anerkennung Chinas. Wer die ambivalenten Sentiments Japans zu China, die wirtschaftliche Bedeutung Chinas für Japan kennt, ermißt die Tiefenwirkung dieser Forderung und die Standfestigkeit des Ministerpräsidenten. Washington war diese Standfestigkeit nur ein Telephonanruf mit der Ankündigung der Nixon-Rede eine halbe Stunde bevor sie über das TV ging, wert. Wer weiß es nicht, und dennoch hat es volle Gültigkeit: Noch höheren Wert als die Verpackung hat das Gesicht, das Wahren des Gesichtes. Washingtons festester Verbündeter in Japan, hat sein Gesicht verloren. Sato wird bei der nächsten Wahl nicht wieder kandidieren. Die USA haben ihr Gesicht verloren — es liegt jetzt unter der Vorkriegslinie. Amerikahasser der Linken, Amerikahasser der Rechten eng untereinander verwandt, führen das Wort.

Indien fühlt sich im Stich gelassen, vor allem betrogen, düpiert. Kissinger hat New Delhi, Islamabad besucht, vor seiner geheimen Reise nach Peking; die Motivierung des Besuches: Untersuchung der Lage in Ostpakistan und der Flüchtlingssituation in Indien. „Hindustan Times“ schreibt: War die Reise nur die Fassade, den Peking-Besuch zu tarnen, mit Pakistan als getreuer Vermittler? Dann war Indien nichts als eine Kulisse in diesem dramatischen Geschehen.

Und jetzt wird die Erinnerung wach, daß von allen Staaten der Welt nur zwei das Massaker der westpakistanischen Militärs in Ostpakistan unterstützen, nur zwei Staaten Waffen nach Islamabad schicken: China und die USA.

Das alles könnte als Drapierung um das historische Geschehen gewertet werden. Doch wenig Asiaten sind geneigt, Hülle und Inhalt in Gegensatz zueinander zu sehen. Das Mißtrauen ist in diesen Tagen riesengroß geworden — überall in Asien, in den Ländern des Antikommunismus, in den neutralen Staaten — und in kommunistischen Kreisen außerhalb Chinas. Voll Bitterkeit sagte ein Singhalese: Das konnte nur ein Präsident der „Silent Majority“ zustandebringen. Ihm und seinen Wählern ist die negerreine Nachbarschaft viel wichtiger als Asien. Wer sagt, es könne keinen Neoisolationismus geben?“

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