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Kein Aufbruch droht...

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Anlaß für die folgenden zehn Anmerkungen sind die akuten Konflikte in St. Pölten und Salzburg. Gemeinsam ist ihnen eine tiefe Krise kirchlicher Autorität.

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Anlaß für die folgenden zehn Anmerkungen sind die akuten Konflikte in St. Pölten und Salzburg. Gemeinsam ist ihnen eine tiefe Krise kirchlicher Autorität.

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Noch 1990 nahm die Bevölkerung vier Bischöfe als eine „neue Generation" wahr Das trifft - zwei Jahre später - kaum noch zu. Nach dem Abgang des Wiener Weihbischofs nach St. Pölten wird immer klarer, daß Kardinal Hans Hermann Groer von den Leuten zu Unrecht in diese Vierergruppe eingeordnet wurde.

1. Menschen trauen Institutionen immer weniger. Auch der Institution Kirche. Institution meint dabei für viele leidernicht das Unverzichtbare: das Entlastende, das Bergende, das Schützende. Vielmehr lehnen die Menschen mehrheitlich ab: das Anonyme, das Fremdbestimmte, das.Ein-sichtslose, das Autoritäre, das Setzen auf Macht.

2. Je weniger Institutionen bei den Menschen zählen, desto wichtiger werden Personen. Es ist daher auch nicht nebensächlich, welche Personen ein Amt erhalten. Wofür stehen die Amtsträger der Kirche bei uns? Für das spurenhafte Kommen des Reiches Gottes oder für Gesetz und Ordnung? Wofür jemand steht, ist an den Früchten zu erkennen: „Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, es ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist" (Rom 14,17).

3. Der Vorgang der Entinstitutio-nalisierung erleichtert die Verkündigung des Evangeliums nicht: Vergrößert er doch den Abstand zwischen der Kirche und Menschen, für die sie das „Lied des Lachens, der Hoffnung und der Auferstehung" bereit hält. Die gegenwärtigen Konflikte in der Kirche beschleunigen unnötiger Weise diesen Entfernungsvorgang. Jene, die Evangelisierung fordern, behindern sie.

4. Konflikte sind ein Zeichen von Lebendigkeit, wenn sie kreativ sind. Die derzeitigen Konflikte sind destruktiv: im Inhalt und im Stil der Austragung. Verantwortlich für die Konfliktkultur ist nie nur eine Seite.

5. Die Krise des Gehorsams ist immer eine Krise der Autorität. Autorität hat, wer keinen Gehorsam verlangen muß. Die Leitungsautorität in der österreichischen Kirche ist einem temporeichen Verschleiß ausgesetzt. Durch die Demontage der Autorität weniger Bischöfe leidet das Bischofsamt insgesamt. Solch ein Schaden ist nur schwer gutzumachen. Die Folgen der Zerstörung bischöflicher Autorität sind deshalb fatal, weil es in der Zeit des Übergangs der Kirche in eine neue Gestalt einen hohen Bedarf nach akzeptierter Autorität gibt.

6. Der wachsende Anspruch auf Teilhabe (Partizipation) und persönliche Verantwortung auch in der Kirche ist kein Gegensatz zum Autoritätsbedarf. Vielmehr sind sie die Voraussetzung dafür, daß Autorität nicht nur legitim ist, sondern auch wirksam sein kann. Österreichs Kirche kennt zur Zeit eine wachsende Amtsbehinderung durch fehlende Akzeptanz.

7. Zu den zentralen Aufgaben der Leitung gehört die Sorge um Bewegung (Lokomotion) und um Zusammenhalt (Kohäsion). Lokomotion geschieht durch eine für möglichst viele Mitglieder „bewohnbare, verbindende und verbindliche Kirchenvision" (vergleiche das Dokument des Wiener Diözesanforums, Miteinander Kirche sein, Wien 1991). Kohäsion ist mit der Sorge um Einheit gleichzusetzen. Eine Leitung, die Kohäsion und Lokomotion nicht fördert, macht sich selbst überflüssig. Zur Zeit gibt es in einzelnen Diözesen eine tragische Selbst-Amts-Enthebung, eine Art Selbstausschluß von Leitung aus den Lebenvorgängen der Gemeinschaft.

8. „In jenen Tagen waren Worte des Herrn selten, Visionen waren nicht häufig. Eli schlief auf seinem Platz. Seine Augen waren schwach geworden, und er konnte nicht mehr sehen." (1 Sam 3,1) Was in einigen Diözesen zur Zeit fehlt, sind Visionen und Personen an der Spitze, die dafür stehen. Die Folge: Kein Aufbruch ist in Sicht. Vielmehr breitet sich Resignation aus. Die einzige Kraft gegen Resignation heißt Vision.

9. „Nicht den Untergang verwalten, sondern Übergang gestalten." Pro Occidente heißt wörtlich übersetzt: für den Untergang. Die überkommene Gestalt der Kirche (nicht die Kirche selbst) ist - wie einst Abraham und Sara (vergleiche Gen 19) - alt und unfruchtbar geworden: es ist die Klerus- und Expertenkirche, gekennzeichnet vom „pastoralen Grundschisma" der Spaltung zwischen Klerus und Volk. Durch den Einsatz vieler Priester und Laien ist eine neue Gestalt (die Isaak-Gestalt) im Werden, unaufhaltsam. Es ist eine in Gott verwurzelte (mystische) und deshalb geschwisterliche und diakonal-poli-tische Kirche. Je mehr diese drei Merkmale lebendig sind, desto „katholischer" ist die Kirche.

10. In der gegenwärtigen Kirche fehlt in der Leitung die Sorge um die Kohäsion. Was, wenn das Amt selbst die Kohäsion zerstört? Wie kann für die Einheit verantwortlich sein, wer sie unter Berufung auf die „Wahrheit" - sind Ministrantinnen eine zentrale Glaubenswahrheit? Wird nicht Wahrheit mit Disziplin verwechselt? - aufs Spiel setzt?

Und weiter: Welche Langzeitfolgen wird es haben, wenn ein Bischof dem anderen, noch dazu unter Mehrung der Lebensgefahr für diesen. Linkslastigkeit vorwirft? Ein Amt, das in sich so fahrlässig uneins ist, zerfällt.

Die Überlegungen stützten sieh auf jüngste Kulturdiagnosen, veröffentlich in: Paul M. Zu lehner, Hermann Denz. Martina Beham. Christian Friesl, Vom Untertan zum Freiheitskünstler. Eine Kulturdiagnose an Hand der Studien Religion im Leben der Österreicher 1970 -1990 und der europäischen Wertestudie -Österreichteil 1990. Wien 1992.

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