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Kein Aufbruch zu neuen Ufern

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Die Oppositionsrolle hätte der SPÖ einen Neuanfang ermöglicht. Aber als Großpartei kann sie auf die Chancen zur Gesellschaftsgestaltung nicht so leicht verzichten.

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Die Oppositionsrolle hätte der SPÖ einen Neuanfang ermöglicht. Aber als Großpartei kann sie auf die Chancen zur Gesellschaftsgestaltung nicht so leicht verzichten.

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Für die SPÖ als Partei, die sich nach wie vor offiziell als gesellschaftsverändernde Kraft versteht, wäre der Weg in die Opposition die optimale Lösung gewesen.

Die SPÖ hätte sich erspart, einem Justizminister Ofner ausdrücklich zustimmen zu müssen; und sie hätte sich eine Zeit der internen Besinnung, der organisatorischen Stärkung, eben eines Neuanfangs ermöglicht.

Der Weg in die Opposition war für die SPÖ freilich nicht zumutbar.

Eine moderne Großpartei, die sich auf die im europäischen Durchschnitt nach wie vor auffallende Stärke von fast 48 Prozent Wählerstimmen stützt, die seit Jahrzehnten an die Besetzung staatlicher Schaltstellen gewöhnt ist, kann kaum in die Opposition gehen — sozusagen freiwillig, ohne äußeren Druck.

Die SPÖ ist eine Großpartei, wie andere auch; sie besteht aus Menschen, die die Politik mit vielen Aspekten verbinden, die nicht so ohne weiteres von den Privilegien, Vorteilen, auch von den Chancen zur Gesellschaftsgestaltung lassen wollen, wenn sie nicht wirklich müssen.

Daß die Entscheidung der Sozialistischen Partei Österreichs für die „kleine Koalition“ so eindeutig fiel, zeigt, wie sehr das Kalkül des Machterhaltes stärker ist als die Überlegung innerparteilicher Erneuerung und gesellschaftspolitischer Glaubwürdigkeit.

Die Entscheidung demonstriert auch, wie sehr kurzfristige Ziele im Zweifel immer langfristige Ziele zudecken.

Zweifellos hat die führende Regierungsbeteiligung der Sozialdemokratie für die Partei als konkreten Organismus, der aus Gruppen und Einzelmenschen besteht, Vorteile.

Zweifellos riskiert aber die Partei langfristig eine Beschleuni- gung dtes „deutschen Weges“:

Eingesperrt zwischen dem Zwang, einer notgedrungen profilierungssüchtigen FPÖ ständig Konzessionen zu machen, und der wachsenden Unzufriedenheit, die Gruppen wie der ALÖ zugute kommen, wird eine in eine „kleine Koalition“ verstrickte Sozialdemokratie nach beiden Seiten hin abbröckeln — nach rechts, nach links.

Die SPÖ hat schon am 24. April offenkundig nach links verloren: zu den Grünen, vor allem zu den Alternativen, auch und vor allem im Bereich der Jungwähler.

Die SPÖ hat vor allem in jenen gesellschaftlichen und regionalen Sektoren verloren, die die Zukunft für sich haben — neben den Jungen vor allem auch bei den besser Gebildeten, vor allem auch in den Regionen mit ökonomischem und sozialem Wachstum.

Das muß der SPÖ intensiv zu denken geben, daß muß ihr eine strategische Gewissenserforschung größeren Ausmaßes abverlangen. Dafür wäre die Opposition der richtige Ort.

Daß die SPÖ mit größter Selbstverständlichkeit die Freiheitlichen zur Regierungsbeteiligung einladet und innerparteiliche Kritiker als ferngesteuerte Außenseiter abstempelt — so ÖGB-Präsident Benya am Rande des Parteitages —, läßt vermuten, daß eine solche generelle Analyse über die Zukunft der österreichischen Sozialdemokratie eher hinausgeschoben und verdrängt werden soll.

Was die SPÖ braucht, ist sicher nicht das Rezept des Zurück zur Klassenpartei alten Stils.

Die SPÖ war und ist erfolgreich als Volkspartei der linken Mitte, die beweglich genug ist, die Veränderungswünsche der Gesellschaft ebenso zu vertreten wie die Suche nach Sicherheit.

Sie muß den Aufbruch zu neuen Ufern glaubwürdig machen können — aber eben diese Glaubwürdigkeit droht verlorenzugehen.

Die SPÖ muß auch Garant der Bewahrung des Errungenen sein — aber eben das ist von weltweiten Entwicklungen gefährdet, die die österreichische Regierung (und jede österreichische Regierung) kaum steuern kann.

Was die SPÖ auch braucht, ist die demonstrative Bewahrung ihrer antifaschistischen Tradition. Der „Fall Peter“ könnte den Eindruck erwecken, als wäre die Sozialdemokratie in ihrer Mehrheit, als wäre insbesondere die Parteispitze gegenüber Fragen der politischen Moral, vor allem gegenüber Fragen antifaschistischer Eindeutigkeit —, indifferent geworden.

Was die SPÖ letztlich und vor allem braucht, ist die Einsicht in ihre Normalität. Und die Normalität der SPÖ ist die einer Volkspartei der linken Mitte.

Wenn sie nur versucht, eine bessere ÖVP zu sein, wird die Sozialdemokratie ebensowenig ihre führende Rolle behaupten können, wie wenn sie den Anschein erweckt, als wäre sie die Partei, die eine umfassende, neue Gesellschaftsordnung des demokratischen Sozialismus tatsächlich errichten könnte.

Derzeit neigt die SPÖ noch dazu, in der Praxis, im Alltag im Sinne einer (angeblich) besseren ÖVP zu handeln — und bei Sonntagsreden im Sinne eines umfassenden Erneuerungsanspruches aufzutreten.

Diese Diskrepanz zwischen Alltag und Anspruch ist jedoch heute schon für die größte Partei Österreichs eine zu große Belastung.

Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck.

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