6821847-1973_41_10.jpg
Digital In Arbeit

„Kein bequemer Zeitgenosse“

Werbung
Werbung
Werbung

Am Morgen des 3. Oktober ist eine der profiliertesten und eigenwilligsten Persönlichkeiten des österreichischen Katholizismus gestorben, Monsignore Professor Otto Mauer; im relativ jungen Alter von nur 67 Jahren. Sein t ganzes Leben lang hatte er es verstanden, die Menschen zu überraschen. Auch mit seinem so plötzlichen Tod ist ihm dies noch einmal gelungen. Wenige Tage vor seinem Tod hatte er an einer Tagung der Wiener Katholi-

schen Akademie teilgenommen und durch seine Formulierung, wie so oft, viele Menschen begeistert und noch mehr Menschen schockiert.

Otto Mauer ist 1931 zum Priester geweiht worden, er gehörte dem gleichen Jahrgang an wie der viel früher verstorbene Wiener Weihbischof Dr. Josef Streidt.

Es war keine sehr erfreuliche Zeit, dieses Jahr 1931, in dem Otto Mauer die letzten Weihen empfing. Bürger-

kriegstimmung lag über Österreich, die furchtbare Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre war schon ausgebrochen. Noch trauerten viele Österreicher dem Untergang der Monarchie nach und noch mehr Österreicher erhofften in einem Zusammenschluß mit Deutschland alles Heil für die Zukunft. Der junge Priester Otto Mauer, der aus einer Familie kam, die offenbar theologisch begabt war — ein Vetter von ihm war evangelischer Pa-

stor —, hatte sich wie so viele seiner theologischen Kameraden der Reformbewegung „Neuland“ verschrieben und ihren reformerischen Ideen und vor allem ihrem Re^formeifer ist er zeitlebens verhaftet'geblieben. Dem Bund „Neuland“, gegründet von Prof. Dr. Michael Pfliegler und dem späteren Prälaten Dr. Karl Rudolf, waren viele hervorragende österreichische Priestergestalten verbunden. Der heutige Wiener Kardinal kommt aus diesen Reihen, ebenso wie der berühmte Dompfarrer Dr. Karl Raphael Dorr. Propst Do-lezal von Wiener Neustadt, Prälat Erwin Hesse, Pius Parsch von Klosterneuburg, Abt Reetz von Seckau (später Erzabt von Beuron), Pater Dr. Leopold Soukup, ebenfalls von Seckau, sind nur einige dieser illustren Namen aus der Neuland-Bewegung. All diesen Priestergestalten war und ist zu eigen, daß sie immer die Seelsorge an die erste Stelle ihres Lebens gerückt hatten und bereit waren, mit der jeweiligen Welt sich zu konfrontieren, um sie zu christianisieren. Und das heißt auch, sie zu reformieren. Der ganze Bund Neuland schockierte viele österreichische Katholiken. Aber objektiv muß heute festgestellt werden, daß alle diese Männer hervorragende Priestergestalten waren, die unendlich viele Opfer brachten, um auch in der verrücktesten Welt das Christentum präsent zu halten und mit seinen Ideen die Welt zu durchsäuern.

Nur von diesem Punkt aus kann das Wirken des jetzt verstorbenen Monsignore Mauer verstanden werden. Sein Leben war beherrscht von der Sorge um die Seelen der Mitmenschen. Um diese Mitmenschen zu verstehen, befolgte er den uralten paulinischen Satz und wurde allen alles. Vor allen Dingen beschäftigte er sich auch mit allem, was den modernen Menschen interessiert, um so einen Zugang zu diesem modernen Menschen zu finden. Vom Primat der Seelsorge aus suchte er die moderne Kunst zu verstehen und

ebenso die modernen Künstler. Er versuchte die moderne Literatur zu begreifen, er versuchte die modernen Richtungen in der Kirche, in der Welt, in der Industriegesellschaft nicht nur zu erkennen, sondern auch auf einen guten Kern hin zu untersuchen. Jede moderne Idee, die auftauchte, „sprang“ er im wahrsten Sinn des Wortes an und suchte sie in seinen Reformplan unterzubringen. Er wirkte in dieser seiner Tätigkeit oft gar nicht österreichisch, sondern hatte vielmehr das Flair eines modernen französischen Priesters an sich.

Mit seinen Formulierungen schok-kierte er oft viele Mitmenschen, Gläubige und Ungläubige. Aber wer mit einer Idee oder einem historischen Faktum sich abgibt, nimmt auch bei größter Gegnerschaft etwas davon an. Bekannt ist die Tatsache, daß auch die frömmsten Schweizer und holländischen Katholiken oft den Habitus von Kalvinisten haben; ebenso ist die Tatsache bekannt, daß die Kreuzfahrer nur zu oft sich den Habitus von Sarazenen aneigneten.

Otto Mauer konfrontierte sich sein Leben lang mit den modernen Ideen seiner Zeit. Und natürlich nahm er, mehr unbewußt als bewußt, viel von ihnen an. So wie ihn unbewußt die moderne Zeit in seiner christlichen Substanz oft schockiert hatte, so schockierte er dafür wiederum, ebenfalls mehr unbewußt als bewußt, seine Umwelt. Aber so groß oft diese Schocks waren, sie zwangen zum Nachdenken, und zwar Gläubige wie Ungläubige. Und damit hatte Otto Mauer eigentlich seinen seelsorglichen Effekt erreicht. Er war kein bequemer Zeitgenosse, weder für Christen noch für Nicht-christen. Aber seine größte Leistung war, daß man infolge seiner Tätigkeit über das Christentum nicht hinweggehen konnte. Und was kann ein Priester schließlich Schöneres mit seinem Leben erreichen?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung