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Kein Betrüger zu sein, ist zuwenig

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Der Hinweis auf die Unmoral des Bankraubes begründet noch keine Ethik. Anstand im Benehmen gegenüber Mitarbeitern auch nicht. Was heißt christlich sein in der Wirtschaft?

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Der Hinweis auf die Unmoral des Bankraubes begründet noch keine Ethik. Anstand im Benehmen gegenüber Mitarbeitern auch nicht. Was heißt christlich sein in der Wirtschaft?

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Nach christlicher Uberzeugung ist der Mensch selbst die Norm und der Maßstab der Wirtschaft— und zwar der ganze Mensch. Nur von ihm her lassen sich negative Begriffe wie „ungerechte Struktur“, „Ausbeutung“, „wirtschaftlicher Imperialismus“ und positive wie „Subsidiarität“, „Recht auf Privateigentum“, „Schutz der sozial Schwachen“ und anderes dieser Art definieren, als Unrecht aufdecken oder als Zielvorstellung in konkrete politische Programme schreiben. Eine „reine“, ethikfreie Wirtschaft kann es nicht geben. In jeder wirtschaftlichen Ordnung ist - sozusagen — ein philosophisch-ethisches „Betriebssystem“ enthalten: ein Kern ethischer oder unethischer Urteile, ohne den das „Programm“ (um in dem Computer-Bild zu bleiben) eines bestimmten Wirtschaftssystems nicht gedacht werden kann.

Konkret stellt sich die Frage nach der Ethik in der Wirtschaft in dreifacher Form:

• Das wirtschaftliche System und die Ethik:

Eine moderne Wirtschaftsethik muß prinzipiell mit der Analyse der Struktur des wirtschaftlichen Systems als solchem beginnen, innerhalb dessen der einzelne sich bewegt.

Im innerkirchlichen Raum zeigt sich die explosive Aktualität dieser allen Einzelproblemen vorausliegenden Frage besonders deutlich in der Auseinandersetzung mit einer ganz bestimmten, die Medien weithin beherrschenden Form der „Theologie der Befreiung“, die sich zumindest in einer breiten kirchlichen Öffentlichkeit ein hohes Ansehen erworben hat, und zwar durch den geschickt und in einer gewissen Weise glaubhaft vorgetragenen Anspruch, sie wolle den durch das politisch-wirtschaftliche System ausgebeuteten Menschen helfen. Dieser wirtschafts-ethische Imperativ ist angesichts des vielfältigen, himmelschreienden Unrechts von einer so elementaren Einsichtigkeit, daß viele Menschen nicht mehr bereit sind, kritisch nach der Gestalt der neuen, angeblich befreiten und befreienden Wirtschaftsordnung zu fragen und fragen zu lassen. Das Beispiel zeigt aber - und darin sind sich der Papst und die Vertreter aller Schattierungen von „Befreiungstheologie“ einig -, daß die Frage nach der Gerechtigkeit einer bestimmten Wirtschaftsordnung gestellt werden muß.

• Wirtschaftsethik und Option für nicht-wirtschaftliche Werte:

Eine moderne Wirtschaftsethik hat sich auch mit der rationalen Begründung jener Werturteile und Präferenzen zu befassen, die im konkreten wirtschaftlichen Handeln unvermeidbar sind. Diese Werturteile sind zwar nicht in jedem Fall unmittelbar sittlicher Natur, bringen aber doch auch ethische Fragen ins Spiel und reichen über die Verantwortung des einzelnen deutlich hinaus: Wollen wir gesunde Wälder oder weiter zunehmende Industrialisierung? Adler, die ab und zu ein Huhn rauben, oder eine Hühnerzucht ohne solche Verluste? Individuelle Gestaltung und Schönheit der Häuser oder Wohnsilos mit Platz für jedermann? Kostspielige Opernhäuser oder bequeme Autobahnen?

Wie handelt man gut?

Solche Fragen kann man beliebig vermehren. Die Antwort auf sie hängt mit dem Welt- und Menschenbild zusammen und ist weitgehend dem Gewissen der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen anheimgestellt. Dabei geht es in der Regel nicht um zwingende Einsichten, sondern mehr um „Optionen“, das heißt vernünftig begründete Entscheidungen, die innerhalb einer gewissen Grenze auch anders ausfallen könnten.

• Individuelle Wirtschafts-Ethik:

Diese auf das Individuum bezogene Wirtschaftsethik läßt sich im wesentlichen in zwei Imperativen zusammenfassen:

Gut handelt derjenige, der — erstens — wirtschaftsgemäß wirtschaftet: Der christliche Unternehmer ist einer, der sein Unternehmen zum Erfolg führen will, und zwar in erster Linie deswegen, weil er um die Bedeutung eines gesunden Betriebs für die Menschen weiß. Auf Grund der gleichen Motivation soll der Arbeitnehmer seinen Beitrag leisten. Man kann also mit Recht sagen: Sittlich gut wirtschaftet der, der gut wirtschaftet, und wer gut wirtschaftet, handelt auch sittlich gut.

Allerdings wäre das Gesagte unvollständig, wollte man nicht hinzufügen: In einer von der Sünde beherrschten Welt wird es immer wieder Situationen geben, in denen der einzelne vor der Wahl zwischen der Treue zu seinem Gewissen und unmoralischen Gewinnen steht.

Daraus folgt der zweite Imperativ: Richte dich auch in der Wirtschaft nach den normalen sittlichen Imperativen deines Gewissens. Daraus ergibt sich ein grundsätzliches Nein zum Betrug, zur Steuerhinterziehung, zur Mißachtung bestehender Gesetze, zur Bestechung, zu unlauterem Wettbewerb und anderen typischen Vergehen im wirtschaftlichen Bereich. Allerdings gehören manche dieser Imperative zu einem Gebiet der Ethik, das sich kasuistisch nur schwer fassen läßt — etwa um eine sündige „Steuerhinterziehung“ von einer legitimen Verteidigung des überforderten Bürgers abzugrenzen.

Was Johannes Paul II. über die menschliche Arbeit sagt, gilt auch für die Wirtschaft: sie hat einen ethischen Wert, „der unmittelbar und direkt mit der Tatsache verbunden ist, daß der, welcher sie ausführt, Person ist, ein mit Bewußtsein und Freiheit ausgestattetes Subjekt, das heißt ein Subjekt, das über sich entscheidet.“

Der Autor ist Professor für Moraltheologie und Kath. Soziallehre im Salesianum in Benediktbeuern/Bayern.

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