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Kein Dornröschen-Journalismus

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Die wirtschaftliche Rezession in der Bundesrepublik Deutschland, die die sozialliberale Bonner Regierung trotz aller von anstehenden Ländtägswahlen bestimmten Aufschwungs-Beschwörungen nicht so recht inden Griff bekommt, zeitigt auch schwere Auswirkungen auf das Finanzgefüge der beiden großen Kirchen. Doch die Geldsorgen, die ein bisher unbekanntes Ausmaß erreichen, stehen in einem fatalen Gegensatz zu der Beachtung dieses Desasters durch die breite Öffentlichkeit. Das mag nicht zuletzt an den Kirchen selbst liegen, denen Public Relations in der Vergangenheit ein suspekter Begriff war.

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Die wirtschaftliche Rezession in der Bundesrepublik Deutschland, die die sozialliberale Bonner Regierung trotz aller von anstehenden Ländtägswahlen bestimmten Aufschwungs-Beschwörungen nicht so recht inden Griff bekommt, zeitigt auch schwere Auswirkungen auf das Finanzgefüge der beiden großen Kirchen. Doch die Geldsorgen, die ein bisher unbekanntes Ausmaß erreichen, stehen in einem fatalen Gegensatz zu der Beachtung dieses Desasters durch die breite Öffentlichkeit. Das mag nicht zuletzt an den Kirchen selbst liegen, denen Public Relations in der Vergangenheit ein suspekter Begriff war.

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verglichen mit anderen Lebensbereichen mußte man allzu lange nachgerade von einem Verzicht auf zeitgemäße Selbstdarstellung der Kirchen sprechen. Die soziale Unerläßlichkeit kirchlicher Arbeit fand kaum Eingang in das Bewußtsein jener „breiten Schichten“, die heute, von ureigenen persönlichen Wirtschaftssorgen betroffen, nur mit großer Mühe wirkungsvoll anzusprechen sind.

Die zu geringe Bewertung publizistischer Erfordernisse, die verflossene Jahre kirchlicher Arbeit kennzeichnete und damit nicht eben zu ihrer Effizienz beitrug, hat heute noch zur Konsequenz, daß unter den vielen oberflächlichen Vorurteilen, die seit jeher gegen „die Kirche“ als Ganzes bestanden, die phantasievollsten Vorstellungen von kirchlichen „Reichtümern“ einen breiten Raum einnehmen. Daß Finanznöte der Kirchen auf direktem Weg zum Problem aller Staatsbürger, auch der NichtChristen, werden, dringt weit weniger in das Bewußtsein, als etwa das Verständnis für nötige Beitragserhöhungen der Krankenkassen.

Daß durch die Mindereinnahmen allein der katholischen Kirche in der Bundesrepublik, die sich nach Schätzungen für 1975 auf rund 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr belaufen, eine Reihe sozialer Zielsetzungen in Frage stehen, scheint sich nicht in die Logik zu fügen, weil das Wissen über kirchliche Sozialarbeit bei vielen noch immer hinter überkommenen Traumvorstellungen von kirchlichem „Prunk“ zurückbleibt.

Die finanziellen Schwierigkeiten der Kirchen, deren Abklingen ohne eine gesamtwirtschaftliche Tendenzwende in der Bundesrepublik nicht vorstellbar ist, resultieren häuptsächlich aus vier Komponenten: Zunächst aus der seit Jahresbeginn in Kraft befindlichen Einkommensteuerreform, die freilich nicht die Kirchen allein in Mitleidenschaft zieht. In enger Nachbarschaft dazu steht der Wegfall des jährlichen Steuerfreibetrages von 1200 DM pro Kind und ein statt dessen erhöhtes Kindergeld, das mit der Kinderzahl steigt. In der Bundesrepublik hat sich die Kirchensteuer, die bisher regional zwischen acht und zehn Prozent schwankte, mit Jahresbeginn auf acht bis neun Prozent der Einkommensteuer verringert. Durch die Abschaffung des Kinderfreibetrages müssen kinderreiche Familien zunächst mehr Lohn- und Einkommensteuer bezahlen, die im staatlichen Bereich durch das angestiegene Kindergeld mehr als ausgeglichen wird, aber zu einer höheren Kirchensteuer führen würde. Da es die Kirchen indes ablehnten, ihren Säckel mit Steuermehreinnahmen — auf Kosten kinderreicher Familien — zu füllen, entschloß man sich zu folgender Regelung: Von der jeweils fälligen Lohnsteuer wird das Kindergeld abgezogen, die Kirchensteuer errechnet sich sodann vom verbleibenden Restbetrag. Auf diese Weise vermindern sich die Einnahmen der Kirchen, vor allem wegen des beträchtlich angewachsenen Kindergeldes, außerordentlich. Primär der Abzug des nun erhöhten Kindergeldes von der seit 1975 vielfach niedrigeren Lohn-und Einkommensteuer, bereits vor Berechnung der Kirchensteuer, bewirkt, daß nach vorläufigen Schätzungen fast 40 Prozent der Katholiken in der Bundesrepublik keine Kirchensteuer mehr bezahlen. Faktisch bedeutet dies, daß beispielsweise ein Arbeitnehmer mit einem Kind und einem niedrigen Jahreseinkommen von 12.000 DM, der 1974

noch 152 DM Kirchensteuer bezahlte, jetzt nur noch 76 DM jährlich an die Kirche abführt. Bei

zwei Kindern zahlte er 1974 noch 120 DM, in diesem Jahr nur noch rund 1 (in Worten: eine!) Mark. Bei einem mittleren Jahreseinkommen, etwa 30.000 DM, bezahlte der Arbeitnehmer 1974 bei einem Kind 542 DM Kirchensteuer; in diesem Jahr sind es nur noch 421 DM. Hat der Arbeitnehmer vier Kinder, zahlt er nur noch 86 statt 404 Mark.

Die erwähnte Senkung des Kirchensteuerhebesatzes in mehreren Bundesländern, so in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz und im Saarland, sowie die Neuregelungen im Zusammenhang mit der Steuerreform, werden 1975 laut Hochrechnungen allein die katholische Kirche rund eine Milliarde DM kosten. Zum Vergleich: 1973 belief sich das Kirchensteueraufkommen in der Bundesrepublik auf rund 3,1 Milliarden Mark für die katholische, auf 6,7 Milliarden für beide Kirchen zusammen. Ohne die Reform wäre 1975 mit einem Steueraufkommen von mindestens 8,5 Milliarden zu rechnen. Der voraussichtliche Ausfall wird für beide Kirchen ein Viertel bis ein Drittel der ansonsten für 1975 zu erwartenden Einnahmen betragen.

Einen schwerwiegenden Faktor für diese finanzielle Schröpfung der beiden großen Kirchen in der Bundesrepublik bilden die konjunkturellen Einflüsse. Die Arbeitslosenzahl liegt bei rund 1,2 Millionen; der allein dadurch entstehende Ausfall an Kirchensteuereinnahmen läßt sich derzeit nicht exakt berechnen, ebensowenig die Aufteilung auf katholische oder evangelische Kirche. Eine genaue Bilanz wird erst in vielen Monaten vorliegen.

Doch die Ebbe in den Kassen der Kirchen findet vielfach nur bei denen Beachtung, die ohnehin, auch während der „fetten Jahre“, die gesellschaftspolitische Bedeutung der Glaubensgemeinschaften erkannten. Es ist gewiß nicht zu leugnen, daß dieser Kreis ernsthafter Beobachter wächst — und dies nicht bloß bei Kirchenmitgliedern. Indes befinden sich die anderen Meinungsgruppen noch weit in der Uberzahl. Nicht die auf ihre Weise redlich Andersdenkenden sind es, die für die kirchliche Arbeit eine Gefahr darstellen, sondern jene, die oft unter pseudointellektuellem Mäntelchen und mit

wichtigtuender Miene Scheinwissen, genauer: Desinformation offenbaren. Dies ist die Spezies liberal sein wollender Alleswisser mit Stammtischmentalität, die ihre Worte gewichtig erscheinen lassen und über die Finanzverhältnisse des Vatikans ach so hintergründig zu lächeln verstehen. Sie vermischen meist alle Fakten und plaudern pikant über Borgia-Päpste, Hexenverfolgungen, und, gleich in einem Aufwaschen, über kirchlichen Aktienbesitz von ungeahnten Ausmaßen. Im vergangenen Jahr, als in Köln der Zusammenbruch der privaten Herstatt-Bank zu schweren Verlusten für die

Kölner Erzdiözese führte, hatten sie neues, wenngleich wie immer trübes Wasser auf ihren Mühlen. Wieder einmal standen die „Reichtümer“ der römischen Kirche, bis hin zu den deutschen Diözesangeldern, zur Diskussion. Vor allem deshalb, weil noch immer zu wenig bekannt ist, daß es zwischen Rom und Institutionen wie Diözesen, Pfarreien oder Orden keinerlei wirtschaftliche Zusammenhänge gibt; ganz zu schweigen von der beharrlich ignorierten Binsenweisheit, daß kirchliches Vermögen größtenteils aus Baulichkeiten wie Krankenhäusern, Schulen und Seminaren besteht, die nicht nur keinen wirtschaftlichen Nutzen bringen, sondern, im Gegenteil, mit hohen Geldsummen erhalten werden müssen. Zu schweigen auch von der Blindheit gegenüber der Tatsache, daß Kirchengelder in der Bundesrepublik wie anderswo fast ausschließlich sozialen Zwecken dienen. Vielleicht rührt diese Ignoranz daher, daß manchen Ideologen das hierfür gebräuchliche Wort „karitativ“ suspekt ist.

Was die krsinnigerweise oft in diesen Zusammenhang gezwängten „nichtsozialen“ vatikanischen Kunstschätze (!) betrifft, die mit großen Aufwendungen fachlich betreut werden, so dienen diese wohl der Kultur dieser Welt — auch einer andersdenkenden —, aber nicht.gerade der kirchlichen Liquidität. Daß solche Selbstverständlichkeiten noch immer nicht eingängig genug sind, sich gegen spießigen Kleingeist zu' behaupten, beweist die Dringlichkeit einer am 20. Jahrhundert orientierten Aufklärungsarbeit über kirchliche Strukturen.

Publizistische Versäumnisse vergangener Jahre seitens der Kirchen hatten auch zur Folge, daß in einer immerhin im deutschen Bundestag vertretenen Partei die sogenannten „Kirchenthesen“ entstehen konnten, jene grotesk anmutenden Forderungen nach Trennung von' Kirche und Staat, die die Freien Demokraten auf ihrem letzten Bundesparteitag in Hamburg beschlossen. Das FDP-Kirchenpapier, vor allem von der Parteijugend, den Jungdemokraten, favorisiert, bildet einen Rückgriff auf den kirchenfeindlichen Liberalismus des 19. Jahrhunderts. Daß sich die Argumente für die Thesen durchsetzen konnten, obwohl sie selbst bei

vielen liberalen Spitzenpolitikern als überholt gelten, ist nur mit einem tiefen Informationsdefizit über kirchliches Wirken erklärbar.

Die Forderung der Autoren der FDP-Kirchenthesen, nicht über den Staat solle die Kirchensteuer eingehoben werden, spiegelt, wenngleich unausgesprochen, ein grundsätzliches, tiefes Mißtrauen gegen den sozialen Sinn dieser Abgabe wider. Doch nur ein von Unwissenheit geprägtes Feindbild kann dem Parteimehrheitsbeschluß solcher Forderungen Pate gestanden haben. Und es ist eben doch nicht so klar, wie man meinen möchte, daß die von linken Vorpreschern verlangte schrittweise Ablösung kirchlicher Sozialeinrichtungen — und damit das Durchschlagen entsprechender Belastungen auf die Finanzrahmen von Staat und Kommunen — zu wirtschaftlich katastrophalen Folgen für die gesamte Gesellschaft führen würde. Gewiß, es wurde hunderte Male öffentlich vorgerechnet. Und es ist leichter durchschaubar als etwa die diversen Modelle für Vermögensbildung und Mitbestimmung, die die breite gesellschaftspolitische Bonner Landschaft schon seit Jahren beherrschen. War der kirchliche Informationsfluß aber nicht doch zu schmalbrüstig?

Daß bei großen Bevölkerungsteilen ein so krasses Defizit in Wissen um Gegenwartsfragen herrscht, ist wohl nur zum kleineren Teil die Schuld derer, die ihm zum Opfer fallen. Es sollte vielmehr jene nachdenklich stimmen, die sich in der wohligen Sicherheit, die Wahrheit zu besitzen, einst zu wenig um gezieltere Aufklärung in eigener Sache bemühten.

Die Kirchen haben inzwischen aus dem ehemaligen Manko gelernt. Sie schwelgen, ein aktuelles Beispiel, nicht in billigem Triumph über demoskopische Auswertungen, wonach die vernichtenden Niederlagen der Freien Demokraten bei den jüngsten Landtagswahlen in Bayern und Hessen zu beachtlichem Teil auf die FDP-Kirchenthesen zurückzuführen sind. Wäre es in kirchenpublizistischer Steinzeit denkbar gewesen, ein solches Wahlfiasko der Kirchengegner gewissermaßen als „Volksstimme — Gottesstimme“ zu deklarieren und fürderhin auf sachgerechte Verdeutlichung eigener Standpunkte zu verzichten, weiß man heute, daß der Auftrag zur Verkündigung sich nicht in Rundfunkübertragungen von Gottesdiensten erschöpfen darf. Kirchliche Public Relations vegetieren nicht mehr in abgelegener Ecke, sind längst nicht mehr für den Herrgottswinkel zu profan, stehen nicht mehr in der Nähe verketzerter „Reklame“.

Die kirchliche Publizistik in der Bundesrepublik ist aktiv geworden. Das katholische Verlagswesen beispielsweise soll durch eine Mediendienstleistungsgesellschaft neu geordnet werden. Ein entsprechendes Konzept hat die deutsche Bischofskonferenz nach dreijährigen Beratungen ausgearbeitet. Die Mediengesellschaft soll sich an bereits be-

stehenden Unternehmen beteiligen. Die Übernahme der Mehrheit des Gesellschaftskapitals der Kölner Wochenzeitung „Rheinischer Merkur“ im vergangenen Jahr durch sieben deutsche Bistümer und das finanzielle Engagement der katholischen Kirche im vierzehntägig erscheinenden Augsburger „Weltbild“ stellten nur einleitende Maßnahmen für dieses Gesamtkonzept dar. Die umfassende Neuordnung soll sowohl die Kirchenpresse, also die juristisch im Besitz der Bistümer befindlichen Wochenzeitungen ebenso betreffen, wie die sogenannte „freie Presse“, die derzeit von der Würzburger „Deutschen Tagespost“ als einziger überregionaler Tageszeitung repräsentiert wird. Eine Zeitungsneugründung dürfte in absehbarer Zeit nicht ins Haus stehen. Doch wollen Insider vom Fernziel eines familien- und arbeitnehmerbezogenen Wochenblattes für gehobene Ansprüche wissen. Zunächst allerdings erscheint das Waterloo der vor wenigen Jahren zugrunde gegangenen katholischen Wochenzeitung „Publik“ zu sehr abzuschrecken. Die Emotionen und Meinungsdifferenzen über das Eingehen dieses renommierten Blattes sind noch immer nicht abgeklungen. Der Vorsitzende der Publizistischen Kommission der deutschen Bischofskonferenz, der Rottenburger Weihbischof Georg Moser, hat dazu wohlweislich vor einem Unterschätzen des publizistischen Schrumpfungsprozesses auf dem Zeitschriftenmarkt gewarnt, dem zwangsläufig auch die katholische Publizistik ausgesetzt ist. Nicht eben begünstigend wirkt sich außerdem die wenig pressefreundliche Politik der Bonner Regierung aus.

Die Zukunft des katholischen Verlagswesens soll durch verstärkte Kooperation wirtschaftlich gesichert werden. Als Träger will die Kirche langfristig nicht selbst auftreten, sondern privatwirtschaftlich arbeitenden Interessenten Angebote unterbreiten. Eine Ausnahme bilden lediglich die Kirchenzeitungen. Die Mediengesellschaft ist dem Konzept zufolge berechtigt, die Vergabe von Mitteln an Weisungen in den Bereichen Kooperation, Werbung, Anzeigen und Vertrieb bis hin zu redaktionellen Grundkonzeptionen zu knüpfen. Damit soll sich eine wenngleich pluralistische Präsenz katholischen Denkens fester etablieren. Längerfristig soll die Mediengesellschaft auch Buchverlagen offenstehen.

Der Damm ist gebrochen. Ein Dornröschen-Journalismus, der zu sehr in einer heilen Idylle sich gegenseitig altdeutsch beweihräuchernder und Jubiläen feiernder Pfarr-Honoratioren dahinwelkte und der gelegentlich ein mildes Lächeln über die „Kirchenblättchen“ hervorrief, ist endgültig zu den Akten gelegt. Er ist von einem offensiven, professionell arbeitenden Publizistik-Denken abgelöst worden, der die moderne, kirchliche Wirklichkeit darstellt. Es war für die Kirchen hoch an der Zeit.

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