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Kein Drängen in den Weinberg des Herrn

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Noch wirken in Österreich nahezu 5.000 Priester. Hält der gegenwärtige Trend - etwa 50 Weihen pro Jahr - an, ist absehbar, daß es bald nur mehr 2.500 sein werden.

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Noch wirken in Österreich nahezu 5.000 Priester. Hält der gegenwärtige Trend - etwa 50 Weihen pro Jahr - an, ist absehbar, daß es bald nur mehr 2.500 sein werden.

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Im Grunde ist es eine einfache Rechnung. Werden alljährlich in Österreich nur um die 50 Priester geweiht, dann ergibt das - setzt man die Lebensarbeitszeit eines Priesters mit 50 Jahren an (was bereits sehr hoch gegriffen ist) eine Zahl von 2.500 aktiven Priestern, das wäre die Hälfte des derzeitigen Standes. Daß damit eine Kirchenstruktur von 3.075 Pfarren und weiteren 1.239 Kirchen und Seelsorgestellen (Stand von 1990/91) - von allen anderen priesterlichen Aufgaben abgesehen - nur aufrechtzuerhalten ist, wenn auch Nicht-Priestern größere Aufgaben übertragen werden, liegt auf der Hand. Schon 1991 hatten von den 3.075 Pfarren 660 (exakt 21,5 Prozent) keinen ständigen Priester am Ort, sondern wurden von einem an einem anderen Ort ansässigen Geistlichen mitbetreut.

Daß sich dieses Problem rasch weiter verschärfen wird, geht aus der Alterspyramide der Priester hervor. In der Erzdiözese Wien waren 1991 schon 49,1 Prozent der Priester über 60 Jahre alt, 38,5 Prozent gehörten der Altersgruppe zwischen 40 und 60 Jahren an, nur 12,4 Prozent waren jünger als 40 Jahre. Die Situation in den anderen Diözesen ist ähnlich. Die eingangs erwähnten 50 Jahre Lebensarbeitszeit eines Priesters sind natürlich nur ein rechnerisches Hilfsmittel und auch deshalb anfechtbar, weil das Alter der zur Weihe kommenden Männer in den letzten Jahren gestiegen ist.

Kamen Priester früher häufig direkt aus einem „kleinen Seminar" (aus einem kirchlichen Internat, in dem man während der Gymnasialzeit lebt) über das Priesterseminar zur Weihe, so sind es jetzt immer öfter junge Männer, die nie in einem kleinen Seminar waren und vor dem Eintritt ins Priesterseminar schon eine Berufsausbildung oder ein Studium abgeschlossen haben. Das sinkende Interesse am kleinen Seminar verdeutlicht am besten, daß mit Ende des heurigen Schuljahres ein solches Institut der Erzdiözese Wien in Hollabrunn geschlossen wird. Rektor Franz Grabenwöger übersiedelt nach Krumbach und löst dort den derzeitigen Pastoralamtsleiter der Erzdiözese, Alois Schwarz, als Pfarrer ab.

Was dem Gerücht Nahrung gibt, Schwarz sei für eine höhere Aufgabe - Bischofsvikar oder Regens im Wiener Priesterseminar - vorgesehen. Es gilt als wahrscheinlich, daß es in der Leitung des Wiener Priesterseminars, das Weihbischof Christoph Schönborn visitiert hat, bald personelle Änderungen geben wird.

Fest steht, daß 1992 mit 44 Neupriestern einen Negativ-Rekord darstellt, und das sowohl bei Weltpriestern (26) als auch Ordenspriestern (18). Fest steht auch, daß es zumindest den Anschein hat, das Konzil (1962 bis 1965) habe einen schädlichen Einfluß auf die Zahl der Weihen gehabt, denn nach dem Konzil - konkret von 1968 (137 Weihen) auf 1969 (95 Weihen) - gab es einen deutlichen Knick. Wenn man schon solche Ereignisse als Ursache ansehen will, könnte man natürlich auch die Enzyklika „Humanae vitae" (1968) ins Spiel bringen, aber die Gründe liegen sicher noch tiefer.

Haben die heutigen Richtungskämpfe in der Kirche einen Einfluß? „Ich bin sicher, daß das eine Rolle spielt", erklärt Kurt Schmidl, Generalsekretär des mit der Förderung geistlicher Berufe befaßten Canisius-werkes, das mit einer im Vorjahr gestarteten Kampagne Sympathien für den Priesterberuf wecken will. Wenn das Kirchenbild eines Priesteranwärters nicht mit dem der zuständigen Seminarleitung übereinstimmt, kann es passieren, daß Seminaristen weggehen oder weggeschickt werden, wobei manche über einen Orden, über eine andere Diözese oder über ein nichtdiözesanes Studienhaus weiter das Berufsziel Priester verfolgen, manche in eine Abwarteposition gehen und manche dieses Ziel ganz aufgeben. Die Zahl dieser Leute ist sicher nicht von solchem Gewicht, daß damit der komplette Rückgang in den Diözesanseminaren kompensiert werden könnte, aber vielleicht treten manche dem Gedanken, Priester zu werden, angesichts der Polarisierung in der Kirche gar nicht nahe. Und welche Rolle der Zölibat spielt, ist überhaupt schwer zu belegen.

Die Seminaristenzahl sinkt jedenfalls fast überall. An Österreichs diö-zesanen Seminaren betrug sie 1970 noch 459, sank dann bis 1978 auf 348, stieg dann 1983 mit 434 noch auf einen beachtlichen Wert, hat aber im heurigen Studienjahr mit 339 einen absoluten Tiefpunkt erreicht. Auch am Spätberufenen-Seminar in Horn, wo es früher um die 100 Studenten gab, ging es bis heuer - 51 Seminaristen - kontinuierlich bergab.

Die Frage liegt nahe, wie es unter diesen Umständen im dritten Jahrtausend mit Österreichs Kirche ohne Wandel im Priesterbild oder Aufwertung der Laien weitergehen soll.

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