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Kein Drang zur „Welteinheitskirche"

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Bestimmte Äußerungen des katholischen Lehramtes haben nach Meinung von Konrad Raiser vom Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf das Verhältnis seiner Organisation zur katholischen Kirche schwieriger gestaltet.

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Bestimmte Äußerungen des katholischen Lehramtes haben nach Meinung von Konrad Raiser vom Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf das Verhältnis seiner Organisation zur katholischen Kirche schwieriger gestaltet.

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FURCHE: Professor Raiser, wo liegt für Sie heute das Ziel der ökumenischen Bewegung?

PROFESSOR KONRAD RAISER: Dieses Ziel hat sich grundsätzlich nicht verändert und muß daher auch nicht völlig neu bestimmt werden. Im Jahr 1975 hat sich der Ökumenische Rat in seiner Verfassung für eine Reihe von Zielen ausgesprochen, wie die Einheit der Kirche, die Verpflichtung zur Mission. Er verpflichtet sich, für Gerechtigkeit, für die Überwindung von Mauern unter den Menschen einzutreten und sich für die Erneuerung der Kirche in Gemeinschaft, Gottesdienst und Zeugnis einzusetzen. Diese Grundziele der ökumenischen Bewegung bleiben bestehen. Da sie aber sehr umfassende Zielsetzungen sind, müssen sie an die jeweilige, sich verändernde Situation neu angepaßt werden.

Die letzte Vollversammlung der Ökumenischen Rates hat hier eine ganze Reihe von Empfehlungen abgegeben. Ein durchlaufender roter Faden ist dabei die Erneuerung der Kirche durch die Kraft des Heiligen Geistes. Das halte ich für eine entscheidende Aufgabe. Wie Paulus es im Römerbrief bereits sagt: Verändert Euch durch die Erneuerung Eures Sinnes. Ohne die Bereitschaft der Erneuerung wird die sichtbare Einheit der Kirche nicht zu verwirklichen sein.

FURPHE: Wie sieht diese sichtbare Einheit aus?

RAISER: Sie ist sicher nicht eine Welteinheitskirche mit einer einheitlichen Struktur oder Institution nach dem Modell der katholischen Weltkirche. Dieses historische Modell, das den Katholizismus stark geprägt hat, wird vom Ökumenischen Rat nicht angestrebt. Für mich gehört auf dem Hintergrund der ökumenischen Diskussion zu jeder Form von Einheit die Bereitschaft, die bleibenden Unterschiede anzuerkennen. Dabei denke ich nicht nur an Unterschiede zwischen den einzelnen Kirchen, sondern auch an das sich jeweils anders gestaltende Glaubensleben der einzelnen Christen. Zumeist haben wir ja in den Gemeinden keine Schwierigkeiten, anzuerkennen, daß wir uns alle in unserem Glauben und in unseren Bekenntnissen unterscheiden. Und gerade in der Bereitschaft, die Unterschiede nicht als Bedrohung, sondern als wechselseitige Bereicherung anzuerkennen, liegt für mich ein ganz wichtiges Element für die Einheit der Kirchen.

FURCHE: Wie gestaltet sich das Verhältnis zur katholischen Kirche zur Zeit?

RAISER: Die Beziehungen haben sich über die letzten Jahrzehnte entwickelt und laufen in dieser Richtung sehr konstruktiv weiter, so im Bereich der theologischen Arbeit, der „Kommission für Glauben und Kirchenverfassung". Es besteht kein Zweifel, daß bestimmte Verlautbarungen des katholischen Lehramtes der letzten Monate und Jahre die Dinge verändert haben. Ich denke an den Brief von Kardinal Ratzinger zum katholischen Kommunionsverständnis. Dieser Brief nennt ja auch eine Reihe von ökumenischen Konsequenzen sehr deutlich.

Wenn dies in der Tat die verbindliche Position der katholischen Kirche ist, dann schafft dies Schwierigkeiten für die Verständigung mit dem Ökumenischen Rat und den in ihm zusammengeschlossenen Kirchen. Es besteht offenbar ein Unterschied zwischen Kommunion, wie sie in der Erklärung des ÖKR in Canberra formuliert worden ist, und dem Brief der Glaubenskongregation. Das sind Differenzen, Schwierigkeiten, über die wir offen miteinander reden müssen.

FURCHE: Wird die katholische Kirche in nächster Zukunft Mitglied beim Weltkirchenrat werden?

RAISER: Das erwarte ich nicht. Wenn es zu einer strukturellen Beteiligung über das bisherige Maß hinaus kommt, dann bedeutet dies, daß es den Ökumenischen Rat in seiner bisherigen Gestalt grundlegend verändern würde. Dafür ist, denke ich, weder die Mehrzahl der Mitgliedskirchen bereit noch die katholische Kirche.

FURCHE: Wenn der Weltkirchenrat öffentlich zu einem Problem Stellung nimmt, in wessen Namen tut er es dann -für die gesamte Organisation oder werden nur einzelne persönliche Meinungen ausgedrückt?

RAISER: Das ist in der Satzung des Ökumenischen Rates ziemlich genau definiert. Er kann nicht im Namen seiner Mitgliedskirchen sprechen, es sei denn, ir würde dazu eigens von allen Mitgliedskirchen oder zumindest von einigen autorisiert. Was immer der Ökumenische Rat öffentlich erklärt, in politischen, gesellschaftlichen und theologischen oder kirchlichen Fragen, spricht er mit dem Gewicht, das diese Organisation hat. Dabei vertraut er auch darauf, daß diese Erklärungen durch ihre eigene Überzeugungskraft wirken werden. Aber er überläßt es jeder seiner Mitgliedskirchen, sich Erklärungen zu eigen zu machen oder nicht.

FURCHE: Gerade die politischen Stellungnahmen des Weltkirchenrates stoßen bisweilen auf harte Kritik. So wiift der rumänische BischofLäsz-16 Tökes dem Weltkirchenrat moralische Doppelbödigkeit vor. Die Verlautbarungen aus Genf hätten zwar lautstark die Verletzungen von Menschenrechten in Südafrika angeprangert, dem kommunistischen System gegenüber habe man jedoch viel leisere Töne angeschlagen...

RAISER: Zunächst bin ich vorsichtig mit moralischen Urteilen, besonders mit Verurteilungen. Ich kann zwar die Motive verstehen, die Bischof Tökes zu solchen Äußerungen veranlassen, aberes gibt Gründe dafür, warum der Ökumenische Rat sich gegenüber der Menschenrechtssituation in Osteuropa so verhalten hat. Vieles, was er tat, konnte nicht öffentlich geschehen. Das hing vor allem mit dem totalitären Charakter des kommunistischen Herrschaftssystems zusammen, durch das jede öffentliche Meinungsäußerung augenblicklich unterdrückt wurde. Solche Bedingungen gab es in Südafrika nie, auch nicht zu Zeiten der schärfsten Apartheid. Daher haben wir auch die Möglichkeit wahrgenommen, durch die Mobilisierung der öffentlichen Meinung politischen Einfluß zu nehmen, um Druck auf das Regime auszuüben.

In der Sowjetunion war man gezwungen, andere Wege zu suchen, wollte man den Menschen beistehen.

Ich selbst erinnere mich von meiner Zeit in Genf, als ich am Weltkirchenrat in den siebziger und achtziger Jahren tätig war, an eine ganze Reihe von Initiativen, an denen sich der Ökumenische Rat mit Erfolg beteiligte.

FURCHE. Sonst aber galt doch für den Weltkirchenrat immer das Motto: Wer schweigt, macht sich schuldig. Wäre es nicht an der Zeit, ein Schuldbekenntnis darüber abzulegen, daß man zu Afghanistan und zu Menschenrechtsverletzungen, wie Tökes es sagte, in Rumänien geschwiegen hat?

RAISER: Schuldbekenntnis ist ein großes Wort... Ich fände es in dem von Ihnen angesprochenen Fall richtiger, zunächst einmal genau die Punkte zu bestimmen, an denen Fehlurteile vorgelegen haben. Man müßte klären, ob ihnen Analysen mit falschen Informationen zugrunde lagen, die zu Schlüssen führten, die sich im Rückblick als falsch erwiesen. Wenn das zutrifft, sollte man sich nicht scheuen, es einzugestehen.

Ich halte es für unangebracht, defensiv oder apologetisch zu argumentieren. Man sollte gemeinsam mit den betroffenen Kirchen, wie zum Beispiel in Rumänien, sorgfältig aufarbeiten, was vorgefallen ist. Da wird sicher vieles zur Sprache kommen, worüber beide Seiten bisher geschwiegen haben. Man wird gemeinsam öffentlich sagen, welche Konsequenzen aus diesen Einsichten zu ziehen sind. Diese Gespräche haben bereits begonnen, aber sie sind noch bei weitem nicht abgeschlossen. Deshalb scheint mir der Augenblick auch noch nicht gekommen, in dramatischer Weise etwas einzugestehen.

FURCHE: Kann es nach Ihrer Ansicht für Christen Umstände geben , die eine Gewaltanwendung rechtfertigen?

RAISER: Ich bin kein prinzipieller Pazifist, bin es nie gewesen, und sehe darin auch nicht den Auftrag der Kirche. Aber ich bin ein politischer Pazifist in dem Sinne, daß ich nicht glaube, durch den Einsatz von Gewalt ließe sich irgendein Problem lösen. Bestenfalls gewinnt man Zeit, umnach einer echten Beilegung des Konfliktes zu suchen. Man muß sich also fragen, wie man Konflikte noch rechtzeitig auffangen kann, ehe es zu spät ist und nur mehr die Defensive übrig bleibt. Ich bin der Meinung, daß durch Anwendung von Gegengewalt - auch wenn sie der Aufrechterhaltung von Frieden und Ordnung dient - niemals die Spannungen beseitigt werden, die zum Ausbruch von Gewalt geführt haben. Das sehen wir zur Zeit ja auch in Jugoslawien.

Es kann meiner Meinung nach sowohl für das christliche Gewissen des einzelnen als auch für die Kirchen nicht darum gehen, Anwendungen von Gewalt zu rechtfertigen. Die Frage müßte vielmehr lauten: Was können wir tun, in einer Situation offener Gewaltanwendung die Ursachen des Gewaltausbruchs rechtzeitig zu erkennen?

FURCHE: Ein umstrittenes Thema im Weltkirchenrat ist die Marktwirtschaft, die immer wieder für die Ungerechtigkeit in der Welt verantwortlich gemacht wird...

RAISER: Im Wirtschaftspapier, das dem Zentralausschuß vorgelegt wurde, findet sich sehr wenig pauschale Kritik an der Marktwirtschaft. Im Gegenteil: Man spricht sich für die Soziale Marktwirtschaft aus. Wir fragen uns aber: Inwieweit ist die Wirtschaftsordnung, die wir heute in der Bundesrepublik haben, überhaupt noch die Soziale Marktwirtschaft, wie sie seinerzeit von den Vätern des Gedankens - Müller-Armack, Eucken und anderen - entwickelt worden ist.

Ich denke, unsere wirtschaftliche Ordnung hat sich relativ weit von dieser Grundkonzeption entfernt. Hätten wir nämlich wirklich eine Soziale Marktwirtschaft, dann wäre auch die Entwicklung in der ehemaligen DDR anders verlaufen, besonders in den Konsequenzen für viele Menschen. Es geht nicht um pauschale Systemkritik, sondern vielmehr um die konkreten Auswirkungen für die Menschen. Die Priorität der Lebenssituation der Menschen und der elementaren Lebensgerechtigkeit ist eines der leitenden Kriterien für den Ökumenischen Rat, nicht aber der überholte Systemkonflikt zwischen Marktwirtschaft und Planwirtschaft.

Das Gespräch führte Felizitas von Schönborn.

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