7213436-1992_40_08.jpg
Digital In Arbeit

Kein Feuer ohne Rauch

Werbung
Werbung
Werbung

Zweimal täglich warnt mich der Gesundheitsminister, daß Rauchen meine Gesundheit gefährden kann, pro Memphisschachtel einmal. Welche Gesundheit, frage ich schwitzend, hustend und nach Luft ringend, sauge die 12 mg Rauchinhaltsstoffe und die 0,7 mg Nikotin gierig in mich ein und denke, warum der Dekadenzminister, der Pessimismusminister, der Defaitismusminister und der Fin-de-siec-le-Minister nicht auch einen Aphorismus auf der Zigarettenpackung zum Besten geben dürfen.

Mit dem Gesundheitsminister zu diskutieren, hat aber keinen Sinn, ich unterhalte mich mit ihm erst gar nicht so von Mensch zu Schachtel, darüber hinaus ist der Gesundheitsminister für meinen körperlichen Zustand - wie gesagt - am allerwenigsten zuständig. Sympathisch wird mir der österreichische Gesundheitsminister eigentlich nur dann, wenn ich nicht umhinkomme, etwa eine Lesereise nach Deutschland anzutreten. Die Deutschen schätzen die Heiterkeit auf dem Grunde der Schwermut, diese österreichische Spezialität, weil sie sie nicht verstehen, weil sie keine Ahnung von unserer enormen Katastrophilie haben und weil sie sich eine Existenz in dieser ungeheuerlichen Ambivalenz nicht vorstellen können. Die Deutschen leiden nach wie vor unter ihrer deprimierenden Philosophiegeschichte, die Deutschen sind nach wie vor niedergeschlagen von der moralischen Keule des deutschen Idealismus, die deutsche Tragödie ist die Trennung von Tragödie und Komödie, Deutschland lächelt nur auf Bestellung und gegen Voranmeldung, Deutschland hat die Selbstironie einer Betonmischmaschine. Ein Deutscher wäre zum Beispiel viel zu gewissenhaft für solche Pauschalurteile.

Das alles lese ich also den Deutschen in Deutschland auf gut Deutsch vor, und weil die Deutschen keinen Humor haben, sondern Leistungslacher sind, leistungslachen sie herzlich und klatschen in die Hände, wenn ich mit der Lesung fertig bin. Nach der Lesung muß ich rauchen. Wie ich nach dem Essen rauchen muß. Natürlich muß ich auch vor dem Essen rauchen. Und vor der Lesung..Vor dem Einschlafen. Nach dem Aufwachen. Vor dem Schreiben. Nach dem Schreiben. Während des Schreibens. Statt zu schreiben. Am Klo. Vor der Liebe. Nach der Liebe. Während der Liebe. Statt der Liebe. Beim Denken. Beim Trinken. Beim Lesen. Beim Autofahren. Bei Spaziergängen. Wenn viel zu tun ist. Wenn nichts zu tun ist. Auch sonst dann und wann.

Unkonjunktivisches Land

Sofort springt eine durch und durch deutsche Journalistin ans Pult, gibt mir Feuer, und während sie mich pflichtbewußt fragt, wie lange ich schon schreibe und warum ich schreibe und warum ich schreibe, wie ich schreibe und ab meine Texte autobiographisch sind und ich ihr pflichtvergessen antworte, daß ich, keine Ahnung habe und daß das alles nicht so wichtig ist jongliere ich mit der Zigarettenschachtel und bemerke während meiner Antwort plötzlich, daß mich der deutsche Gesundheitsminister, dieser Mistkerl auf der Breitseite, nicht warnt, daß Rauchen meine Gesundheit gefährden kann, sondern daß Rauchen meine Gesundheit gefährdet! Da habe ich aber sofort meine Koffer gepackt, die Lesereise abgebrochen, Deutschland Deutschland sein und kulturell verhungern lassen und bin nach Hause gefahren. Nur fort aus diesem unkonjunktivischen, ungastlichen, bedrohlichen Land. Nur fort von diesem Justamentlaokoon, nur fort von diesem Gesundheitseinpeit-schungsmonster aus dem Ministerium. Da hört sich die Spaßlosigkeit auf!

Die Argumente gegen das Rauchen sind vielfältiger Natur: Einer der dramatischsten Einwände ist, daß man stirbt. Mit der grundsätzlich gleichen Problematik ist übrigens der Gesundheitsminister konfrontiert. Früheroder später. Oft bewirkt der langsame Selbstmord freilich auch, daß man den schnellen Selbstmord nicht so bitter nötig hat, insofern bedeutet der dosierte Suicid also sogar Lebensverlängerung. Neben dem bewußten Ruinierungsgenuß passieren auch Unfälle: Einige meinen, Ingeborg Bachmann könnte heute noch leben und dichten, hätte sie nicht geraucht. Ein anderer Vorteil des Tabaks besteht darin, daß die- Hals-Nasen-Ohrenärzte wenigstens eine Ausrede für ihre Inkompetenz und Hilflosigkeit haben.

Aufhören? Mark Twain soll einmal gesagt haben, mit dem Rauchen aufzuhören sei überhaupt kein Problem und überhaupt keine Kunst. Er hätte es bereits zwanzigmal gemacht. Sehr gerne zu rauchen aufhören würden mein Kehlkopf, meine Nasenscheidewand, meine Nebenkieferhöhlen, die Geschmacksnerven und die Lunge, meine Seele aber, diese arrogante Gewaltherrscherin, duldet keine Diskussion, tyrannisiert und knechtet das Fußvolk und pafft skrupellos weiter. Immer wieder wird mir vorgerechnet, wieviel Geld ich mir ersparte, hörte ich bloß zu rauchen auf. Binnen einem Jahr hätte ich soviel zusammen, daß ich mir einen vierzehntägigen Urlaub in Hawai leisten könnte. Aber was um alles in der Welt soll ich in Hawai?? Als Nichtraucher??

Durch Bestzeiten zeitlos?

Neuerdings hängt in unseren Gymnasien der idolgierigen Mittelschul-jugend zum Vorbild das Plakat eines Weltmeisters undOlympiasiegers, der sich als überzeugter Nichtraucher anpreisen läßt, so als ob das Nichtrauchen nicht bloß automatisch zu weltbewegenden Triumphen führte, sondern an sich bereits ein solcher weltbewegender Triumph wäre. Edel sei , der Mensch, hilfreich und Franz Klammer. Als überzeugter Nichtweltmei-ster und Nichtolympiasieger und außerdem Nichtnichtraucher zweifle ich freilich sehr, ob einer, der nur durch Zwischenbestzeiten und Bestzeiten sozusagen zeitlos geworden ist und die großen Fragen der Menschheit, woher wir kommen und wohin wir gehen, immer nur mit „von oben" und „nach unten" beantwortet hat, der richtige Mann ist, um unsere Jugend zur Vollendung und zur Matura hinzutreiben.

Über allen Gipfeln ist Ruh, könnten unsere Gymnasiasten eines Tages vor den Fernsehapparaten lauernd denken, in allen Wipfeln spürest du kaum einen Hauch. Die Vögelein schweigen im Walde, warte nur, balde stürzet sich unser Nationalnichtraucher über den Zielhang der Streif. Und ich lasse mich auch ungern in Gesundheitsfragen von einem Alpenrowdy beraten, der HEAD nachweislich nicht über dem Hals, sondern unter den Füßen hat und in einen hautengen Plastikpyjama gehüllt auf zwei Hölzchen mit über hundert Stundenkilometern völlig unnötig und unsinnig einen Berg hinunterdonnert und sich dabei bestimmt schon alles Prellbare geprellt und alles Zerrbare gezerrt und alles Reißbare gerissen und alles Brechbare gebrochen hat. Und dann von Kopf bis Fuß eingegipst mahnend seine Krücke hebt und zittrigen Kiefers von der Schädlichkeit des Nikotins faselt.

Haben unsere Professoren nicht genügend Dichter und Denker, Forscher und Philosophen, Geistesmenschen und Hirnhelden zur Erziehung und Bildung unserer Gymnasialjugend zur Verfügung? Offenbar nein. Nicht, daß eine Zigarette an und für sich bereits einen Intelligenzbeweis darstellte, ein rauchender Kopf kann tatsächlich auch bloß aus dem Mund rauchen, aber würde man im Literaturunterricht nur die Werke der Nichtraucher behandeln, hätten unsere Schüler kaum noch etwas zu lesen und zu lernen. Und man würde die Maturanten bald nicht mehr nach Tschechov, Hofmannsthal und Heine fragen können, sondern welcher Heini in Garmisch Partenkirchen gewonnen hat oder wer sich wann und wo und für welche Nation eine Schleimbeutelentzündung zugezogen hat.

„Ich lebe, um zu rauchen"

Am radikalsten von allen hat Robert Musil, den ich gerne an Klammers Stelle am Plakat gesehen hätte, Stellung bezogen. In seinen „Skizzen zu einer Autobiographie" findet sich der Satz: „Ich behandle das Leben als etwas Unangenehmes, über das man durch Rauchen hinwegkommen kann! (Ich lebe, um zu rauchen.)" Schwerlich kann ich mir denken, daß diese Notiz in einem Gymnasium jemals seriös interpretiert worden ist. Und wenn, dann muß der Unterrichtsminister die unmündigen Konsumenten am Lesebuchumschlag warnen: „Musil kann Ihre Gesundheit gefährden". Robert Musil selbst werde diese Perfidie freilich mit Sicherheit überleben, Robert Musil hat ja bereits am 15. April 1942 zu rauchen aufgehört.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung