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Kein Glück mit „Chicago-Boys'
Wirtschaftsideologisch ist Südamerika in zwei Lager gespalten. Doch weder „Monetarismus" noch „Cepalismo" können die Strukturkrisen der Gegenwart bewältigen.
Wirtschaftsideologisch ist Südamerika in zwei Lager gespalten. Doch weder „Monetarismus" noch „Cepalismo" können die Strukturkrisen der Gegenwart bewältigen.
Von allen „Chicago-Boys", die bisher wirtschaftspolitisch ins Gewicht fielen, sei AI Capone derjenige gewesen, der am wenigsten Menschen umgebracht habe. Mit diesem bitterbösen-Satz ätzen südamerikanische Nationalisten gegen die „Monetaristen", die im wesentlichen von der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität von Chicago kommen, und die seit Mitte der siebziger Jahre mehr und mehr Einfluß bei den lateinamerikanischen Militärregierungen haben.
Die Nationalisten ätzen nicht zu Unrecht. Das Wirtschaftsmodell, welches die Staatsgrenzen dem Kapital und den Waren zugunsten des internationalen Wettbewerbs öffnet und den staatlichen Einfluß auf die Wirtschaft so weit wie möglich reduziert, beginnt nach teilweisen Erfolgen im Schlüsselland Chile zu schlittern.
Noch vor einem halben Jahr mußte man den chilenischen Militärs um General Pinochet volkswirtschaftliches Geschick bestätigen: die Verknappung des Geldumlaufes — Herzstück des Mone-tarismus — brachte die notorischen Inflationsraten herunter (1981 liegt sie bei für Lateinamerika sensationell niedrigen zehn Prozent!); die Beschränkung der Industrialisierung auf international rentable Zweige förderte die wettbewerbsfähigen Landwirtschaftsprodukte und Rohstoffe. Heute aber tauchen Zweifel auf.
Der überbewertete Peso, an dem stur festgehalten worden ist.
bremste die lebenswichtigen Ausfuhren 1981 auf zehn Prozent unter das Vorjahrsniveau. Die Auslandverschuldung ist am Limit.
So steht heute grell im Rampenlicht, was während der vergangenen Jahre nur schamhaft erwähnt worden ist: der Erfolg der chilenischen Wirtschaft hat nahezu ein Viertel der Bevölkerung in die Armut gestoßen, „marginalisiert", wie die Wissenschaftler sagen,...
Chile war das südamerikanische Paradepferd der Monetaristen, aber auch andere Länder übernahmen Chicago-Ideen:
Argentinien betrieb monetari-stische Finanzpolitik und erstickt trotzdem heuer an einer dreistelligen Inflationsrate; Kolumbien öffnete vorsichtig seinen Markt dem Ausland, kann aber den erhofften Boom nicht verzeichnen;
Peru und Costa Rica reihten sich halbherzig in die Monetaristen-Front ein, spektakuläre Erfolge blieben bisher aus; 1980 stieg Jamaika kompromißlos auf Monetarismus um — es ist zu früh, um von Resultaten zu sprechen.
Somit ist heute der mächtige Subkontinent in zwei Blöcke aufgebrochen. Die Grenzen zwischen ihnen verlaufen nicht geographisch, sondern wirtschaftsideologisch. Sie scheiden den Monetarismus und den „Cepalismo" (benannt nach der spanischen Abkürzung für die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika).
In der 1948 gegründeten Cepal entwickelte eine junge Generation von lateinamerikanischen Nationalökonomen gegen die klassische Nationalökonomie eine neue Wirtschaftsdoktrin für Südamerika. Der Staat sollte:
• hinter Zollmauern verschanzt, die Eigenindustrialisierung vorantreiben;
• die Volkswirtschaft planen, überwachen und bevormunden;
• die Devisen kontrollieren. Die Erfolge dieses Entwicklungsmodelles waren in den fünfziger Jahren bemerkenswert, die Wachstumsraten in allen lateinamerikanischen Ländern befriedigend. Aber in den meisten Staaten war der Markt zu klein für billige Massenproduktion (und deshalb die Preise für die Konsumenten hoch). Also erweiterte man den Cepalismo in den sechziger Jahren um das Element der Exportförderung.
Neue Wirtschaftseinheiten entstanden, indem man vorhandene Integrationspläne besser ausführte. Als Höhepunkt kam es Anfang der siebziger Jahre zum Andenpakt mit seiner straffen Gesetzgebung für Auslandkapital (heute ist er ein Scherbenhaufen, durch den die Cepalismo/Mone-tarismus-Grenzen gehen).
Auf die Dauer klappte der Cepalismo aber nur dort, wo sich große Binnenmärkte mit kapitalkräftigen Konsumenten verbanden (in Mexiko und Brasilien).
Und die völlige Zerrüttelung Argentiniens und die beginnende Krise in Chile (beides Militär-Regime, die mit oppositionellen Stimmen wie die der Gewerkschaften leichter fertig werden als andere und deshalb Monetarismus entschiedener betreiben können) zeigen, daß die neue Doktrin die Sackgasse auch nicht öffnen kann.
Somit ergibt sich die paradoxe Situation, daß die beiden maßgebenden Wirtschaftsideologien Südamerikas an ihre Grenzen gestoßen sind. Was Lateinamerika braucht, ist eine neue (nobelpreiswürdige) National-Ökono-mieschule, die sich mit Phantasie an den Notwendigkeiten (etwa für die „marginalisierten" Volksmassen, die immer größer werden) und der Wirklichkeit (etwa dem sinkenden öleinkommen Venezuelas) orientiert, statt an Dogmen stur festzuhalten.
So eine Schule ist bis jetzt nicht in Sicht.
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