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Kein großes Drama...

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Tschaikowski hat in das von Konstantin Schilowski verfaßte, auf eine Erzählung Puschkins zurückgehende Libretto des „Eugen Onegin“ nicht eine Musik großer dramatischer Akzente investiert, sie ist nicht auf knallige Effekte und sicher einschlagende Aktschlüsse eingestellt und vermag — wie die Neuinszenierung der Staatsoper nach zwölf Jahren zeigte — die Spannung nicht immer durchzuhalten. Aber in trefflicher Detailmalerei weiß sie Stim-mungs- und Gefühlsmomente überzeugend echt auszuschöpfen und die Figuren dieser „Lyrischen Szenen“ — dies der Titel der Oper — restlos zu verifizieren, so Onegin in seinem weltmännisch-kühlen, fast blasierten Auftreten, Lenski in seiner schwärmerischen Verträumtheit, Olga in ihrer jungmädchenhaften Verliebtheit und vor allem die zu schrankenloser Offenheit sich bekennende Tatjana in ihrer herrlichen „Briefszene“.

Diese „Briefszene“ ist eine der wenigen großen „Geständnisarien“ der Opernliteratur, ähnlich dem Monolog der Katharina in Götz' „Der Widerspenstigen Zähmung“. Die Arien der Tatjana, des Lenski in der Duellszene, des Fürsten Gremin, das Schlußduett Tat-jana-Onegin, der Walzer des 2. und die Polonaise des 3. Aktes können als Glanznummern der Partitur gelten. Doch sind die letztgenannten Orchesterstücke nicht als bloße Tanz-

einlagen anzusehen, sondern dürfen als Spiegelungen der jeweiligen seelischen und dramatischen Situationen des Gesamtwerkes gedeutet werden. I

Die Staatsopernpremiere kam trotz vieler hervorgerufener Hindernisse doch noch zum vorgenommenen Termin heraus. In Berücksichtigung dieser Umstände verdient die Aufführung ein zwischen solide und durchaus akzeptabel schwankendes Prädikat. Die musikalische Leitung hatte kurzfristig Peter Schrottner als sicherer, die Partitur brav realisierender Dirigent übernommen, er deckt die Sänger nicht zu, gleicht kleine Temposchwankungen umsichtig aus und das Orchester hatte unter ihm einen guten Abend mit besonders prächtigem Bläserklang. Exzellent die mit Sonderbeifall bedachten Bühnenbilder Jürgen Roses, wenn sie auch zu sehr in die Tiefe gebaut sind und dadurch die Sänger etwas benachteiligen.

Die Regie Werner Kelchs bietet ihr Bestes im Arrangement der Ballszenen und im Festakt beim Fürsten Gremin, in der Personenführung bleibt sie konventionell. Als gelungenste Leistung des Abends setzte sich die Ungarin Eva Marton für die Partie der Tatjana ein. Ihr blühender, gut placierter und in der Höhe leuchtkräftiger Sopran ermöglichte ihr eine an Stimmungen und Gefühlen reiche Briefszene. Bernd Weikl

in der Titelpartie bringt als Positiva einen noblen Bariton, große Wortdeutlichkeit und eine elegante Erscheinung mit, aber sein Onegin bleibt, ohne an Fischer-Dieskau oder gar an George London zu denken, stimmlich und darstellerisch zu blaß und indifferent.

Peter Schreier, in den ersten Szenen stimmlich noch etwas gehandikapt, holt in seiner großen Arie vor dem Duell voll zu seinen gewohnten, hervorragenden Leistungen auf. Das Altfach vertraten in den Partien der Olga und Larina zufriedenstellend Gertrude Jahn und Hilde Rössel-Majdan. Für den Fürsten Gremin hätte man sich eine bessere Besetzung als mit Peter Meven gewünscht, er verfügt wohl über ein ansprechendes Baßmaterial, hat aber seine so dankbare Arie recht legato-arm und trocken gesungen. Als heute noch sehr erfreuliche Stützen des alten Ensembles präsentierten sich Hilde Konetzni als Filipjewna und Anton Dermota, der seinen einst so ausgezeichneten Lenski jetzt mit dem Triquet vertauscht hat. Sein von ihm als Kabinettstück der Vortragskunst gebrachtes Couplet erhielt mit Recht stürmischen Beifall. Es gab am Schluß der Aufführung viele Vorhänge für eine Premiere, die zu den besseren der letzten Zeit zu rechnen ist.

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