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Kein Haupt-Schauplatz

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Als die Minderhedtsregierung zum erstenmal zur Diskussion stand, war eines der Hauptargumente jener, die meinten, „Laßt Kreisky und sein Team arbeiten“, die Behauptung, diese Regierung werde das Parlament automatisch aufwerten. Denn es werde alles „transparent“, die Entscheidungen würden frei und offen im Parlament ausgehandelt und die Öffentlichkeit werde an den Vorgängen unmittelbar teilnehmen.

Gerade das Gegenteil trat ein. Die Minderheitsregierung begab sich unverzüglich auf die Suche nach Partnern, mit denen sie die notwendigen Entscheidungen vorher vereinbaren mußte. Nachdem aber die Partei, die auf jede eigene Interpretation ihrer Politik verzichtet, noch nicht erfunden ist, mußten solche Vereinbarungen notwendigerweise hinter verschlossenen Türen getroffen werden. Das nahm bekanntlich bei der Budgetvereinbarung zwischen SPÖ-Regierung und FPÖ-Opposition im vergangenen Herbst groteske und das Ansehen der Volksvertretung verletzende Formen an. Eine andere Folge des unnatürlichen Zustandes war, daß diese Regierung, die über keine gesicherte Mehrheit im Nationalrat verfügt, gar nicht daran denken konnte, die so dringend notwendige Demokratiereform auch nur ins Gespräch zu bringen. Auch hier geschah vielmehr etwas Gegenteiliges: die zwischen SPÖ und FPÖ in aller Eile ausgehandelte Wahlrechtsänderung bedeutet einen großen Schritt rückwärts: Weitere Entfremdung zwischen Wähler und Mandatar, Verzicht auf Persönlichkeitsauslese und mehrheitsbildenden Effekt.

Man muß dabei zugeben, daß die sozialistische Fraktion ihre wohl wichtigste Aufgabe, der Regierung Feuerschutz zu geben, in einmaliger Weise gelöst hat Oft genügte ein eher schüchtern vorgebrachtes kritisches Wort an der Tätigkeit dieses oder jenes Regierungsmitglieds seitens eines ÖVP-Abgeordneten, um einen künstlich gesteigerten Sturm der Entrüstung in den SPÖ-Bänken hervorzurufen. Da prasselte ein Hagel an Protesten und mitunter sogar an Schimpfwörtern auf die eingezogenen Köpfe der ÖVP-Frak- tion nieder. Besonders der Abgeordnete Weikart steigerte sich bei solchen Anlässen in wahre Wutanfälle hinein, aber auch einige Hinterbänkler erwiesen sich als stimmgewaltige

Kämpfer und Scharfschützen, wobei das auslösende Moment manchmal in gar keinem Verhältnis zu der sozialistischen „Retourkutsche“ stand.

Aber es hat mehr als einmal den Anschein gehabt, als hätte im Plenum des Nationalrates ein Rollentausch stattgefunden: Die Regierungsfraktion griff schonungslos an, bauschte einzelne Vorfälle maßlos auf, trieb die große Oppositionspartei in die Defensive. Deren beste Köpfe sind vielleicht Meister in der ruhigen

Argumentation. Gewissenhaft vorbereitet, können sie jede sachliche Diskussion mit Erfolg bestreiten. Sie fühlen sich aber bei Sturmszenen anscheinend eher unbehaglich.

Der ÖVP-Fraktion fehlen einige Parlamentarier in diesem Sinne: Routi-

niers, die sich notfalls auch in Tobsuchtsanfälle künstlich hineinsteigem können, wenn davon taktische Vorteile zu erwarten sind, und die jedenfalls so sicher in der Handhabung der Geschäftsordnung sind, daß sie die dadurch gebotenen Möglichkeiten . extrem ausnützen können, ohne Gefahr zu laufen, disqualifiziert zu werden. Der Spitzensportler muß die Spielregeln ganz genau kennen, um seinen dadurch sich ergebenden Spielraum bis zur äußersten Grenze nützen zu können, nur dann hat er seine Chancen optimal genützt. Man hatte manchmal den Eindruck, daß die ÖVP-Fraktfon weniger durch vornehme Gesinnung, als durch Unsicherheit hinsichtlich der gebotenen und erlaubten Möglichkeiten daran gehindert war, Geschmeidigkeit mit Härte zu verbinden und dadurch die Regierung ebenfalls zu äußerster Kraftanstrengung und wenn möglich, zum Rückzug zu zwingen.

Der Beobachter der parlamentarischen Szene konnte ferner gerade in Extremsituationen, als nämlich die Regierungsfraktion Vorteile aus Schwächemomenten der ÖVP-Abge- ordneten zog und zumindest hinsichtlich der Phonstärke die Szene allein beherrschte, feststellen, daß die dritte Partei die ihr zugeschriebene Rolle des „Züngleins an der Waage“ nicht gar so genau nahm. Ihre Abgeordneten blieben nämlich sehr oft stumme Beobachter der Szene.

Wenn die Gesamtleistung trotzdem mehr Wünsche offenließ als in den Jahren vorher, so liegen die Gründe in dem Umstand, daß die SPÖ-Frak-- tion einige ihrer besten Parlamentarier in die Regierung delegieren mußte und daß sich die ÖVP bekanntlich in ihrer neuen Oppositionsrolle nur schwer findet und daß ihre früheren Regierungsmitglieder meistens nicht „geborene“ Parlamentarier aus dem Schlage eines Doktor Pittermann oder Leopold Gratz waren. Wie überhaupt: das Parlament, die parlamentarische Arbeit scheint immer noch nicht von der ÖVP-Zentrale so beachtet zu werden, wie dies ihrer Bedeutung gerade in der gegenwärtigen Situation entspricht.

Wenn es auch zutrifft, daß eine Partei vor allem die Wähler ansprechen und auf dieses Ziel hin ihre organisatorischen und programmatischen

Anstrengungen konzentrieren muß, so müßte es ebenso unbestritten sein, daß der Haupt-Schauplatz der Demokratie und damit der wichtigste Platz der Bewährung für jede Partei in der parlamentarischen Demokratie das Parlament ist und bleibt. Also es nützt gar nichts, wenn man in der Partei irgendwo an Programmen arbeitet und es dabei vergißt, der parlamentarischen Fraktion hier und heute die bestmögliche Unterstützung zu geben. Der Wähler vor dem Fernsehschirm bildet sein Urteil jetzt und ist an geheimen Zukunftsprojekten der Parteisekretäre allein nur wenig interessiert.

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