6930562-1982_27_08.jpg
Digital In Arbeit

Kein Instrument gegen Häresien

19451960198020002020

Die „Kongregation für die Glaubenslehre”, das ehemalige „Heilige Offizium”, dessen Ursprünge auf die Inquisition zurückgehen, hat seit Beginn dieses Jahres eine neue Leitung: Kardinal Josef Ratzinger, den ehemaligen Erzbischof von München-Freising.

19451960198020002020

Die „Kongregation für die Glaubenslehre”, das ehemalige „Heilige Offizium”, dessen Ursprünge auf die Inquisition zurückgehen, hat seit Beginn dieses Jahres eine neue Leitung: Kardinal Josef Ratzinger, den ehemaligen Erzbischof von München-Freising.

Werbung
Werbung
Werbung

„Wie viele Lehrverfahren werden gegenwärtig geführt?”, war meine erste Frage an den neuen Präfekten der Kongregation, den deutschen Kardinal Josef Ratzinger. „Lehrverfahren im eigentlichen Sinn des Wortes gegenwärtig kein einziges!” antwortete er. „Es ist ja nicht so, als ob wir hinter Irrtümern her wären, um diese möglichst allenthalben aufspießen zu können... Der Grundakzent, um den es mir geht, ist vielmehr durch Papst Paul VI. schon festgelegt worden, nämlich über das Verteidigen und Bewahren hinaus vor allen Dingen das Positive zu setzen, den Versuch, an positiven Entwicklungen in der Theologie mitzuarbeiten und den Glauben verstehbar zu dolmetschen.

Dazu bringt der ehemalige Erz-bischof von München zweifellos gute Voraussetzungen mit. Bereits mit 32 Jahren wurde der gebürtige Bayer an die Universität Bonn berufen, Kardinal Frings bestellte ihn zu seinem theologischen Berater für das Zweite Vatikanische Konzil. Bereits vor Ende der ersten Konzilsperiode war Ratzinger Konzilstheologe. Später wirkte er als Universitätsprofessor in Münster, Tübingen und Regensburg.

Doch wie kann man dem Auftrag eines Hüters der Rechtgläubigkeit nachkommen ohne Gefahr zu laufen, einen legitimen Meinungspluralismus in der Kirche zu verletzen? „Es sind in den letzten 15 Jahren neue Instrumente der Kongregation gewachsen, von denen ich glaube, daß sie helfen, dieses Ziel zu erreichen: die internationale Theologenkommission, die Bibelkommission in ihrer neuen Gestalt und schließlich das Arbeitsinstrument internationaler Symposien. Dieses dient dazu, besonders herausragende Fragen zu behandeln.”

In diesem Zusammenhang verwies Ratzinger auf Veröffentlichungen der Theologenkommission zum Pluralismus, zur Theologie der Befreiung, zum priesterlichen Amt und zur apostolischen Nachfolge. Er stellte zu diesen Veröffentlichungen fest, daß sie

„mit einem Typus von Autorität erfolgten, den wir heute brauchen, nämlich nicht als eigentliche Lehrautorität, sondern als theologische Autorität, also als wissenschaftliche Autorität. Natürlich steht diese immer in enger Gemeinsamkeit mit dem Lehramt.”

Auch soll durch diese drei Arbeitsinstrumente und die daraus erwachsenden weltweiten persönlichen Kontakte herausgefunden werden, „welche Problemfälle besonders an Bedeutung gewinnen, wo wir also gleichsam nicht auf Irrtümer warten sollten, sondern vorausgehen und versuchen sollten, sowohl Perspektiven als auch Sprachmodelle zu entwerfen”.

Neben diesen Grundakzenten in der Leitung der Kongregation will Ratzinger die Kollegialität der Bischöfe in die Wahrheitsfindung und in die Entscheidungs-prozesse einbeziehen. „Wir wollen nicht einfach aus einem zen-tralistischen Verständnis heraus handeln, sondern möglichst in Kooperation mit den Bischöfen, deren Anregungen aufgreifend und deren eigene Aktivität erbittend.”

Und wo liegen gegenwärtig die Schwerpunkte, mit denen sich die Kongregation auseinandersetzen muß? - „Ich glaube, daß eine sehr wichtige Frage das Verhältnis von Philosophie und Theologie ist, oder anders ausgedrückt, welche Rolle der Vernunft im Glauben zukommt. Die Zeit unmittelbar vor dem Konzil und die Debatte im Konzil war durch eine sehr starke Zuwendung zur Bibel gekennzeichnet. Das war in der gegebenen Situation berechtigt und notwendig. Doch war damit auch eine gewisse Abwendung von der Philosophie verbunden. Heute sehen wir wieder deutlicher, daß eine richtige Lektüre historischer Texte nicht geschehen kann, wenn man nicht die Verstehens-weise des Menschen, die Weise, wie man Texte in einer veränderten Zeit neu und doch treu begreifen kann, reflektiert hat.

In diesem Zusammenhang zeigt sich eine weitere Frage, wie nämlich die Auseinandersetzung mit dem, was sich neu als Aufklärung anbietet zu führen ist, was wieder zu den Auseinandersetzungen mit den großen moralischen Problemen unserer Zeit führt, die sich weithin als politische Probleme darstellen.”

Weiter erwähnte Ratzinger Probleme, die neue mystische Bewegungen aufwerfen. „Das Verlangen nach Frömmigkeit, nach Mystik setzt sich gegenwärtig oft im Protest gegen die Vernunft durch.” Dahinter steht die Sorge, den Glauben nicht in Vernünftigkeit, sei es technischer, sei es politischer, sei es aufklärerischer Vemünftigkeit, aufgehen zu lassen, sondern sein Eigenes zu wahren.

Viele meinen, die Kongregation für die Glaubenslehre wäre ein Instrument zum Aufspüren von Häresien. In Wirklichkeit machen Lehrverfahren im eigentlichen Sinn des Wortes einen ganz kleinen Prozentsatz der Gesamtarbeiten der Kongregation aus. Hierfür ist nur eine von vier Sektionen zuständig. Der weitaus größte Prozentsatz im Arbeitspensum des Präfekten der Kongregation gilt den Bemühungen ,4m engen Kontakt mit der Internationalen Theologenkommission und der Bibelkommission wie auch mit den ständigen Beratern und allen Mitarbeitern der Kongregation etwas Positives zu tun sowie den Dialog mit den Bischofskonferenzen lebendig zu erhalten. Das Stadium, in dem ein Konflikt zu einem eigentlichen Prozeß wird, sollte gerade durch solche Kontakte vermieden werden.” .

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung