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Kein Klassenkampf — eine „konservative“ Revolte

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1976 empfiehlt sich als Jahr der Jubiläen: Millenniumsfeste der Babenberger in Niederösterreich, der Erhebung zum Herzogtum in Kärnten, des Marktes St. Wolfgang. Oberösterreich feiert ausgiebig seinen Bauernkrieg im Land ob der Enns vor 350 Jahren. Mit vielen Worten versucht man derzeit den Menschen des 20. Jahrhunderts zu erklären, was mehr als drei Jahrhunderte früher die Bauern Oberösterreichs bewogen habe, zu den Waffen zu greifen, sich zusammenzurotten, die landesfürstliche Stadt Linz zu belagern und schließlich in blutigen Schlachten unterzugehen.

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1976 empfiehlt sich als Jahr der Jubiläen: Millenniumsfeste der Babenberger in Niederösterreich, der Erhebung zum Herzogtum in Kärnten, des Marktes St. Wolfgang. Oberösterreich feiert ausgiebig seinen Bauernkrieg im Land ob der Enns vor 350 Jahren. Mit vielen Worten versucht man derzeit den Menschen des 20. Jahrhunderts zu erklären, was mehr als drei Jahrhunderte früher die Bauern Oberösterreichs bewogen habe, zu den Waffen zu greifen, sich zusammenzurotten, die landesfürstliche Stadt Linz zu belagern und schließlich in blutigen Schlachten unterzugehen.

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Es wird dabei immer wieder behauptet, diese Bauern hätten für die „Freiheit“ gekämpft, wären für die „Freiheit“ gestorben. Jeder, der sich ein wenig mit Geschichte beschäftigt hat, sieht die unerschrockenen Bauern des Hausruck-und Mühlviertels mit „libert6, egalite, fraternite“ auf den Fahnen als Vorkämpfer von 1789 — nur ist dieses Bild völlig falsch. Stephan Fadinger und seine Mitstreiter waren keine „Freiheitskämpfer“ in diesem allgemeinen Sinne. Wenn man auf eine kurze Formel bringen will, wofür sie nun wirklich eintraten und starben, dann gegen die landfremde Besatzung, gegen Bedrohung der Religionsfreiheit und für das „alte Herkommen“, also eine durch und durch „konservative“ Forderung.

Im Lande ob der Enns waren um 1600 weite Landstriche und die Städte protestantisch, — daß es dennoch auch vereinzelt katholische Bauern gegeben hat, sei immerhin erwähnt. Unter den Ständen — Prälaten, Herren und Rittern sowie den Städten — hatten die Stifte und

Klöster einigermaßen zu Ordnung und Zucht zurückgefunden, man bemühte sich um die Durchsetzung der Beschlüsse des Tridentinums. Unter den Adeligen waren es nur die Meggauer, die am alten katholischen Glauben festgehalten hatten, alle anderen waren, zum Teil in direktem Kontakt mit Martin Luther, der neuen Lehre gefolgt und bemühten sich um deren Abschirmung gegen Calvinisten und Sektierer. Der Tod Kaiser Matthias' 1619 bot die Möglichkeit, im aufflammenden Widerstand gegen die streng katholische steirische Linie der Habsburger die Macht der Stände auszuspielen und auf juridische Fehler bei der Erbfolgeregelung hinzuweisen. Aber mit Ferdinand II. war nicht nur ein junger, entschlossener Herrscher auf den Thron gelangt, — sondern auch ein auf dem diplomatischen Parkett

versierter Realpolitiker. Bayrische Hilfe war deshalb vonnöten und nur die von Herzog Maximilian ausgebildeten blau-we>3en Elitetruppen konnten das Bild verändern. 1620 wird Oberösterreich an Bayern verpfändet, in der Schlacht am Weißen Berg in Böhmen das protestantische Heer zerschlagen und die Struktur des Königreichs Böhmen grundliegend verändert.

Im Land ob der Enns blieben die politischen Verhältnisse unangetastet, die Inhaftierung von Rädelsführern (so sie nicht wie Tschernembl ins Exil gegangen waren) war eine milde Strafe für Aufstand und Rebellion, vergleicht man das Vorgehen mit dem Blutgericht in Prag. Aber weit schwerer wog die Gewissensbelastung: katholisch zu werden oder auszuwandern.

Zündstoff für die Bauern und Landleute bot sehr bald das im Lande stationierte bayerische Kriegsvolk. Adam von Herberstorff war als Statthalter eingesetzt worden, er versuchte Disziplin und Manneszucht zu halten, aber die

Schwierigkeiten der Versorgung mit Verpflegung und/oder Geld machten dies fast unmöglich. Und die Überfälle marodierender Soldaten, Hänseleien und Raufhändel auf Kirchtagen und Jahrmärkten zeigte nicht nur die Unzufriedenheit im Lande, sondern war schließlich auch die konkrete Ursache für den Ausbruch des Bauernaufstandes.

Als der Auftrag erging, daß die Untertanen in den Städten und auf dem Lande katholisch werden mußten, da kam nun auch für den einfachen Mann zum wirtschaftlichen Druck die Gewissensnot. Hatten zuerst Prädikanten und Schulmeister das Land verlassen müssen, waren dann die heimischen Adeligen ins protestantische Reich gegangen, traf es nunmehr das Volk, die Bauern und ihr Gesinde, die kleinen Wirte und Handwerker, die Fischer und Händler, die Müller und Weber.

Das „Frankenburger Würfelspiel“ 1625 setzte den grausigen Schlußpunkt für einen — unblutigen — Aufruhr bei einer Pfarrereinsetzung, Warnung und Fanal zugleich.

In Lembach (Mühlviertel) rotteten sich die Bauern zusammen, nach Streit mit bayerischen Soldaten wurde am 18. Mai 1626 Aschach besetzt. Vom Statthalter vorsorglich eingesammelte Waffen und Rüstungen wurden aus den Rathäusern und Schlössern herausgeholt, das Aufgebot erging an alle Höfe. Bei der Gegenaktion Herberstorffs holten sich die Bayern zuerst blutige Köpfe. Nur Versprengte konnten sich mit dem Statthalter nach Linz retten, wo man sofort begann, die Befestigungen zu verstärken.

Nun aber begingen die Bauern — wie man rückblickend meint — einen großen Fehler: im Handstreich wären ihnen vielleicht nicht nur Wels und Steyr zugefallen, es wäre möglicherweise auch die Einnahme von Linz geglückt. Aber den beim Aushecken des Aufstandsplanes in St. Agatha und Haibach, gefaßten Vorsätzen und Absichten folgend, sollten zuerst alle Landesviertel vom Aufgebot und vom Aufruhr erfaßt werden. LMes bot dem kriegskundigen Grafen Herberstorff genügend Frist zur Verstärkung von Linz und zur Vorbereitung der drohenden Belagerung.

Die Opfer

Beim Zusammenrotten von Tausenden, ja von Zehntausenden waren Übergriffe unausbleiblich. Die Zeitungsmeldungen aus Wien schilderten in schwärzesten Farben die Plünderung von Stift Lambach, die evangelische Presse in Deutsch-

land brachte Greuelmeldungen. In Hartkirchen bei Aschach wurden ein Pfarrer und sein Verwalter erschlagen (vielleicht, weil dieser ein italienisch sprechender Tiroler war und der Haß gegen die welschen Geistlichen am größten war). Der durchreisende Herzog von Sachsen-Lauenberg wurde bei Eferding im Streit umgebracht. Sicherlich: die Jesuiten waren aus ihrem Besitz in Pulgarn nach Linz geflüchtet, die Zisterzienser hatten Wilhering verlassen. Aber in Kremsmünster kam der Abt vor das Stift, sprach mit den Bauern und weigerte sich, die Rüstkammer freiwillig zu öffnen. Hier fand sich keiner, der tätlich gegen den Prälaten vorging, hier wurde die angestammte Obrigkeit anerkannt und geachtet. Im Forderungsprogramm der Bauern hieß es: Vertreibung des Pfaffengesindels, aber nicht der Prälaten! Und

wenn die Stände ihße Vertreter oder Boten hinausschickten, so wurden diese vielleicht mit Worten bedrängt, wenn man ihnen die Forderungen vortrug, aber sie wurden als Mitglieder oder Beauftragte eines höheren Standes respektiert. Die Bauern waren nämlich keine Sozialrevolutionäre, keiner kämpfte für Gleichberechtigung, — sondern sie waren Menschen, die in einer ausweglosen Situation bei ihren früheren Rechten (und Pflichten!) verbleiben wollten.

Was waren ihre Wünsche?

• Wieder zu Österreich zu kommen, nicht mehr mit bayerischer Besatzung belegt, von einem bayerischen Statthalter beherrscht zu sein.

• Religionsfreiheit: das Recht, sich weiterhin zum evangelischen Glauben bekennen zu dürfen, Prädikan-ten und Schulmeister zu haben, deren Versorgung auch sichergestellt sein sollte.

• Die Bedrückung durch die neuen Pfarrer beseitigen, die bei Todesfällen horrende Summen für Grabstätten von den widerspenstigen „Ketzern“ verlangten; und die Abschaffung der Jesuiten.

Eine Gesandtschaft der Bauern zog nach Wien und flehte den Hof an (eine Audienz beim Kaiser wurde verweigert), man möge doch dafür sorgen, daß sie wieder ihren angestammten Landesfürsten bekämen, daß das Land ob der Enns wieder zu Osterreich gehören könne.

Viele Wochen vergingen mit Schanzarbeit, mit höhnisohen Rufen, Spottreden und Gezänk. Linz, die landesfürstliche Stadt, war schon völlig eingeschlossen.

Der kaiserliche Mautner könne

nicht amtieren? Sofort waren die Bauern bereit, diesen ungehindert auf dem anderen Donauufer amtshandeln zu lassen, er solle die Schiffe inspizieren, die Gelder kassieren, aber in Linz dürfe kein Schiff anlegen.

Denn nicht gegen Kaiser und Landesfürst, nicht gegen die Stände, nicht gegen Herberstorff, den verhaßten Statthalter, richtete sich die Wut. Es ging gegen die Bayern.

Und als im Herbst bayerische Truppen vom Innviertel aus gegen das Land ob der Enns vorrückten, kannte der Volkszorn keine Grenzen. Die Auseinandersetzung steigerte sich zur antiken Tragödie. Jetzt war die Hoffnung auf Erlösung vorbei, es galt zu kämpfen oder zu sterben. Vor dem blutigen Gemetzel im Emlinger Holz bei Eferding versammelten sich die Bauernscharen, Psalmen singend und betend. Die

Panzerreiter, das besser ausgerüstete Fußvolk der Kroaten und Wallonen schilderten später, daß sie die Spieße und Hellebarden in den Leibern der Bauern erst umdrehen mußten, damit der Widerstand erlahmte. Tausende bedeckten das Schlachtfeld; und nicht nur bei Eferding, auch bei Gmunden, bei Wolfsegg.

Inhaftierungen, Verhöre. Im Frühjahr 1627 erfolgte eine Serie von Hinrichtungen auf dem Hauptplatz zu Linz: am 26. März 1627 für acht Bauernführer, am 23. April 1627 für zehn weitere. Die Zahl derjenigen, die zur Zwangsarbeit im Stadtgraben in Wien verurteilt wurden, läßt sich nicht mehr feststellen.

Die Durchführung der Gegenreformation aber ging weiter. Wer im Land blieb, mußte katholisch werden.

1628 wurde die Verpfändung des Landes ob der Enns an Bayern wieder gelöst, Oberösterreich unterstand von diesem Zeitpunkt an wieder den Habsburgern und nicht den Wittelsbachern.

Hat hier der verzweifelte Kampf der Bauern doch späte Frucht getragen?

Die alte Mark, später das Herzogtum Österreich hatte die Ostgrenze gegen die erstarkenden Ungarn gefunden, im Norden war der Wald natürliches Hindernis gegen Böhmen und Mähren. Nach Südwesten erfolgte die Ausbreitung mit der Erwerbung der Steiermark und Kärntens. Nur gegen Westen gab es ein zähes Ringen um kleine Gebiete, um die Viertel des Landes ob der

Enns, um dessen Erweiterung bis zum Inn—, was bis 1798 dauerte. Immer wieder versuchte Bayern, zur alten Ausdehnung zurückzufinden. 1703 bis 1705 wurde zwischen Inn und Traun erbittert gekämpft, 1740/41 mußte Maria Theresia Linz neuerdings zurückerobern lassen. Habsburg und Habsburg-Lothringen haben für das Land ob der Erms viel aufs Spiel setzen müssen. Bayerns Wünsche waren durch Jahrhunderte vorhanden. Nie aber war es diesem Ziel so nah wie seit 1620 unter dem tatkräftigen ersten bayerischen Kurfürsten Maximilian.

Sind also die oberösterreichischen Bauern nicht auch für die Zugehörigkeit zu Österreich gestorben? Neben den Millenniumsfeiern in Niederösterreich und Kärnten sollte man diesen Aspekt nicht aus dem Auge verlieren.

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