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Kein Leben mehr wie Gott in Frankreich

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Premierminister Edouard Balladur geht es noch wie Gott in Frankreich. Seine Regierung ist seit zwei Monaten an der Macht, und die Umfragen versichern ihm immer noch das Vertrauen von mehr als 60 Prozent der Bevölkerung. Was hat Balladur seit seiner Amtsübernahme getan, daß er den Franzosen so gut gefällt? Ganz einfach: er hat ihnen Geld abverlangt.

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Premierminister Edouard Balladur geht es noch wie Gott in Frankreich. Seine Regierung ist seit zwei Monaten an der Macht, und die Umfragen versichern ihm immer noch das Vertrauen von mehr als 60 Prozent der Bevölkerung. Was hat Balladur seit seiner Amtsübernahme getan, daß er den Franzosen so gut gefällt? Ganz einfach: er hat ihnen Geld abverlangt.

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Die wirtschaftliche Lage ist insgesamt so schlecht, daß sehr viele Betriebe ihren Arbeitnehmern Lohnkürzungen aufzwingen, um den Betrieb zu retten. Balladur meint, solche Maßnahmen ließen sich insofern rechtfertigen, wenn der Staat den Arbeitnehmern mit einer Prämie entgegenkommt. Das hat aber zu schlimmen Mißbräuchen geführt, zu regelrechten Erpressungen. Viele Arbeitgeber stellten ihre Arbeiter vor folgende Wahl: entweder Lohnkürzung oder Entlassung - eine neue Form ökonomischer Erpressung, mit der die Regierung jetzt täglich zu tun hat.

Es gibt in Frankreich mindestens eine soziale Kategorie, die fast kein Vertrauen in die Zukunft mehr hat -und das sind die Bauern. Sie glauben mittlerweile, daß man sie seit dreißig Jahren belügt. Wie konnte es so weit kommen, wenn man bedenkt, daß dieses Land - mit den Vereinigten Staaten - Hauptexporteur agrarischer Produkte ist? Hauptursache ist die EG Landwirtschaftspolitik, die die französischen Bauern zwingt, etwa 1,5 Millionen Hektar Land brach liegen zu lassen. Das ist so gut wie die gesamte Getreideanbaufläche von Dänemark oder das Zehnfache jener der Niederlande.

Rechts gesinnte Politik

Schließlich kam - es war höchste Zeit - die letzte Entscheidung der europäischen Landwirtschaftsminister in Brüssel: Französische Bauern sollen 27 Prozent mehr Prämie für ihr Brachland bekommen - das bedeutet etwa 2.600 Francs pro Hektar statt 2.000. Damit gibt sich Frankreich momentan zufrieden, im Bewußtsein, daß ein Aufstand der Bauern im Lande verhindert werden konnte. Ein modus vivendi mit den europäischen Partnern ist also möglich.

Man ist aber weniger optimistisch, was die Vereinigten Staaten betrifft. Da werden die Verhandlungen für Landwirtschaftsminister Jean Puech schwieriger sein, auf den die Bauern bei dieser Gelegenheit zählen. Indem er sich die Lage der Bauern zu Herzen nimmt, demonstriert der Regierungschef, daß es ihm um den sozialen Frieden geht. Er betont immer wieder, daß Frankreich im Ausland als ein einiges Land erscheinen muß. Und man muß zugeben, daß diese zweite Kohabitation bis jetzt bestens verlaufen ist. Manche Journalisten schrieben sogar, daß Mitterrand jetzt endlich den richtigen Premierminister gefunden habe: leider keinen sozialistischen. t|

Trotzdem sollte man nicht vergessen, daß diese Regierung rechts gesinnt ist - und das beste Symbol dieser Rechten ist Innenminister Charles Pasqua. Es mag stimmen, daß sich die wirtschaftlichen Maßnahmen dieser Regierung kaum von denen der Sozialisten unterscheiden. Was die Politik betrifft, liegen die Dinge schon etwas anders.

Viel Aufsehen erregte dieser Tage Pasquas neues Nationalitätsgesetz. Bis jetzt wurde automatisch Franzose, wer auf französischem Boden geboren wurde. Nach dem neuen Gesetz gibt es folgende Differenzierungen: Nur jenes Kind ist automatisch Franzose, das in Frankreich geboren wurde und von dem mindestens ein Elternteil die Französische Nationalität besitzt. Ein in Frankreich geborenes Kind, dessen Eltern Ausländer sind, darf erst zwischen 16 und 21 Jahren um die französische Staatsbürgerschaft ansuchen. Diese kann ihm im Falle einer Bestrafung wegen Zuhälterei, Drogenhandels, Totschlags oder jeden Verstoßes gegen Gesetze, der mit mindestens sechs Monaten Gefängnis bestraft wird, verweigert werden. Ein Ausländer oder eine Ausländerin, der eine Französin oder die einen Franzosen heiratet, bekommt die Nationalität, muß aber neuerdings eine zweijährige Probezeit abwarten (bisher dauerte das nur sechs Monate).

Auf diesem Terrain, meint Balladur, sollte man keine Schuldgefühle haben; und er versichert, daß diesbezüglich die Mehrheit der Bürger hinter ihm steht. Die Linksopposition meint, das wirkliche Problem sei die Integration, die Einverleibung der Ausländer - zum Beispiel in den gro-

ßen Vororten (Banlieues) - und mit einem solchen Gesetz laufe man Gefahr, alles zu verschlimmern.

Jedenfalls scheinen Aktionen, wie sie zur Zeit bei Frankreichs östlichem Nachbarn vorkommen, hier ausgeschlossen, so Charles Pasqua vor kurzem im Zweiten Französischen Fernsehen. Wahr ist, daß die Franzosen insgesamt kaum auf das neue Gesetz reagiert haben. Frankreich mag das Land der Menschenrechte sein, wichtiger ist inzwischen die Arbeitslosigkeit geworden - und zwar so wichtig, daß jeder befürchtet, ein Immigrant könnte ihm seinen Arbeitsplatz wegnehmen.

60.000 Bankrottfälle

Am 7. Juni hat im Palais Matignon - dem Regierungssitz - ein wichtiges Treffen stattgefunden zwischen Balladur und einigen seiner Minister auf der einen und einem Stab der französischen Arbeitergeberschaft auf der anderen Seite. Francois Perigot, der „patron des patrons”, der Chef der Französischen Unternehmer, traf den Regierungsschef. Die beiden können nicht sehr gut miteinander. Balladur findet, seine Maßnahmen sollten der Arbeitgeberschaft genügen, um mit den Entlassungen aufzuhören.

Perigot ist der Meinung, daß es in Frankreich 60.000 Bankrottfälle in diesem Jahre geben wird - und daß diese Konjunkturlage Neueinstellungen überhaupt nicht rechtfertigt. Die Regierung muß dringend auf die Effektivität ihrer Maßnahmen schauen, sonst rennt sie geradewegs in eine Wand. Aber Zeichen einer Wirtschaftsbelebung lassen noch auf sich warten.

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