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Kein Märchen für kleine Kroaten

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Kroatischer Schulunterricht ist im Burgenland noch lange keine Selbstverständlichkeit. Rechtsstreitigkeiten drängen eine Volksgruppe ins Bildungs- Abseits.

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Kroatischer Schulunterricht ist im Burgenland noch lange keine Selbstverständlichkeit. Rechtsstreitigkeiten drängen eine Volksgruppe ins Bildungs- Abseits.

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Arbeitskräfte raus, Maschinen rein. Um einem Bedürfnis abzuhelfen, kaufte ein niederösterreichischer Unternehmer um zwei Millionen Schilling eine vollautomatische Ostereier-Färbe- maschine. Arme mit Saugnäpfen erfassen 10.000 Eier pro Stunde, der Computer regelt die Kochtemperatur auf Zehntelgrade genau …

Und was macht er damit nach Ostern? Klarer Fall, „gefärbte Picknick-Eier auf den Markt bringen“!

Der Mann hat erkannt, worauf es ankommt. Teure

Maschinen anzuschaffen und abzuschreiben, die Umwelt aufzuheizen, dreckiges Ab- , wasser zu produzieren und Energie zu verbrauchen, damit wir endlich auch ein Kernkraftwerk brauchen. Jeden in Konsum ummünzbaren Festtagsbrauch ganzjährig zu vermarkten, auf daß das Jahr keine Struktur mehr habe und alles immer verbraucht werden kann.

Dieses Marketing-Talent sollte sich nicht auf seinen Picknick-Eiern ausruhen. Die Entwicklung muß weitergehen zum Ganzjahresfasching mit gleichzeitigem Ganzjahres-Herings- schmaus, zum Verkauf von Christkindein, Krampussen und Osterhasen im August, zum Zwölf-Monate-Christ- baum, der die Entwicklung der vollautomatischen Christbaum-Entstaubungsanlage ermöglichen wird, zum Wintersurf und Sommerschi …

Pardon, letztere Errungenschaft gibt es schon! HJJ.

Mit zittriger Stimme erzählt die Großmutter der vierjährigen Enkelin ein altes Volksmärchen. Nur wenige Worte sind Deutsch. Es ist ein Märchen, das es nur noch in der burgenländisch-kroatischen Sprache gibt, und nur noch wenige Kinder können es verstehen.

Jahr für Jahr nimmt die Zahl der Burgenländischen Kroaten ab. Bekannten sich laut Volkszählung 1971 noch 24.332 Österreicher zur Umgangssprache Kroatisch,

so waren es 1981 im Burgenland nur noch 18.567. Mit Schuld am sukzessiven Aussterben dieser Volksgruppe trägt die mangelhafte Absicherung der zweisprachigen Erziehung. Seit Jahren schon geht der Streit um die rechtliche Regelung für die Sprachminder- heiten in den Kindergärten, Hauptschulen und Gymnasien.

„Die Assimilation ist schon gräßlich vorangetrieben worden“, meint Johann Karall, Schulreferent in der burgenländischen Landesregierung, „der Kindergarten ist die Basis.“ Daher ist Karall um eine rasche Gesetzwer- dung für den vom Burgenländischen Landtag verfaßten Gesetzesentwurf über das Kindergarten- und Hortwesen bemüht. Danach wird den Kindern, sofern mindestens zwei Erziehungsberechtigte pro Gemeinde dies wünschen, der Gebrauch der betreffenden Volksgruppensprache für dreimal zwei Stunden pro Woche garantiert. Für Kinder, die ausschließlich in deutscher Sprache betreut werden sollen, ist eine eigene Gruppe vorgesehen.

Fritz Robak, Vorsitzender des Präsidiums der Bürgermeister- und Vizebürgermeisterkonferenz kroatischer und gemischtsprachiger Gemeinden, ist dagegen der Ansicht, daß sich die Burgenländischen Kroaten freiwillig a ssimi- lieren wollen. Die Eltern wollten nicht, daß ihre Kinder Kroatisch lernen. „Wir fürchten“, so Robak, „daß dadurch Unruhe in den Kindergarten hineinkommt, da kommen nur Extremisten.“

Die einzige genaue Sprachregelung — neben den Zusagen für Minderheiten im österreichischen Staatsvertrag und im Staatsvertrag von Saint-Germain — existiert für die Volksschulen im Schulgesetz aus dem Jahre 1937: Im zweisprachigen Gebiet liegt bei einem kroatischsprechenden Bevölkerungsanteil von unter 30 Prozent der Unterricht dieser Sprache im Ermessen des Lehrers, bei einem Anteil von 30 bis 70 Prozent hat der Unterricht zweisprachig zu erfolgen, bei über 70 Prozent fungiert Deutsch als Nebensprache.

Das bedeutete bis 1962 die theoretische Chance von acht Jahren, nach der Übernahme der Oberstufe der Volksschule in die Hauptschule nur noch vier Jahre Zeit, um eine vom Aussterben bedrohte Sprache zu vermitteln.

Selbst unter den Kroaten herrscht allerdings die Ansicht, daß es sich bei der über 450 Jahre alten Dialektgruppe des Cakawi- schen lediglich um eine Bauernsprache handelt. Das Deutsch-Bur- genländisch- kroatisch- Kroatische Wörterbuch beinhaltet jedoch 24.000 Stichwörter — viel für eine Bauernsprache.

Kroatisch wird derzeit in den Hauptschulen und Gymnasien des Burgenlandes als Freifach ange- boten, mit Ausnahme der Hauptschulen von Oberpullendorf, Groß- warasdorf und St. Michael, wo die Kinder im Schulversuchunterricht ihre Muttersprache in mehreren Gegenständen hören. „Die Kinder besuchen oft das Freifach nicht, weil es zeitlich so ungünstig ist.

sie versäumen sonst den Schulbus“, meint Peter Tyr an, Vorsitzender des Kroatischen Akademikerklubs (Hrvatski Akadem- ski Klub) in Wien.

Stein des Anstoßes bildet nach wie vor die Frage der Kompetenz: Das Land kann und will keine Grundrechte schaffen, dies fällt in die Zuständigkeit des Bundes. Die Frage erhebt sich nun, ob der vorliegende Entwurf über die Kindergärten Grundrecht schafft oder nicht. Eine konkrete Entscheidung ist bislang noch nicht gefallen.

„Oft waren über zwei Drittel der Eltern für Kroatisch“, so Ty-

ran über die rechtliche Grauzone „zweisprachige Kindergärten“, „aber der Bürgermeister lehnte mit der Begründung ab, daß es keine Verordnung gäbe.“

Laut Artikel 7 des österreichischen Staatsvertrages haben die Burgenländischen Kroaten, genauso wie die Kärntner Slowenen, Anspruch auf ein eigenes Gymnasium. Der Versuch eines solchen Projekts in Oberschützen scheiterte an der geringen Teilnehmerzahl. Kein Wunder, da doch die Kroaten über das gesamte Burgenland verstreut leben. Wer schickt schon sein Kind in ein Gymnasium, das über hundert Kilometer weit entfernt liegt?

„An den bestehenden Gymnasi en soll man Möglichkeiten finden, Kroatisch als Pflichtfach, in dem man auch maturieren kann, einzuführen“, schlägt der „kroatische Landesrat“ Karall vor. Peter Tyran hingegen sieht in der Errichtung eines dreisprachigen, interkulturellen Gymnasiums oder eines allgemeinbildenden Gewerbegymnasiums eine Alternative. Auch Aurelia Gieler, Schulsprecherin im burgenländischen ÖVP-Landtagsklub, will die Forderung nach dem kroatischen Gymnasium aufrechterhalten: „Unsere Volksgruppe braucht eine höhere Schule, sonst haben wir eine zweitrangige Sprache. Wir müssen eine praktikable Zwischenlösung finden, etwa in Form eines Volksgruppenzweigs.“

Erschwerend kommt hinzu, daß sich die Burgenländischen Kroaten — im Unterschied zu den Kärntner Slowenenorganisationen — auf keine gemeinsame Vertretung und Linie einigen können. Assimilanten und radikale Kulturbewahrer pochen gleichermaßen darauf, für die Allgemeinheit zu sprechen.

Dennoch wird in den Volksschulen von 28 Gemeinden 1.044 kroatischen Kindern in diesem Schuljahr der zweisprachige Unterricht ermöglicht. Rechnet man die 541 Schüler der Hauptschulen mit kroatischem Schulversuch hinzu, so hält die Sprachminder- heit einen Anteil von 6,5 Prozent der burgenländischen Pflichtschüler. Von dieser Zahl sind jedoch noch jene Schüler abzuziehen, die diese Möglichkeiten gar nicht in Anspruch nehmen.

„Das ist alles nur aufgeputscht“, sagt der „assimilationswillige“ Kroate Robak, „die Eltern sollen sich melden, es gibt kaum noch welche. Manche Sprachen verschwinden eben langsam, Prag ist ja heute auch zu 100 Prozent tschechisch.“

Aurelia Gieler, selbst Mittelschulprofessorin, erzieht ihre Kinder zweisprachig: „Es gibt sicher Gruppen, die das nicht wollen. Schuld ist zumeist das persönliche Erlebnis, als .blöder Krowot abgestempelt zu werden. Aber wir haben so viele Dichter, das war uns alles zuwenig bewußt.“

Frau Gielers Tochter versteht die alten kroatischen Märchen. Noch gibt es solche Kinder. Nur — wie lange?

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