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Kein neues Leitbild

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In den fünfziger und sechziger Jahren wurde eindeutig eine Frau- enpolitik betrieben, die die Stel- lung der Frau in der Gesellschaft verändern sollte. Dies gelang auch in großem Ausmaß. Die Bedeutung der Familie und die mit ihr verbun- denen Aufgaben wurden zwar ge- setzlich festgelegt, tauchten aber in den Frauenleitbildern nicht auf. Dieser Lebensbereich galt als orga- nisierbar, allenfalls als Hindernis für die berufliche Entwicklung der Frau. Durch den weiteren Ausbau gesellschaftlicher Einrichtungen sollten die vorhandenen Probleme schrittweise gelöst werden.

Parallel zu der Qualifizierungs- kampagne in den sechziger Jahren änderten sich grundlegende Ein- schätzungen in der Frau- enpolitik. Zuerst sichtbar wurde dieses Umdenken durch die Verabschiedimg des Familiengesetzbuches der DDR im Dezember 1965.

Es waren zahlreiche ge- sellschaftliche Probleme aufgetaucht, die sich in sinkenden Heiratszahlen, Jugendkriminalität, Er- ziehungsmängeln der öf- fentlichen Kinderbetreu- ung und anderen uner- wünschten Erscheinungen ausdrückten. Sie konnten nicht mehr ausschließlich als Relikte der kapitalisti- schen Vergangenheit be- trachtet werden, sondern forderten eine soziologi- sche und psychologische Analyse ihres Fortbeste- hens im Sozialismus her- aus.

Das Familiengesetz- buch, das weniger Gesetz- es- als vielmehr Normen- charakter hat, formuliert erstmals ein Leitbild der sozialistischen Familie. Es betont den hohen erziehe- rischen Wert der Familie, der durch gesellschaftliche Einrichtungen nicht er- setzt werden kann. Trotz der Verpflichtung für bei- de Ehepartner, sich an der Erzie- hung und der Haushaltsführung zu beteiligen, bleibt letztlich der fa- miliäre Bereich weiterhin der Frau zugeordnet. Es wird nicht betont, daß die Familie auch positive Aus- wirkungen auf die Persönlichkeits- entwicklung des Mannes haben kann; seine Rolle in der Familie wird nicht neu definiert.

Die Aufwertung der Familie schlägt sich in einem erweiterten, seit dieser Zeit propagierten Frau- enleitbild nieder: Im Mittelpunkt steht die Frau, die eine engagierte Berufstätigkeit mit ihren Aufga- ben in der Familie vereinbaren kann.Die Verpflichtung der Frau auf zwei Lebensbereiche, die für den Mann nicht in gleicher Weise formuliert wird, prägt bis heute die Gleichberechtigungspolitik in der DDR. Die Frauenpolitik, die vor- her die Familienpflichten allenfalls in ihren negativen Auswirkungen auf die Berufstätigkeit der Frau berücksichtigte, veränderte und verändert sich in Richtung Fami- lien- und Bevölkerungspolitik. Explizit werden nun familiäre Be- lastungen in den Arbeitsbedingun- gen der Frauen berücksichtigt, um verschiedene Ziele gleichzeitig zu erreichen: die Erhaltung eines hohen und kontinuierlichen Be- schäftigungsgrades der Frauen, die Sicherung der Familie als einer funktionsfähigen Sozialisationsin- stanz und die Reproduktion der Bevölkerung.

Mindestens seit 1972 wird in der DDR Bevölkerungspolitik mit dem Ziel der Erhöhung von Geburten- zahlen betrieben.

Die ökonomischen Möglichkeiten zur Durchsetzung einer derartigen Bevölkerungspolitik waren in der DDR erst zu Beginn der siebziger Jahre gegeben. Verstärkt notwen- dig erschienen diese Maßnahmen durch den Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre auch in der DDR einsetzenden Geburten- rückgang, der parallel zur Entwick- lung in anderen hochindustriali- sierten Ländern verlief. Die Frauen reagierten offenbar auf die Mehr- fachbelastung durch Berufstätig- keit, Qualifizierung, Mutterschaft und Haushaltstätigkeiten mit einer Reduzierung der Kinderzahl.

Die seit 1972 in der DDR prakti- zierte Bevölkerungspolitik muß auch im Zusammenhang mit der „Wiederentdeckung" der Familie durch die politischen Entschei- dungsträger gesehen werden. Die Erkenntnis, daß die Familie auch in einer sozialistischen Gesellschaft als maßgebliche Sozialisationsin- stanz einen entscheidenden Beitrag zur „Herausbildung sozialistischer Persönlichkeiten" leistet und ent- sprechend gefördert werden muß, führte zu der beschriebenen verän- derten Frauenpolitik der SED.

Zielgruppe bevölkerungspoliti- scher Maßnahmen ist die junge Ehe beziehungsweise Familie, an die man die Absicht knüpft, durch spezielle Förderungen die Familie mit zwei, möglichst aber drei Kin- dern zu einer individuell angestreb- ten Lebensform zu erheben. Beson- dere Unterstützung wird seit 1984 der Familie mit drei und mehr Kindern zuteil, denn die DDR- Demographen haben errechnet, daß im Durchschnitt 2,7 Kinder in jeder fertilen Ehe geboren werden müß- ten, um den Ersatz der Elterngene- ration zu sichern. Derzeit ist eine durchschnittliche Kinderzahl von 1,8 je Frau zu erwarten.

Auszug aus „Von der Frauenarbeitspolitik zur Familien- und Bevölkerungspolitikder DDR" von Ulrike Enders und Susanne Weigandt in Osteuropa-Info Nr. 67/1986.

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