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Kein Platz für Vorurteile

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Nicht wenige internationale Beobachter zeigten sich äußerst erstaunt über den schnellen Besuch des neuen deutschen Bun-

deskanzlers Helmut Kohl bei dem französischen Präsidenten Francois Mitterrand. Zu beiden Seiten des Rheins wäre es jedoch fast als bedenklich empfunden worden, wenn diese Begegnung nicht bereits kurz nach Bildung der Bonner Regierung stattgefunden hätte.

Für Kohls Vorgänger Helmut Schmidt war es selbstverständlich gewesen, sich im Abstand von sieben Jahren zweimal kurz nach der Wahl der französischen Präsidenten Giscard d'Estaing und Mitterrand nach Paris zu begeben. Kohl mußte diesem Beispiel folgen — schon um den Verdacht zu entkräftigen, zur Uberwindung der von ihm seinem Vorgänger vorgeworfenen Spannungen mit den USA einen bevorzugt atlantischen Kurs zu steuern und infolgedessen die deutsch-französische Zusammenarbeit etwas in den Hintergrund zu drängen.

Von dieser negativen Befürchtung abgesehen, ging es ihm jedoch in erster Linie um den überzeugenden Beweis, daß für die Partei Konrad Adenauers die enge deutsch-französische Kooperation ein Fundament der Bonner Außenpolitik bleibt.

Auf diesen Beweis glaubten die Verantwortlichen beider Länder nicht verzichten zu können, weil es innerhalb und außerhalb ihrer Grenzen immer noch Kräfte gibt, die es für möglich oder gar für wünschenswert halten, das gegenseitige Vertrauen zu erschüttern und den deutsch-französischen Beziehungen ihren von de Gaulle und Adenauer angestrebten privilegierten Charakter zu nehmen.

Den Bonner Kanzlerwechsel nahm die französische Regierungsspitze gelassen hin. Nach Äußerungen von Mitarbeitern Mitterrands sind die gesellschaftspolitischen oder ideologischen Meinungsverschiedenheiten zwischen den französischen Sozialisten und den deutschen Christdemokraten belanglos, da auch Helmut Schmidt in dieser Beziehung von den Vorstellungen Mitterrands weit entfernt gewe-, sen war. Man fügt hinzu, der Wechsel in Bonn gehe weit weniger in die Tiefe als die Ablösung Giscard d'Estaings durch Mitterrand im Mai letzten Jahres.

Da das deutsch-französische Verhältnis dadurch in keiner Weise beeinträchtigt wurde, bestände diesmal noch weniger Veranlassung zu irgendwelchen Bedenken. Außerdem erfolgte unter dem Zwang der Realitäten eine wirtschafts- und sozialpolitische Annäherung zwischen Paris und Bonn.

Französische Befürchtungen über eine mögliche stärkere atlantische und weniger europäische Orientierung der neuen Mannschaft erwiesen sich schnell als unbegründet. Der neue Verteidigungsminister Manfred Wörner ließ sofort wissen, daß er im Gegensatz zu seinem sehr gleichgültigen Vorgänger der Pflege der deutsch-französischen Beziehungen in seinem Aufgabenbereich erhebliche Bedeutung beimißt. Seine erste Auslandsreise führte ihn daher schon zehn Tage nach seiner Ernennung in Paris.

Nicht unberechtigt ist ferner die Pariser Hoffnung auf die deutsche Unterstützung einer aktiven Europapolitik. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß das politische Klima in Frankreich hierfür noch nie so günstig gewesen war wie im Augenblick.

Mit Ausnahme der Kommunisten besteht über die zu ergreifenden Schritte völlige Ubereinstimmung zwischen den französischen Parteien. Selbst die Gaullisten haben sich inzwischen mit der Notwendigkeit einer irgendwie gearteten aber noch nicht genau definierten europäischen Verteidigung vertraut gemacht.

Wenn auch die deutsche Ostpolitik Zwängen unterliegt, die Frankreich nicht berühren und sich daher sowohl der deutsche Bundeskanzler wie der für die innerdeutschen Beziehungen zuständige Minister Rainer Barzel zur Kontinuität bekennen, darf doch Paris nunmehr vom deutschen Partner eine etwas härtere Haltung gegenüber Moskau erwarten und hiermit eine Anpassung an seine eigene Politik.

Noch stärker ins Gewicht fällt die Annahme, daß Kohl bei der Verwirklichung der NATO-Nachrüstung auf geringere Schwierigkeiten stoßen wird als sein Vorgänger und daneben ein Rückgang der pazifistischen Welle und vor allem ihres Einflusses auf die deutsche Außen- und Verteidigungspolitik erwartet werden kann.

Entscheidend für das deutschfranzösische Verhältnis ist schließlich das Bewußtsein der gegenseitigen Abhängigkeit. Mitterrand befindet sich in einer äußerst schwierigen Lage. Das Schicksal seines Regimes ist in nicht geringem Maße mit demjenigen des Franc verflochten. In der Isolierung vermag sich heute Frankreich nicht mehr zu behaupten. Es hat nun die Wahl zwischen der Anlehnung an die USA und einer engen Zusammenarbeit mit dem deutschen Nachbarn.

Die deutsche Seite befindet sich ihrerseits in einem nicht gerade angenehmen Schwebezustand zwischen Atlantismus und Pazifismus, mit der Verpflichtung zu einer geschmeidigen Ostpolitik, die einer starken Verwurzelung im Westen nicht im Wege stehen darf.

Die lange üblich gewesene eindeutige Bindung an Amerika ist unter diesen Umständen nicht mehr möglich. Bonn benötigt mehr denn je die europäische Rückendeckung und infolgedessen ein Vertrauensverhältnis zu Frankreich.

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