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Kein Preis für großen Fleiß beim Studieren

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Die Ausschöpfung aller Begabungsreserven hat sich die Bundesregierung bei ihrem “Modernisierungsschub“ für Österreich zum Ziel gesetzt. Das Stipendiensystem nimmt indes in erster Linie auf die soziale Bedürftigkeit Rücksicht. Das Fördersystem gehört ergänzt.

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Die Ausschöpfung aller Begabungsreserven hat sich die Bundesregierung bei ihrem “Modernisierungsschub“ für Österreich zum Ziel gesetzt. Das Stipendiensystem nimmt indes in erster Linie auf die soziale Bedürftigkeit Rücksicht. Das Fördersystem gehört ergänzt.

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„Kein Gemeinwesen kann auf Nachwuchsförderung verzichten“, schrieb Hartmut Rahn, Generalsekretär der „Studienstiftung des deutschen Volkes e. V.“, 1984 in einem Aufsatz über die Zielsetzungen der Stiftung. Schaue man sich in der Welt um, fährt er fort, dann verzichte kein entwickeltes Land - unabhängig von den politischen Systemen — darauf, seine besten Kräfte möglichst früh zu finden und intensiv zu fördern.

Die Geschichte der Universitäten Oxford und Cambridge wie die Errichtung der „Grandes

Ecoles“ in Frankreich, die Spitzenhochschulen in den USA und der amerikanische „Gifted and Talented Children’s Education Act of 1978“, die Scuola Normale Su- periore in Italien, „Wissenschaftsolympiaden“ in kommunistischen Ländern oder schwere Auswahlprüfungen an den kaiserlichen Universitäten Japans — sie alle dienen der Leistungsauslese. Und die Beispiele ließen sich fortsetzen.

Nach diesem Blick über die Grenzen scheint es umso verwunderlicher, daß gerade in Österreich bislang kaum etwas im entsprechenden Ausmaß zur Förderung des eigenen wissenschaftlichen Nachwuchses getan wurde. Auch wenn der Begriff der „Elite“ wie kein zweiter Mißverständnisse, Vorurteile und Feindseligkeiten weckt, dürfen außerordentliche Begabungen deshalb noch lange nicht zugunsten einer breiten Mittelmäßigkeit unberücksichtigt bleiben.

Die Chancen der österreichischen „Elite“ liegen jedenfalls immer noch im Ausland: so finden sich in den Forschungsabteilungen und Chefetagen deutscher Autohersteller und Chemiekon zerne österreichische Spitzenkräfte.

Beklagt man, daß Österreich vor allem den wirtschaftlichen Anschluß an die großen Industrienationen verpasse und kaum mehr aufholen könne, sollte man sich der rund 150.000 Studenten an den wissenschaftlichen Hochschulen, den Fach- und Kunsthochschulen sowie den Akademien erinnern.

Der Staat unterstützt zwar rund 14.400 Studenten (rund zehn Prozent aller Studierenden) mit Beihilfen nach dem „Studienförderungsgesetz“. Aber nicht überdurchschnittliche Leistungen und Begabungen, sondern soziale Bedürftigkeit, gekoppelt an einen „günstigen Studienverlauf“, gelten als Voraussetzung für ihren Bezug. Die monatlichen Zuwendungen bleiben allerdings eher gering.

Der Grundbetrag für Unverheiratete beträgt derzeit 30.000 Schilling, die in zehn gleichen Monatsraten ausbezahlt werden. Unter bestimmten Umständen kann er auf maximal 51.500 Schilling im Studienjahr erhöht werden. Die Studienförderung verringert sich allerdings, wenn der Studierende ein Einkommen hat, von den Eltern Unterhaltsleistungen erhält oder durch andere Stipendien unterstützt wird. Stehen dem Antragsteller aufgrund der Bemessungen weniger als 2.000 Schilling jährlich zu, werden diese nicht mehr ausbezahlt!

Wie der Staat, so orientieren sich auch private Stipendiengeber ausschließlich an sozialen Kriterien bei der Vergabe ihrer Gelder. Seit Einführung der staatlichen Studienbeihilfe im Jahre 1963 hat sich die Zahl der Privatstipendien jedoch verringert. Sie werden größtenteils nur bereitgestellt, wenn der österreichische Staat keine Unterstützung gewährt.

Zu den Financiers zählen unter anderen Arbeiterkammern,

Städte, Firmen und verschiedene Stiftungen. Oft sind ihre Stipendien zusätzlich an bestimmte Studienfächer oder die soziale und/ oder regionale Herkunft der Studenten gebunden:

Der „Verein Studienhilfe Chemie Linz AG“ vergibt seine Stipendien beispielsweise an Kinder von Werksangehörigen sowie an Werksangehörige, die zwecks Aufnahme eines Studiums aus dem Betrieb ausscheiden. Wer ein im Werksinteresse gelegenes Studium betreibt, kann Beihilfe in Form eines Darlehens bei der Voest-Alpine AG beantragen. Von Pharmaziestudenten wiederum, die durch die „Pharmazeuti-

sehe Gehaltskasse für Österreich“ Förderung erhalten, wird nach dem Studium eine vierjährige Beschäftigung in einer öffentlichen inländischen Apotheke oder Anstaltsapotheke verlangt.

Waisen, Kindern von Kriegsversehrten oder Schwerbeschädigten sowie Behinderten steht Beihilfe seitens des Bundesministeriums für soziale Verwaltung, des Oberösterreichischen Kriegsopferverbands, des Salzburger, Tiroler oder Vorarlberger Kriegsopferfonds zu.

Schließlich vergeben die Städte Wien, Krems, Bruck an der Mur, Kapfenberg, Hallein, Salzburg, Kufstein, Bregenz und Dornbirn Stipendien an diejenigen, die ihren Wohnsitz in der jeweiligen Gemeinde haben und österreichische Staatsbürger sind. Ähnlich verfahren auch die Landesregierungen.

Die Arbeiterkammern Wien, Ober- und Niederösterreich, Steiermark, Tirol und Vorarlberg machen ihre Beihilfen von einer Mitgliedschaft der Eltern oder des Studierenden selbst bei der entsprechenden Kammer abhängig.

Bleiben also nur noch die Stiftungen: Die „Julius-Raab-Stif- tung“ stellt die gleichen Bedingungen wie der Staat, ebenso die „Karl-Seitz-Stiftung“, während die „Dr. h. c. Ing. Vinzenz-Schu- my-Stiftung“ Studenten an landwirtschaftlichen Hochschulen und die „Dr.-Wilhelm-Groß-Stif- tung“ Mathematik-Studenten an einer naturwissenschaftlichen Fakultät fördern.

Unter den insgesamt 43 privaten oder kommunalen Stipendien, deren Ziel die finanzielle Unterstützung zur Deckung des Lebensbedarfs ist, treten nicht mehr als zwei Stipendien als echte Begabtenförderung in Erscheinung:

Wer einen sehr guten Studienerfolg nachweist, zudem ein Befürwortungsschreiben eines zuständigen Fachprofessors beibringt und seinen ordentlichen Wohnsitz in der Steiermark hat,

kann vom Amt der Steiermärkischen Landesregierung ein Be- gabtenstipendium beziehen. Ebendieses vergibt auch jährlich fünf „Erzherzog-Johann-(Voll-) Stipendien“ für einen über die gesamte Studiendauer ausgezeichneten Erfolg an Studenten kurz vor dem Abschluß.

Doch ist damit in Österreich schon jenem Grundrecht des „pursuit of happiness“ Rechnung getragen, das erstmals in der amerikanischen Verfassung dem Individuum das Recht zubilligte, seine Anlagen und Möglichkeiten frei zu entfalten und über andere hinauszuwachsen?

Finanzielle Unterstützung hilft zwar, aber Fördern und Fordern kann sich nicht allein auf Geldzuwendungen, die ohnehin im Vergleich mit anderen Ländern sehr knapp bemessen sind, beschränken. 400 Schilling monatlich vom „Institut für Sparkassenwesen Linz“ und erst recht die mageren

1.0 Schilling jährlich, die nicht als Studienbeihilfen, sondern als Sozialbeihilfen der „österreichischen Wohlfahrtsdienst-Studentenhilfe“ deklariert sind, können nur einen Tropfen auf den heißen Stein bedeuten. Und diese Beträge stellen die Regel und nicht die Ausnahme in der österreichischen Begabtenförderung dar.

Wenn aber bereits die Bereitschaft und die Mittel für eine umfassende finanzielle Unterstützung fehlen, wie kann man dann erwarten, daß einem Stipendium darüber hinaus noch ein anderer Sinn zugedacht wird?

Erst der offene Austausch mit Älteren, Gleichaltrigen und Jüngeren, besonders im Rahmen akademischer, außeruniversitärer Veranstaltungen, die der Anonymität vieler Hochschulen entgegenwirken, die Verstärkung des persönlichen Kontakts zwischen Studenten und Hochschullehrern und die individuelle Betreuung durch diese ermöglichen dem hochbegabten Studenten die volle Entfaltung seiner Kräfte.

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