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Kein Satellit der Schweiz
Österreich hat zwangsläufig, als wir uns 1955 zur immerwährenden Neutralität bekannten, nach der Schweiz geschaut.
Nicht nur deswegen, weil wir uns im Moskauer Memorandum das Einverständnis der Sowjetunion geben ließen, daß wir eine Neutralität nach dem Muster der Schweiz - also sicher keine Neutralität im Sinne eines Neutralismus - wollen, sondern auch deswegen, weil Tür uns tatsächlich, ohne Erfahrungen einer Neutralitätspolitik, die Schweiz eine Art Mekka für die Neutralität gewesen ist.
Als einer jener, die damals in der praktischen Arbeit am Schreibtisch verschiedene Entscheidungen für die österreichische Neutralitätspolitik vorbereitet haben, kann ich versichern, daß wir in den ersten Monaten vor unseren Entscheidungen immer wieder die geschichtlichen Bücher der Schweiz und die Schweizer Neutralitätsdoktrin zur Hand genommen und nachgesehen haben, wie die Schweiz in einem ähnlichen Fall gehandelt hat.
Aber sehr früh haben wir festgestellt, daß dann, wenn man die Neutralität als Mittel zur Bewahrung der Unabhängigkeit verstehen will, auch eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber einem anderen neutralen Staat gegeben sein muß. Dann darf man auch nicht gegenüber einem anderen Neutralen in eine Art Satellitendasein geraten.
Diesen Weg hat die Tatsache gefördert, daß Österreich - zum Unterschied von der Schweiz - im Dezember 1955 in die Vereinten Nationen aufgenommen wurde und kurze Zeit später dem Europarat beigetreten ist, ebenso im Gegensatz zur Politik der Schweiz.
Damit haben sich nun zwangsläufig für Österreich auch andere Momente und andere Herausforderungen in der Neutralitätspolitik ergeben.
Gerade die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen war für uns deshalb so wesentlich, weil wir dadurch in der Welt wieder bekannt wurden. Die Welt nimmt ja ungemein schnell zur Kenntnis, daß jemand von der Landkarte weg ist. Der Sinn für die Realitäten ist ungeheuer groß, wir haben das immer erlebt und erleben es bis in unsere Tage.
Die Vereinten Nationen haben uns geholfen, in der Welt wieder präsent zu werden. Daher auch nicht nur unsere Mitgliedschaft, sondern auch unsere Mitarbeit in den Vereinten Nationen, das war das erste, was Außenminister Leopold Figl bei der Aufnahmesitzung im Dezember 1955 in New York erklärt hat.
Und dann kam für Österreich als nächste Herausforderung der Neutralität und der Neutralitätspolitik der Einmarsch der Sowjetunion nach Ungarn. Hier sah sich Österreich, mit einer kaum ein Jahr alten Neutralität, einer Situation gegenüber, wie sie ähnlich noch gar nie dagewesen war.
Damals haben wir den Grundstein dafür gelegt, daß das, was Österreich als politische Maxime verfolgen wollte, in der Welt auch tatsächlich als Neutralität, als staatliche Neutralität und nicht als Gesinnungsneutralität anerkannt wurde.
Da hat jeder, der sehen konnte oder wollte, gesehen, daß es uns zwar darum zu tun ist, unsere staatliche Unabhängigkeit zu bewahren, daß wir aber klar zu den Dingen Stellung nehmen, so wie sie unserer Auffassung vom Wert des Menschen in der Politik und im Staat entsprechen.
Gerade durch diese Haltung Österreichs in der sogenannten Ungarnkrise hat auch die österreichische Neutralität eine stärkere Anerkennung gefunden als vielleicht vorerst durch Verbalnoten, mit denen unsere Neutralität offiziell anerkannt wurde.
Durch diese Haltung Österreichs hat darüber hinaus die Neutralität auch nach Osten jene Form angenommen, die dann auch - mehr oder minder - als eine Gegebenheit zur Kenntnis genommen wurde. Und ich meine damit vor allem auch das Asylrecht, das wir in unsere Neutralität eingebettet haben.
Dieser Beitrag ist auszugsweise einer Stellungnahme des Bundespräsidenten am 10. Dezember vor dem Liberalen Klub zum Thema „Neutralität und Neutralismus" entnommen; die Tonbandabschrift wurde vom Autor weder durchgesehen noch korrigiert.
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