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Kein schöner Herbst

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Wenn man all das zusammenrechnet, was zum Saisonschluß in der österreichischen Innenpolitik an offenen Problemen liegengeblieben ist, muß man sich fragen, wann das wohl alles erledigt werden soll. Der Rückstand in den Parlamentsausschüssen ist gigantisch, und die Parteiengespräche zwischen SPÖ und ÖVP haben überhaupt keine Klärung wichtiger Fragen gebracht.

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Wenn man all das zusammenrechnet, was zum Saisonschluß in der österreichischen Innenpolitik an offenen Problemen liegengeblieben ist, muß man sich fragen, wann das wohl alles erledigt werden soll. Der Rückstand in den Parlamentsausschüssen ist gigantisch, und die Parteiengespräche zwischen SPÖ und ÖVP haben überhaupt keine Klärung wichtiger Fragen gebracht.

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Es entsteht eher der Eindruck, daß der Probleme immer mehr werden und daß ihre Unüberwindlichkeit immer öfter zum Ausdruck kommt. Gerade so vordergründige politische Materien wie das Projekt UNO-City in Wien oder die Novelle zum Rundfunkgesetz, Fragen, die seit langem geradezu im Zentrum der Parteienpolemik standen, sind so ungelöst | wie eh und je. Auch nach den Aus- : sprachen zwischen den Spitzenvertretern der beiden Großparteien. So rätseln denn Beobachter, was den Bundeskanzler wohl veranlaßt haben mag, diese Gespräche zu initiieren. Wollte er all die Fragen wirklich nur vor dem Sommer durch Parteienverhandlungen so weit außer Streit stellen, daß sie nicht als Wahlkampfmunition für den 21. Oktober verwendet werden können? Oder wollte er der ÖVP den Schwarzen Peter zuspielen?

Es braucht bloß die SPÖ-Partei-propaganda — so ähnlich wie beim Assanierungs- und Bodenbeschaffungsgesetz — der Bevölkerung die geplante Einrichtung des „Ombudsmannes“ so schmackhaft machen, daß jede Ablehnung durch die ÖVP — mit was für sachlichen Gründen auch immer — die Partei als altmodisch, rückschrittlich oder gar als obrig-keitsbezogen erscheinen läßt. Und nachdem schon alle, die es wissen müssen, den beiden Wahlgängen in Wien und Oberösterreich den Charakter von Testwahlen für die Bundespolitik beigemessen haben, wäre eine solche Taktik des Bundeskanzlers und SPÖ-VorSitzenden auch im Lacht der Wahlkämpfe erklärbar.

Daß er bei seinen Plänen zur Novellierung des Rundfunkgesetzes keinerlei Succurs von ÖVP-Seite erwarten kann, dürfte sich Dr. Kreisky bereits ausgerechnet haben. Trotzdem machte er auch das zum Gegenstand von Parteiengesprächen mit der großen Oppositionspartei — vielleicht, um ebenfalls zu unterstreichen, daß die ÖVP seinen „Reformen“ nicht zugeneigt ist.

Blicken die Parlamentsabgeordneten auf die Früh Jahrssession zurück, so ist die Bilanz eher traurig: Weit mehr als 100 Vorlagen sind in den Ausschüssen liegengeblieben, die Zahl der erledigten Vorlagen.ist daher stark zurückgegangen, eine Tatsache, an der nicht einmal Präsident Benya bei der traditionellen Schlußansprache in der letzten Plenarsitzung des Nationalrates vorbeisehen konnte. Sichtet man die Jlückstähde, so fal< len vor allem auf: das Strafgesetz, die Arbeitsverfassung, die Volksanwaltschaft, das Ausschreibungsgesetz, aber auch die Reform des Haushalts- und Budgetrechtes. Der Finanzausschuß hat die Arbeiten an dem Gesetzespaket, bestehend aus Haushaltsrecht, Schaffung eines Bundesrechenamtes und Vereinheitlichung der Subventionsrichtlinien noch gar nicht richtig begonnen. Auch die Bearbeitung der Subventionsberichte für die Jahre 1970 und 1971 läßt auf sich warten.

Den Rekord an Arbeitsüberlastung freilich hält der Justizausschuß. Er ist ja nach wie vor durch die ungelösten Probleme der Strafrechtsreform, vor allem, was die Neuformulierung der Abtreibungsbestimmungen betrifft, blockiert. Trotzdem hat Justizminister Dr. Broda unbekümmert eine Lawine von Gesetzentwürfen dem Parlament zugeleitet, die vorerst einmal auf der „langen Bank“ landen werden, wenngleich es sich dabei um wichtige Fragen handelt: das Gesetz über die persönlichen Rechtswirkungen der Ehe, ein Gesetz über die Bauordnung, ferner eine Novelle zum Gesetz über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, das &#9632; analog i zu den Aktiengesellschaften ebenfalls die Drittelvertretung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten vorsieht, und einige strafrechtliche Nebengesetze. Dabei liegen im Justizausschuß noch von früher genügend unbearbeitete Vorlagen: ehe- und familienrechtliche Vorschriften, wie etwa die Neuordnung der Rechtsstellung des ehelichen Kindes, die Neuregelung des gesetzlichen Erbrechtes von Ehegatten und des ehelichen Güterstandes, dann weiter Novellen zum Pressegesetz und zum Journalistengesetz und auch das Wohnungseigentumsgesetz 1972.

Große Arbeitsrückstände gibt es auch im Unterrichtsausschuß. Hier liegen: das Schulunterrichtsgesetz und die lange umstrittene 5. Schul-organisationsgesetznovelle und ein Gesetz, mit dem eigene Schulen zur Ausbildung von Sportlehrern geschaffen werden sollen. Heiße Eisen sind noch das Lebensmittelgesetz sowie das Assanierungs- und Bodenbeschaffungsgesetz. Fragt man Realisten innerhalb der Parlamentsfraktionen, was denn außer dem Budget 1973 im Herbst noch über die parlamentarische Bühne gehen könnte, so erhält man zur Antwort: Arbeitsverfassung und Gewerbeordnung.

Wie sehr die beiden Wahlgänge in Wien und Oberösterreich am 21. Oktober die weitere Parlamentsarbeit beeinflussen könnten, hat ÖVP-Klubobmann Professor Koren bei einem Pressegespräch zum Ende der Frühjahrssession des Nationalrates hervorgehoben: Sollte sich in diesen beiden Bundesländern auch nur eine kleine Verschiebung im politischen Kräfteverhältnis ergeben, könnten sich auch die Mehrheitsverhältnisse in der zweiten Karmmer des Parlaments, im Bundesrat, zugunsten der Volkspartei verschieben. In der derzeitigen Konstellation ist der Bundesrat ja lediglich eine Abstimmungsmaschinerie zur verfassungsmäßigen Durchführung des Gesetzgebungsvorganges. Stellt aber die ÖVP die Bundesratsmehrheit, so hat sie dort zumindest die Möglichkeit, gegen Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates, die ohne ihre Zustimmung zustandegekommen sind, in der Länderkammer Einspruch zu erheben. Der Nationalrat muß dann einen Beharrungsbeschluß fassen, und so ist das Zustandekommen eines Gesetzes hinausgeschoben. Das ist freilich nicht mehr als eine Demonstration, verlängert aber die Möglichkeit der poltischen Propaganda.

Wie sagt der Dichter Georg Trakl über den Herbst? „Es ist der Liebe milde Zeit...“ In der Innenpolitik dürfte es nicht so werden.

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