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Kein Schulterklopfen

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Einen Vorgeschmack der Ereignisse des Parteitages der KPTsch lieferte Gustav Husäk schon Ende März 1976. Demonstrativ blieb er dem Parteitag der slowakischen KP fern, entschuldigte sich wegen Grippe und ging dennoch ungerührt seinen Amtsgeschäften in Prag nach. Unter anderem empfing er den japanischen Botschafter zu Konsultationen. Der slowakische Parteiführer Jozef Lennart reagierte entsprechend sauer. Während des Hauptreferates vor dem Plenum ritt er keinen der gegenwärtig so beliebten Angriffe auf „Oppositionelle“ und „Dubcekisten“ und brach zwei Tage später — einen Tag früher als geplant — seine Veranstaltungen in Preßburg ab. Nicht nur, daß keiner der Prager Führer — zumindest Va-sil Biläk hatte man ewartet — es der Mühe wert befunden hatte, an die Donau zu reisen, proklamierte Husäk in Prag inoffiziell noch einmal die „Schachteltheorie“: Das kleinere Staatsvolk der Slowaken möge in seiner Schachtel bleiben, ohnehin sei man in der Prager Führungsspitze überrepräsentiert. Durch Husäk, Strougal und Biläk.

Der Eklat von Preßburg, zwei Wochen vor Beginn der Husäk-Show in Prag, war charakteristisch für jenen Führungsstil, mit dem die Satrapenregierung auf dem Hradschin das Trauma von 1968 zu überwinden gedenkt. In politisch schizöohrener Manier, mit Zuckerbrot und Peitsche, („Wir sind ohnedies an der Macht“

... aber wir zeigen es nicht“), mit „divide et impera“. Für die meisten Tschechen und Slowaken bedeuteten die Jahre unter Husäk eine Periode physischen Wohlbefindens bei gleichzeitiger geistiger Aushungerung. Trotz einer Regierungszeit von nun bald acht Jahren ist sich das Regime weder seiner selbst noch seiner Untertanen sicher. „Normalisierung“ wurde nur im negativen Sinne zum “Erfolg — in der Auslöschung der Gedankenfreiheit, des geistigen Spielraums, der politischen und ökonomischen Diskussion. Zur Konsolidierung hat sie bisher nicht geführt.

Aber Husäk und Genossen haben gelernt, sich mit Minimalerfolgen zufriedenzugeben. Die KPTsch hat innerhalb der Bevölkerung weniger echte Anhängerschaft als irgendeine andere kommunistische Partei in Osteuropa — und die Parteispitze weiß das. Die Frage, ob man in dieser Art weiterexistieren könne, teilt die politischen Gruppierungen der CSSR in drei Fraktionen: Dogma ti-ker pflegen zu antworten, man könne so weitertun, falls es notwendig sei. Realistischere Funktionäre hingegen sind sich dessen bewußt, daß man eine solche Fragestellung überhaupt negieren müßte und stattdessen mehr Rückendeckung im Volk suchen sollte. Diese „gemäßigte Linie“ kann wieder unterteilt werden. In eine größere Gruppe, die sich in inneres Exil und Resignation zurückzieht, und in eine Minorität, die

aktiv für Entspannungsmaßnahmen eintritt. Nur in dieser dritten Gruppe, deren Mitglieder nicht leicht zu identifizieren sind, liegt die Hoffnung für Staat und Partei.

Gustav Husäk ist nicht leicht in einer dieser Kategorien unterzubringen. Zu zwiespältig sind die von ihm gesetzten Maßnahmen und Akzente, zu wenig ist über die Effizienz seiner Initiativen bekannt, zu ungenau sind die Grenzen seiner Macht und Ohnmacht für den Außenstehenden erkennbar. Diverse Vorgeplänkel des KPTsch-Parteitages liefern dafür Indizien.

Zum Jahreswechsel 1975/1976 erhielten die prominenten Dissidenten Ludvik Vaculik („Manifest der 2000 Worte“), Karel Kosik (Dialog mit Jean-Paul Sartre) und Venek Silhan, der ehemalige Stellvertreter Dub-ceks, einen Großteil ihrer bei-Polizeirazzien im April 1975 beschlagnahmten Manuskripte zurück. Diesem „Weihnachtsgeschenk“ folgten Ende Jänner Vorladungen zur Geheimpolizei STB; die Aufforderung, Dokumente zu unterzeichnen, widrigenfalls ihre Tätigkeit als „staatsgefährdend“ anzusehen sei und ähnliche Pressionen mehr. Schließlich wurde ein gewisser Pavel Minafik aus dem Hut gezaubert, der in „Enthüllungsmanier““ vor den Kameras des Prager Fernsehens zum Teil geschickte Fälschungen von Briefen und Dokumenten präsentierte, die er angeblich seiner Tätigkeit als Sprecher(l) beim amerikanischen Sender „Radio Free Europe“ in München gesammelt hatte. Der selbsternannte „STB-Hauptmann“ Minafik lieferte den Dogmatikern um Biläk die langersehnten „Beweise“ für die Behauptung, Dubcek, Kriegel, Vaculik, Havel und andere stünden „im Sold der CIA“. Welches Gewicht man den Aussagen dieses Kriminellen zumaß, zeigte die Tatsache, daß man selbst den in absoluter Isolation lebenden Alexander Dubcek vor kurzem wieder zum Verhör zerrte. Als Husäk um Mäßi-

gung in der reichlich dubiosen Mi-nafik-Sache bat, wurde er von Biläk und Indra heftig zurechtgewiesen.

Gleichzeitig streute man Gerüchte schon länger aus, es könnten nach 1968 „gesäuberte“ Parteimitglieder mit ihrer Rehabilitation rechnen. Die jetzt großartig verkündete Amnestie gilt freilich nicht für alle. Elena Schrenkovä, der Frau des seit zweieinhalb Jahren in Ostrau inhaftierten ehemaligen Husäk-Promotors und Universitätsrektors Milan Hübl, teilte man unter der Hand mit, solche Maßnahmen könnten bei ihrem Mann selbverständlich nicht in Frage kommen. Milan Hübl, der in der Haft mehr als vierzig Pfund verloren hat, darf weder Besuche seiner Familienangehörigen empfangen, noch' Pakete entgegennehmen.

„Dabei war er es, der in den kritischen Tagen von 1968 den angeblichen Kompromißler Husäk in einer persönlichen Kampagne den anderen, eher skeptischen ZK-Mitgliedern empfohlen hatte. Aber Husäk mag Dankbarkeit gegenüber alten Freunden nicht. Er verträgt es nicht, wenn ihm, dem großen Staatsmann, jemand auf die Schulter klopfen könnte.“ So charakterisiert der frühere Husäk-Intimus Jifi Pelikan — er lebt heute im Exil in Rom — eine der wichtigsten Persönlichkeitsmerkmale des Parteichefs.

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