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Kein schweigender Papst

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Das ganze Ausmaß des Beitrages Papst Pauls VI. zum jetzt unterzeichneten Waffenstillstandsabkommen für Vietnam wird sich erst beschreiben lassen, wenn die vatikanischen Geheimarchive geöffnet werden. Unter den Adressaten der Korrespondenz der letzten Jahre werden jedoch ohne Zweifel Namen wie Johnson, Nixon, Gromyko, Podgorny, Ho Chi Minh, Mao Tse-tung, General Ky und Van Thieu nicht fehlen. Appelle, Gespräche, diplomatische Initiativen und Geheimnoten, oft über (Ungewöhnliche Kanäle. Aber auch das, was davon öffentlich ist, scheint den Satz zu bestätigen, den Paul VI. am 8. Jänner 1966 zu den beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomaten sagte: „Gott ist mein Zeuge, daß Wir bereit sind, alle Schritte zu versuchen, alle Schritte zu versuchen."

Die beiden ersten Jahre des Pon-tifikats Pauls VI. seit 1963 fallen zusammen mit einer Verschärfung des Vietnamkonflikts durch den Sturz der Regierung Diem und die Offensive nördlich des 17. Breitengrades. Vietnam wird zum „Krisenherd Nummer eins" in der Welt. Der Papst versucht, auf diplomatischen Wege zu vermitteln. „Wir sind dabei, über vertrauliche Kontakte die Vertreter der beteiligten Regierungen selbst zu einem ehrenvollen Frieden zu bewegen", schreibt er in einem Brief an die Bischöfe Vietnams. Das Jahr 1965 bringt nach einigen Vietkong-Angriffen auf amerikanische Militärbasen in Südvietnam eine Eskalation des Krieges. Bomben fallen auch auf Nordvietnam. Vergeblich ruft der Papst vor den Vereinten Nationen in New York die Völker der Welt auf: „Niemals mehr die einen gegen die anderen, niemals mehr." Bei dieser Gelegenheit trifft er mit dem sowjetischen Außenminister Gromyko zusammen. Mit Präsident Johnson führt er ein einstündiges Gespräch im Waldorf-Astoria-Hotel. Im Dezember desselben Jahres richtet Paul VI. einen Appell zur Feuereinstellung während der Weihnachtsfesttage an die kriegführenden Mächte. 30 Stunden lang schweigen die Waffen. Der Papst dankt in gleichlautenden Telegrammen an Ho Chi Minh und Van Thieu. Zum Jahreswechsel schickt er Botschaften nach Saigon und Hanoi, nach Washington, Moskau und Peking: eine ungewöhnliche diplomatische Initiative, denn mit den Russen, den Chinesen und den Nordvietnamesen unterhält der Heilige Stuhl keine diplomatischen Beziehungen. Vor italienischen Journalisten rechtfertigt der Papst den Versuch: „Wir taten dies aus einem Herzen, das keine Vorurteile kennt, nur Liebe zu allen Menschen." Sein Vorschlag, den er dabei erläutert: ein Vermittlungsrat von neutralen Nationen unter Führung der UNO.

Durch die Wiederaufnahme der Bombardierungen, zum erstenmal auch auf Hanoi, werden die Hoffnungen der Welt auf einen Frieden in Fernost einmal mehr zu Beginn des Jahres 1966 enttäuscht. Man fürchtet um das Schicksal der amerikanischen Piloten. Am 20. Juli 1966 wendet sich der Papst an die Regierung von Hanoi und bittet für sie „um eine Behandlung nach den internationalen Normen für Kriegsgefangene". Ende des Sommers ruft der Papst die ganze Kirche zum Gebet für den Frieden in Vietnam auf. Zu Weihnachten erneute kurze Waffenruhe. Diesmal 50 Stunden lang. „Mehr als von einer unglücklichen Verkettung von Umständen, die vielleicht die Ursache sind, hängt die Fortsetzung des Krieges vom guten Willen der gegnerischen Parteien ab", sagt der Papst in seiner Weihnachtsbotschaft. Auf Einladung des Internationalen Roten Kreuzes begibt sich der Präsident der deutschen Caritas, Msgr. Georg Hüssler, nach Nordvietnam. Ho Chi Minh am 10. Jänner vor seinen Gästen: „Ich weiß von der Menschlichkeit des Papstes, der seinen Feind wie seinen Bruder liebt." Nach seiner Rückkehr informiert Hüssler den Papst persönlich über seine Gespräche in der nordvietnamesischen Hauptstadt. Im Mai empfängt Paul VI. eine Gruppe vietnamesischer Pilger. „Der Papst liebt Vietnam, ganz Vietnam, das des Nordens und das des Südens", versichert er ihnen. Erneute Appelle des Papstes ergehen an beide Seiten, von der Gewalt abzulassen. Am 15. Dezember ruft er zum erstenmal dazu auf, den 1. Jänner als Welttag des Friedens zu begehen. Am 22. Dezember berichtet er vor den Kardinälen von einer Intervention in Washington zur Einstellung der Bombardierungen. Am 23. Dezember empfängt er in Rom den amerikanischen Präsidenten Johnson. Nach diesem Gespräch verstärkte Kontakte vatikanischer Diplomaten innerhalb und außerhalb Europas. Ein Mitglied der Nuntiatur überreicht dem Vertreter Nordvietnams in Paris persönlich die Botschaft des Papstes zum Weltfriedenstag.

Am 5. Mai 1968 eröffnet der Papst seinen Zuhörern auf dem Petersplatz, daß er den Lateranpalast für die Friedensverhandlungen zwischen Amerikanern und Nordvietnamesen angeboten habe. Diese beginnen endlich Anfang des Jahres 1969 in Paris. Die Wünsche für einen erfolgreichen Verlauf äußert der Papst in Telegrammen nach Washington, Saigon und Hanoi. Wegen der in Gang befindlichen Verhandlungen werden öffentliche Stellungnahmen des Papstes immer seltener, um so häufiger direkte Kontakte. Nacheinander empfängt er im Vatikan den amerikanischen Präsidenten Nixon, den Außenminister der Regierung in Saigon, den sowjetischen Außenminister Gromyko und den jugoslawischen Staatspräsidenten Tito. Am 24. Februar 1971 kommt es zu einer Begegnung zwischen dem Außenminister der Revolutionsregierumg, Frau Binh, und dem „Außenminister" des Vatikans, Erzbischof Agostino Casa-roli, im Kloster der Herz-Jesu-Schwestern in Rom. Während seiner Fernostreise hatte der Papst Botschaften an Nord- und Südvietnam gesandt. Bitterkeit spricht aus seinen Worten, als sich die Situation durch die Verminung der nordvietnamesischen Häfen durch die Amerikaner erneut verschlechtert. Am 9. Juli 1972 fordert er „einen schnellen und loyalen Abschluß der Friedensverhandlungen. Das gleiche wiederholt er dem amerikanischen Außenminister Rogers gegenüber, den er in Audienz empfängt. Uber den Nuntius in Paris läßt er eine Note an die Chefs der vier Verhandlungsdelegationen ergehen. In den letzten Monaten des Jahres 1972, während des dramatischen Hin und Her der Pariser Verhandlungen teilt der Papst mit der ganzen Welt den Schmerz und die Bestürzung über die erneuten Leiden des schwergeprüften vietnamesischen Volkes.

Wie anfangs erwähnt: diese Chronik kann nicht den vollständigen Beitrag enthalten, den Papst Paul VI. zum Friedensschluß in Vietnam geleistet hat. Sie scheint jedoch ausreichend, um von seinem „Mut zum Frieden" Zeugnis zu geben. Von diesem Papst kann keiner sagen, er habe geschwiegen.

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