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Kein Snob der Armut

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Die Militärdiktatur, die Brasilien seit 1964 beherrscht, hat kaum einen wirksameren Feind als Dom Helder Camara. Dieser kleine, asketisch wirkende Erzbischof aus dem nordöstlichen Hungergebiet Brasiliens ist ein Fanatiker der sozialen Gerechtigkeit. Er hat das pompöse Bischofspalais in Recife geschlossen, hält sich keinen Priester als Kammerdiener und haust mit einer Köchin und einer bebrillten, mürrischen Bedienerin namens Maria in drei Räumen.

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Die Militärdiktatur, die Brasilien seit 1964 beherrscht, hat kaum einen wirksameren Feind als Dom Helder Camara. Dieser kleine, asketisch wirkende Erzbischof aus dem nordöstlichen Hungergebiet Brasiliens ist ein Fanatiker der sozialen Gerechtigkeit. Er hat das pompöse Bischofspalais in Recife geschlossen, hält sich keinen Priester als Kammerdiener und haust mit einer Köchin und einer bebrillten, mürrischen Bedienerin namens Maria in drei Räumen.

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Seine Tür steht Ratsuchenden Tag und Nacht offen. „Der Hunger bittet nicht um Audienz", sagte er. Er hat die Autos, die dem Erzbischof zukommen, verkauft, weist aber die Vorwürfe, daß er aus Demagogie arm erscheinen wolle, mit der Bemerkung zurück: „Wenn mich jemand im Rolls-Royce mitnimmt, fahre ich mit. Ich bin kein Snob der Armut."

Er wurde 1909 in Fortalezy, der Hauptstadt des Staates Cearä (Nordostbrasilien), geboren. Sein Vater war Buchhalter, seine Mutter Lehrerin; er war Freimaurer, sie fromm-katholisch. Sie hatten 13 Kinder, von denen nur vier überlebten. Helders größter Feind, der Soziologe Gilberto Freyre, hat ihn den „brasilianischen Dr. Goebbels" genannt. In der Tat arbeitete er in den sechs Jahren, in denen er, ab 1939, Priester in Cearä war, mit dem Führer der „Integralisten" — der Grünhemden — Plinio Saigado, dem „Hitler Brasiliens", zusammen — eine „Jungendsünde", die er heute aber bitter bereut.

Jahrzehntelang wirkte er dann in Rio de Janeiro. Dort sah er das Elend in den „Favelas" und organisierte Sozialhilfe. 1950 fuhr er nach Rom. Er wollte seine Idee verwirklichen: Um die Kraft der Kirche zu stärken, schlug er regelmäßige Zusammenkünfte der Bischöfe Brasiliens und Lateinamerikas vor. Der Staatssekretär des Vatikans, Monsignore Montini, empfing ihn und ließ sich überzeugen. Nachdem Montini als Paul VI. Papst geworden war, schuf er die „CELAM" („Consejo Episcopal Latino-americano". Lateinamerikanischer

Bischofsrat). Die CELAM wurde zum einflußreichsten Organ der lateinamerikanischen Kirche, besonders auf politischer Ebene. Als Dom Helder 1964 Paul VI. besuchte, soll dieser ihn zärtlich umarmt und mit den Worten „Guten Tag, mein kommunistischer Erzbischof, wie geht es Ihnen?" begrüßt haben, woraufhin seine Antwort, wenn man „Le Monde" glauben darf, „Guten Tag, kommunistischer Papst, wie geht es Ihnen?" gelautet haben soll.

Kein brasilianischer Priester kämpfte und kämpft so leidenschaftlich wie er für eine schnelle Änderung der aus der Kolonialzeit erhaltenen Agrarstrukturen, der Ursache des Hungers von Millionen, und gegen die Willkür der brasilianischen Gestapo und ihre Foltermethoden. Die Latifundienbesitzer und die Generäle der harten Linie revanchieren sich. Sogar der Gouverneur von Sao Paulo, Robert Abreu Sodre, erklärte öffentlich (im Oktober 1970): „Helder Camara gehört zur Propagandamaschine der Kommunistischen Partei und wird subventioniert, um den Namen Brasiliens im Ausland zu verunglimpfen."

Das war sogar dem wichtigsten Gegner Dom Helders innerhalb der Kirche, dem Erzbischof von Diamantina, Dom Sigaud, zuviel. Er verlangte Beweise. Dabei hat Dom Helder unzählige Male gesagt und geschrieben, daß er den Kommunismus ebenso ablehne wie den Kapitalismus. „Aber es ist allgemein üblich, den, der sich um die Hebung des menschlichen Niveaus, um Bewußtseinsbildung und Gerechtigkeit bemüht, als Aufrührer ijnd Kommunisten anzuklagen", sagte Dom Helder in einem Interview mit der chilenischen Zeitschrift „Ercilla" (siehe dazu Seite 9).

Man hat ihn den Fidel Castro oder den Guerrillero der Kirche genannt, aber er lehnt die Gewalt ab, weil sie nur neue erzeuge, und sagt, daß er lieber ermordet als Mörder sein wolle. Tatsächlich hat man ihm nahestehende Priester umgebracht und ihn selbst oft mit dem Tode bedroht. Nun kämpft er vor allem mit seiner pressure group namens „Aktion Gerechtigkeit und Frieden" einerseits gegen die Ausbeutung der Landbevölkerung und anderseits für die Wiederherstellung des Rechtsstaates.

Ein großer Teil der brasilianischen Bischöfe ist auf seiner Seite. Er ist eine so starke Macht, daß die Präsidenten der Müitärregierung, Castelo Branco und Costa e Silva, den Dialog mit ihm suchten und auch Verfechter der „harten Linie" es nicht wagen, ihn „auszuschalten", zumal der bloße Antrag, ihm den Friedensnobelpreis zu verleihen, außerordentliches Echo gefunden hat.

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