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KEIN SPIELBALL DER MEINUNG ANDERER

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Er war keiner, der bloß seine Pflicht tun wollte und sich dabei auf Befehlsnotstand berief. Dafür bezahlte er mit dem Tod. Sein Zeugnis ist bis heute ein Stachel in allen bequemen Gewissen.

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Er war keiner, der bloß seine Pflicht tun wollte und sich dabei auf Befehlsnotstand berief. Dafür bezahlte er mit dem Tod. Sein Zeugnis ist bis heute ein Stachel in allen bequemen Gewissen.

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Am 20. Mai 1907 bringt die ledige Bauernmagd Rosalia Huber in St. Radegund einen Sohn Franz zur Welt. Sie und der Kindesvater waren als Dienstboten zu arm, um heiraten zu können. Das Kind wird von seiner Großmutter, einer armen, aber liebevollen und vielseitig interessierten Frau betreut. Franz besucht sieben Jahre lang die einklassige Volksschule St. Radegund. 1917 heiratet die Mutter den Bauern Heinrich Jägerstätter und kann den Buben zu sich nehmen; der Mann adoptiert das Kind seiner Frau und gibt ihm den Namen „Jägerstätter”. Auf dem Bauernhof gab es nicht nur endlich genug zu essen, der kleine Franzi kam auch mit Büchern in Kontakt und wurde zum begeisterten Leser. Seinem Patensohn gibt er später eine Art Lebensregel: „Wer nichts liest, wird sich nie so richtig auf die eigenen Füße stellen können, wird nur zu leicht zum Spielball der Meinung anderer.” Als Zwan-zigj ähriger arbeitet Franz für drei Jahre im steirischen Eisenerz.

Dem Nationalsozialismus stand Franz Jägerstätter von Anfang an ablehnend gegenüber. Er verweigerte den Hitlergruß und Spenden für die Partei. Obwohl seine Gegnerschaft bekannt war, wurde er vom Bürgermeister von St. Radegund zweimal aus dem Militärdienst herausgeholt; eine Denunziation an die Gestapo wurde von diesem ebenfalls verhindert.

Angriff und Verteidigung

Für Franz Jägerstätter war jedoch nicht nur die Unterstützung der NSDAP eine Gewissensfrage, sondern auch das Mitkämpfen in der deutschen Wehrmacht in dem von Deutschland begonnenen Krieg. Mitzukämpfen, daß Hitler die ganze Welt beherrschen könne, betrachtete er als schwere persönliche Schuld. Auch der Krieg gegen Rußland war für ihn keine Gewissensentlastung. Franz schreibt: „... Was bekämpft man in diesem Lande, den Bolschewismus - oder das russische Volk?... Wenn man ein wenig in der Geschichte Rückschau hält, so muß man immer wieder fast dasselbe feststellen: Hat ein Herrscher ein anderes Land mit Krieg überfallen, so sind sie gewöhnlich nicht in das Land eingebrochen, um sie zu bessern oder ihnen vielleicht etwas zu schenken, sondern sich für gewöhnlich etwas zu holen... Denn kämpfte man bloß gegen den Bolschewismus, so dürften doch diese andren Sachen wie Erze, Ölquellen oder ein guter Getreideboden doch gar nicht so stark in Frage kommen.”

Verwandte, befreundete Priester, selbst Bischof Fließer, den Jägerstätter in seinem Gewissenskonflikt konsultierte, versuchten ihn von der Kriegsdienstverweigerung abzuhalten unter Hinweis auf seine größere Verantwortung der Familie gegenüber. Niemand konnte jedoch Jägerstätter eine befriedigende Antwort geben auf Fragen, die unter anderem lauteten:

„Welcher Katholik getraut sich, diese Raubzüge, die Deutschland schon in mehreren Ländern unternommen hat und noch immer weiterführt, für einen gerechten und heiligen Krieg zu erklären?

Wer traut sich zu behaupten, daß vom deutschen Volk in diesem Kriege nur einer die Verantwortung trägt, weshalb mußten dann noch so viele Millionen Deutscher ihr ,Ja' oder ,Nein' hergeben?...

Kann man es einem heute noch zum Vorwurf machen, daß man keine Vaterlandsliebe mehr hat? Haben wir denn überhaupt auf dieser Welt noch ein Vaterland? Denn wenn ein Land mein Vaterland sein soll, so darf es für mich nicht bloß Pflichten geben, sondern man muß auch Rechte besitzen, hat man das aber heute bei uns noch? Wird einer ausbildungsunfähig und würde vielleicht dem Staate zur Last fallen, was macht man denn mit solchen? Wäre so ein Vaterland überhaupt noch eine Verteidigung wert, von der ja ohnedies nicht die Rede sein kann, denn Deutschland wurde ja von niemand überfallen. Einmal glaub ich, hätten wir wohl noch ein Verteidigungsrecht gehabt und zwar als wir vor vier Jahren noch Österreicher waren.”

Formen des Widerstandes

Franz Jägerstätter hatte keinerlei Kontakt zu Gruppen oder Einzelpersonen des Widerstandes. Nach seiner Einberufung stellte er sich am 1. März 1943 der Militärbehörde in Erms und sprach seine Kriegsdienstverweigerung aus. März und April war er in

Linz inhaftiert. Erst im Gefängnis erfuhr er, daß auch andere den Kriegsdienst verweigerten und von weiteren Formen des Widerstandes. Er bittet darum, zum Sanitätsdienst zugelassen zu werden. Anfang Mai 1943 wurde Franz Jägerstätter an das Reichskriegsgericht nach Berlin überstellt. Vor dessen 2. Senat unter Werner Lueben fand am 6. Juli die Hauptverhandlung statt. Franz Jägerstätter wird „wegen Zersetzung der Wehrkraft zum Tode sowie zum Verlust der Wehrwürdigkeit und der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt”.

Seit 1990 ist im Prager Militärarchiv das Urteil im Fall Jägerstätter zugänglich. In der Urteilsbegründung wird seine Motivation klar dargestellt: „Im Februar 1943 wurde der Angeklagte durch schriftlichen Befehl für den 25. Februar 1943 zum aktiven Wehrdienst erneut zur Kraftfahr-Er-satzabteilung 17 nach Enns einberufen. Er leistete der Einberufung zunächst keine Folge, weil r den Nationalsozialismus ablehnt und deshalb keinen Wehrdienst leisten will. Auf Drängen seiner Familienangehörigen und auf Zureden seines Ortspfarrers meldete er sich schließlich am 1. März 1943 bei der Stammkompanie Kraft-fahr-Ersatzabteilung 17 in Enns, erklärte aber sofort, daß er aufgrund seiner religiösen Einstellung den Wehrdienst mit der Waffe ablehne. Bei seiner Vernehmung durch den Gerichtsoffizier blieb er trotz eingehender Belehrung und Hinweises auf die Folgen seines Verhaltens bei seiner ablehnenden Haltung. Er erklärte, daß er gegen sein religiöses Gewissen handeln würde, wenn er für den natio-nalsozialistischen Staat kämpfen würde. Diese ablehnende Haltung nahm er auch bei seiner Vernehmung durch den Untersuchungsführer des Gerichts der Division 487 in Linz und durch den Vertreter der Reichskriegsanwaltschaft ein. Er erklärte sich jedoch bereit, als Sanitätssoldat aus christlicher Nächstenliebe Dienst zu tun. In der Hauptverhandlung wiederholte er seine Erklärungen und fügte hinzu: Er sei erst im Laufe des letzten Jahres zu der Überzeugung gelangt, daß er als gläubiger Katholik keinen Wehrdienst leisten dürfe; er könne nicht gleichzeitig Nationalsozialist und Katholik sein, das sei unmöglich. Wenn er den früheren Einberufungsbefehlen Folge geleistet habe, so habe er es getan, weil er es damals für Sünde angesehen habe, den Befehlen des Staates nicht zu gehorchen; jetzt habe Gott ihm den Gedanken gegeben, daß es keine Sünde sei, den Dienst mit der Waffe zu verweigern; es gebe Dinge, wo man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen; aufgrund des Gebotes ,Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst' dürfe er nicht mit der Waffe kämpfen. Er sei jedoch bereit, als Sanitätssoldat Dienst zu leisten.”

Für Machthaber gefährlich

Beim Studium der „Chefsachen” des Reichskriegsgerichts in Prag fällt auf, welch breiten Raum Wehrdienstverweigerung aus religiösen Gründen in dessen Rechtssprechung einnimmt. Vom Reichskriegsgericht wurden zwischen 26. August 1939 und 31. Jänner 1941 insgesamt 162 Todesurteile verhängt. 104 von diesen gingen explizit an,.Bibelforscher”, darunter waren alle Verweigerer aus religiösen Gründen, in der großen Mehrheit Zeugen Jehovas, aber auch einige Adventisten und Katholiken, subsumiert. Die Untersuchungsführer hatten Weisung, die Verweigerer mit allen Mitteln zur Aufgabe ihrer Haltung zu bringen. Sie konnten sich „bedingungslos mit der Waffe in der Hand” in Strafeinheiten „bewähren” und wurden zu nach dem Krieg abzusitzenden Gefängnisstrafen zwischen sechs Monaten und 15 Jahren verurteilt.

Ein Vollstreckungsbuch des Reichskriegsgerichts, das bis zum 31. Dezember 1941 reicht, beinhaltet 142 zum Tod verurteilte Verweigerer und dazu 115 sogenannte „Umfaller”, die die ursprüngliche Verweigerung widerrufen haben. Wehrdienstverweigerer aus religiösen Gründen galten als „Überzeugungstäter”, die mit den schärfsten Mitteln zu „bekämpfen und zu vernichten” seien. Das Gerichtspersonal klagte immer wieder über die „Belastung” durch diese Fälle und wollte sie, da die Rechtssprechung ohnehin '„gefestigt” war, an untere Instanzen abgeben, doch blieben sie dabei erfolglos. Reichsgerichtsrat Werner Lueben, der Jägerstätter zum Tod verurteilt hatte, konnte dies im Fall des Tiroler Provikars Lampert 1944 nicht mehr tun und nahm sich in der Nacht vor der Urteilsverkündung das Leben.

Die Verknüpfung von religiösem Glauben und Kriegsdienst scheint nach den Reichskriegsgerichtsakten in Prag etwas für die Machthaber extrem Gefährliches gewesen zu sein.

Am 9. August 1943 wird Franz Jägerstätter mit sechs weiteren Verweigerern aus religiösen Gründen, Zeugen Jehovas, von Berlin nach Brandenburg/Havel gebracht. Zu Mittag wurde ihnen mitgeteilt, daß die Todesurteile bestätigt seien und in wenigen Stunden vollstreckt würden. Pfarrer Jochmann aus Brandenburg verbrachte längere Zeit bei Franz Jägerstätter und war von der Gefaßtheit und Ruhe des Todeskandidaten beeindruckt.

Am Abend desselben Tages sagte er zu österreichischen Ordensfrauen, daß er in Franz Jägerstätter dem einzigen Heiligen in seinem Leben begegnet sei.

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